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Ziviler Widerstand zwischen kollektivem Selbstschutz und lokaler Befriedung - Friedensgemeinden in den Gewaltkonflikten Kolumbiens und Guatemalas

Die Konfliktregionen Kolumbiens (1964-Gegenwart) und Guatemalas (1960-1996) zeichnen sich durch eine von verschiedenen bewaffneten Akteuren umkämpfte öffentliche Ordnung, eine begrenzte Form von (Rechts-) Staatlichkeit und einen hohen Grad der Gewaltanwendung aus. Die Zivilbevölkerung hat unter solchen Bedingungen häufig nur die Möglichkeit mit einem bewaffneten Akteur zu kollaborieren oder die Region zu verlassen. Eine Ausnahme bilden die vereinzelt entstandenen, gemeinschaftlich organisierten Widerstandsinitiativen, die für sich in Anspruch nehmen eine neutrale Position gegenüber den Konfliktparteien zu beziehen.

Das Projekt untersucht zwei Fallbeispiele solcher zivilen Widerstandsinitiativen anhand ihrer Entstehung, Entwicklung und Persistenz im Spannungsfeld der umkämpften öffentlichen Ordnung und der begrenzten Staatlichkeit. Es möchte zu dem Verständnis der Handlungsmöglichkeiten von Zivilisten in Gewaltkonflikten beitragen, indem es die internen Strukturen, Strategien und Funktionen dieser Initiativen ethnographisch analysiert und die Möglichkeiten des Verständnisses gewaltfreien Widerstands in Gewaltsituationen auch theoretisch weiterentwickelt. Der Vergleich von Beispielen aus Kolumbien und Guatemala will das Transformationspotential dieser Initiativen hinsichtlich der regionalen Konfliktdynamik bestimmen und vergleichend analysieren.

Forschungsinteresse des Projektes

Dieses Forschungsprojekt basiert auf einer ethnographischen Untersuchung zweier Fallbeispiele (die Friedensgemeinde San José de Apartadó in Kolumbien und die Gemeinde Primavera in Guatemala) und der komparativen Analyse ihrer Ergebnisse. Ziel ist es die politischen und ökonomischen Strukturen, Strategien und Funktionen dieser Widerstandsprojekte, sowie die weltanschaulichen Praktiken, diskursiven Präsentationen, biographischen Erfahrungen und die Bedeutung von Vergangenheit und Erinnerung empirisch zu beschreiben. Besondere Aufmerksamkeit soll nicht nur den möglichen Gemeinsamkeiten, sondern auch den zu erwartenden empirischen Differenzen der beiden Fälle beigemessen werden.
Ausgehend von der Annahme, dass Zivilisten in Gewaltkonflikten nicht nur passive Opfer, sondern auch handlungsmächtige Akteure sind, formulieren wir vier
übergeordnete Fragen, an denen sich das Forschungsinteresse dieses Projektes orientiert:

Frage I:     Welche sozio-historischen Faktoren und welche individuellen Erfahrungen begünstigen die Entstehung gewaltfreier, ziviler Widerstandsinitiativen in Gewaltkonflikten?

Frage II:   Welche internen Strukturen, Strategien und Funktionen sowie sozio-kulturelle Faktoren der Widerstandsinitiativen erklären ihre andauernde Persistenz trotz externer Repression?

Frage III:  Welche Wirkungsbedeutung kommt diesen Widerstandsinitiativen hinsichtlich ihrer eigenen Situation und der lokalen Konfliktdynamik zu?

Frage IV:  Wie lässt sich diese Form von Widerstand theoretisch fassen?

Die Untersuchung der Widerstandsgemeinden zielt also auf vier zentrale Dimensionen ab:

  • die strukturellen und individuellen Voraussetzungen die zur Gründung der Initiativen führten
  • die internen Organisationsformen dieser Gemeinden und ihre Entwicklung
  • die nach außen gerichteten Handlungsstrategien der Gemeinden, und
  • die Folgen für eine theoretische Konzeption von Widerstand und für die anthropologische Friedensforschung

Die der Untersuchung zugrunde liegenden Feldforschungen sollen in folgenden zwei Gemeinden durchgeführt werden. Vorliegende Arbeiten zu anderen Friedensgemeinden in Guatemala und Kolumbien werden im Rahmen des Projektes einer begleitenden Sekundäranalyse unterzogen.

1.) Friedensgemeinde San José de Apartadó, im Nordwesten Kolumbiens in der Region Urabá. Diese Region gilt als eine der historisch am schwersten vom Gewaltkonflikt betroffenen Gebiete und war lange Zeit weder ökonomisch, politisch noch kulturell in die kolumbianische Gesamtgesellschaft integriert. Trotzdem ist sie, auf Grund ihrer geographischen Lage und den Vorkommen natürlicher Ressourcen, eine strategisch wichtige Region. Auf Grund der Abwesenheit staatlicher Institutionen etablierten sich seit den 1960er Jahren dort mehrere Guerillagruppen, vornehmlich die Farc und EPL, die den Staat insofern substituierten als das sie eine Art öffentliche Ordnung einrichteten, Normen aufstellten, Sanktionsmaßnahmen einführten und bei Konflikten vermittelten. Die Zivilbevölkerung musste sich mit der Präsenz dieser Gewaltakteure arrangieren. Als Mitte der 1990er Jahre paramilitärische Gruppen und die staatlichen Ordnungskräfte sich vornahmen die Kontrolle über die Region zurück zu erobern, kam es zu einer Eskalation der Gewalt, die sich insbesondere gegen die Zivilbevölkerung richtete.

In diesem Kontext erklärte sich das Dorf San José de Apartadó 1997 zu einer Friedensgemeinde. In ihrer Deklaration definieren sich die überwiegend mestizischen Bewohner als Teil der nicht-kämpfenden, zivilen Bevölkerung und verpflichten sich keinen bewaffneten Akteur direkt oder indirekt zu unterstützen. Die Gemeinde entwickelte eine organisatorische Struktur, die die politische Partizipation der Bewohner förderte und die ökonomische Subsistenz und Unabhängigkeit sicherte. Darüber hinaus wurden verschiedene Strategien zum Selbstschutz etabliert, die die Existenz der Gemeinde trotz massiver Repression durch die bewaffneten Akteure bis in die Gegenwart ermöglicht.

2.) Gemeinde Primavera, im Nordwesten Guatemalas in der Region Ixcán. Die Gemeinde ging aus den sogenannten ‚Gemeinden der Bevölkerung im Widerstand‘ hervor. Diese vornehmlich selvatische Region mit langen Regenzeiten wurde erst in den 1960er Jahren besiedelt. Wie in Urabá, Kolumbien, ermöglichte die Abwesenheit des Staates die Präsenz der Guerilla EGP, die seit den 1970er Jahren begann. Die Bewohner der Region Ixcán sind indigener Abstammung. Mit dem Beginn der 1980er Jahre starteten die öffentlichen Streitkräfte mehrere Offensiven gegen die Guerilla in der Region, die bis in die 1990er Jahre anhielten und die Vertreibung von mehreren 10.000 Menschen nach Mexiko zur Folge hatten.

Mit dem Beginn der Vertreibungen gründeten sich 1982 insgesamt drei ‚Gemeinden der Bevölkerung im Widerstand‘, wobei hier die Gemeinde der Region Ixcán untersucht werden soll. Diese teilte ihre Bewohner in mehrere Kleingruppen auf, etablierte eine klandestine Organisationsstruktur und lebte quasi-nomadisch mehr als 12 Jahre im Regenwald, bevor sie am Anfang der 1990er Jahre die Öffentlichkeit suchte um auf ihre Existenz aufmerksam zu machen. Sie sicherte ihr Überleben im Regenwald und gegen die Übergriffe durch das Militär während dieser Zeit durch eine große zivil-gemeinschaftliche Kooperationsbereitschaft, eine hohe Anpassungsfähigkeit an die natürlichen Bedingungen sowie eine Reihe von Strategien, die den Selbstschutz ermöglichten. Nach den offiziellen Friedensverhandlungen und der Beendigung des Bürgerkrieges 1996 konnten die Bewohner der Gemeinde nicht mehr auf ihrem ursprünglichen Land siedeln, da dieses Gegenstand von Landkonflikten bzw. illegaler Landaneignung wurde. Ihnen wurde neues Land angeboten, worauf sie die Gemeinde Primavera gründeten. Diese Gemeinde hielt ihren hohen Grad der Selbstorganisation bei und gilt bis in die Gegenwart als Ausdruck einer neuen, politischen Kultur.

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