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Christian Wolff-Vorlesung
Die weit über die Grenzen Marburgs hinaus bekannte Vorlesungsreihe ist nach Christian Wolff benannt, der 1723 bis 1740 an der Philipps-Universität Philosophie lehrte und neben G. W. Leibniz der bedeutendste Philosoph der frühen Aufklärung in Deutschland war. Christian Wolff gab der Philosophie in der Philippina ein an Wissenschaft und Vernunft orientiertes Profil, das sich im Neukantianismus fortsetzte und auch heute das Selbstverständnis des Faches Philosophie in Marburg prägt.
Die Vorlesung wendet sich an Wissenschaftler/innen, Philosoph/innen und die interessierte Öffentlichkeit. Universität und Stadt sind herzlich willkommen.
Vorlesung 2024
10. Juli 2024 20:00 Uhr
Aula der Alten Universität, Lahntor 3
Marcus Willaschek
"Kants Revolution des Denkens"
Kants Kritik der reinen Vernunft ist ein Meilenstein der Geistesgeschichte, weil sie ein neues Verständnis unserers menschlichen Standpunktes in der Welt entwickelt. Kant nennt das seine ,Revolution der Denkart‘. Sie besteht in der Einsicht, dass ein objektives Bild der Welt sich nicht allein aus den Eigenschaften der erkannten Dinge ergibt, sondern auch aus der Funktionsweise menschlicher Erkenntnis. Manche Aspekte unseres Weltbildes, etwa Raum und Zeit, gehen Kant zufolge nicht auf Eigenschaften der Welt selbst zurück, sondern auf den menschlichen Geist. Trotzdem sind sie objektiv gültig, weil sie ein objektives, für alle Menschen gültiges Bild der Realität erst möglich machen. Dieser revolutionäre Gedanke einer ‚Objektivität des menschlichen Standpunktes‘ ist nicht nur für Kants Erkenntnistheorie, sondern auch für seine Ethik und Ästhetik grundlegend.
In der diesjährigen Christian Wolff-Vorlesung erklärt Marcus Willaschek Kants Revolution des Denkens auf anschauliche und verständliche Weise und gibt so einen Einblick in die Grundlagen der kantischen Philosophie.
Vorlesung 2023
12. Juni 2023 20:00
Aula der Alten Universität, Lahntor 3
Thomas Fuchs
"Was wird aus dem Menschen? Plädoyer für einen neuen Humanismus"
Die gegenwärtige Sicht des Menschen auf sich selbst ist gekennzeichnet von einer tiefen Ambivalenz. Einerseits misst sich der Mensch die gottgleiche Macht zu, künstliche Intelligenz, künstliches Leben oder sogar Bewusstsein zu erzeugen. Er beginnt seine eigene biologische Optimierung in die Hand zu nehmen, um sich zum Übermenschen umzuformen und am Ende womöglich Unsterblichkeit zu erlangen. Auf der anderen Seite jedoch steht ein tiefer Pessimismus, gepaart mit menschlicher Selbstverachtung. Der Posthumanismus in seinen radikaleren Varianten verschreibt sich der Abdankung der Menschheit, die am besten von ihrer eigenen künstlichen Nachkommenschaft entthront werden solle. In meinem Vortrag untersuche ich die Entwicklung dieser Ambivalenz seit der Neuzeit und führe sie auf ein Schwanken zwischen Allmachts- und Ohnmachtsgefühlen zurück, dem letztlich ein kollektiver Narzissmus zugrundeliegt. Wir versuchen, eine innere Leere zu kompensieren, indem wir durch die Spiegelung unserer selbst in anthropomorphen Maschinen, in digitaler Intelligenz und in virtuellen Bildern ein ideales Selbstbild erschaffen. Dies führt jedoch zu einem paradoxen Resultat: Zunehmend glauben wir an die Überlegenheit unserer eigenen künstlichen Geschöpfe, beginnen uns unseres Daseins als Wesen aus Fleisch und Blut zu schämen, und die Selbstüberhöhung schlägt am Ende in Selbsterniedrigung um. Angesichts dieser Entwicklung plädiere ich im zweiten Teil meines Vortrags für einen neuen Humanismus, der auf unserer Verkörperung, unserer Zwischenleiblichkeit mit anderen und unserer Einbettung in eine ökologische Umwelt des Lebendigen basiert.
Vorlesung 2022
10. November 2022 20:00
Aula der Alten Universität, Lahntor 3
Sabine Döring
"Wissenschaftsfreiheit: Ein Versuch, epistemische Offenheit mit epistemischer Gerechtigkeit zu versöhnen"
Der wissenschaftliche Diskurs soll zugleich "epistemisch gerecht" und "epistemisch offen" sein: Alle potentiell Erkennenden sollen die gleiche Freiheit haben, am Diskurs teilzunehmen, und dabei freimütig sprechen können. Auf diese Weise wird Wissen bzw. Erkenntnis (Griechisch: Episteme) bestmöglich erreicht. So selbstverständlich das klingen mag, ist eine heftige, frustrierend verlaufende Debatte darüber entbrannt, wer und was an der Universität gehört oder gelesen werden soll - und wer und was nicht. In diesem Vortrag werden zunächst die Gründe für diesen Verlauf offengelegt. Sodann wird ein Vorschlag dazu gemacht, wie sich die beiden nur scheinbar konfligierenden Ziele der epistemischen Gerechtigkeit und der epistemischen Offenheit miteinander versöhnen lassen. Danach gibt es für Meinungsäußerungen, sofern sie epistemisch qualifiziert sind, keine Grenze. Wissenschaft darf sich nicht nur, sie muß sich sogar mit jedem erdenklichen Thema auseinandersetzen, da gerade sie mögliche epistemische Irrwege mit guten Argumenten beenden kann. Das Argument und der Dialog, und nicht Zensur aufgrund "sozialer Tyrannei" (John Stuart Mill), sind der Weg der Wissenschaft und ihr schärfstes Schwert.
Das Tragen einer FFP2-Maske wird während der gesamten Veranstaltung dringend empfohlen.
Vorlesung 2021
2. Dezember 2021 20:00
Online: https://uni-marburg.webex.com/uni-marburg/j.php?MTID=m52556b68237d389df26e4d94d18641f8
Wolfgang Detel
"Die anthropologische Differenz. Was zeichnet uns Menschen aus?"
Die Geschichte der Anthropologie – der Wissenschaft vom Menschen – ist seit der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich von der Philosophie geprägt worden. Ihre Kernfrage lautete stets: Wodurch unterscheiden sich die Menschen von allen anderen Tieren, das heißt: worin besteht die anthropologische Differenz? Immer wieder wurden Geist, Vernunft, Sprache, Sozialität, Moralität, Kunst, Freiheit, Religiosität, Wissenschaft und Unsterblichkeit der Seele genannt. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich verschiedene Zweige der Anthropologie entwickelt, die nur noch zum Teil an der anthropologischen Differenz interessiert sind, etwa die biologische, philosophische und evolutionäre Anthropologie. In meinem Vortrag werde ich mich darauf konzentrieren, wie die moderne Anthropologie die anthropologische Differenz beschreibt. Dabei soll die Interdisziplinarität der modernen Anthropologie, aber auch der spezifische Beitrag der Philosophie deutlich werden. Seit geraumer Zeit gibt es überdies vier grundlegende anthropologische Fragen, die ebenso heftig wie kontrovers diskutiert werden. Lassen sich universalistische Merkmale des Menschen ausmachen? Ist die Anthropologie eine beschreibende Wissenschaft oder enthält sie auch ethische Aussagen? Lässt sich die anthropologische Differenz als systematische Einheit darstellen? Und: Sind wir Menschen von Grund auf gut oder schlecht? Auf diese Fragen hält die moderne Anthropologie interessante Antworten bereit. Am Ende des Vortrags werde ich mich mit einigen politischen Konsequenzen aus Einsichten der gegenwärtigen Anthropologie beschäftigen. Unter anderem erweist sich die gegenwärtige Anthropologie als unerlässliche Grundlage für eine moderne Pädagogik. In meiner Präsentation werde ich auf eine Reihe von - zum Teil berührenden – Experimenten und Videos zurückgreifen.
Vorlesung 2020
Aufgrund der Covid-19-Infektionslage muss die Christian-Wolff-Vorlesung 2020 leider entfallen.
Vorlesung 2019
31. Oktober 2019 20:00 Uhr
Aula der Alten Universität, Lahntor 3
Beate Rössler, Universität von Amsterdam:
"Autonomie und das gute Leben"
Autonomie wird von Personen in liberaldemokratischen Gesellschaften erwartet und gefordert; sie ist, wie Joseph Raz schreibt, ein Faktum des modernen Lebens. Wir schätzen diese Autonomie auch, sie ist wertvoll für uns, sie ist eine Bedingung des guten Lebens. Gegen die Möglichkeit von Selbstbestimmung sprechen jedoch zahlreiche Hindernisse, strukturelle Hindernisse ebenso wie individuelle. Ich will in meinem Vortrag zunächst fragen, was es eigentlich genauer heißt, ein selbstbestimmtes Leben zu leben – in welchem Maße gehört beispielsweise Reflexion zur Autonomie, wie unabhängig muss man sein, um autonom genannt werden zu können – ist man autonom nicht immer gemeinsam mit anderen? In einem zweiten Schritt will ich anhand von Beispielen verdeutlichen, auf welche Probleme Selbstbestimmung stoßen kann und was dies prinzipiell für die Möglichkeit von Selbstbestimmung bedeutet: die Tatsache, dass wir immer schon in Verpflichtungen leben; dass wir häufig nicht genau wissen, was wir wollen; dass die unterschiedlichen Rollen, in denen wir leben, miteinander in Konlikt geraten können. Ist eine Person mit sich so identisch, so einheitlich, dass sie immer weiß, was sie will? Und sind Personen unter konkreten gesellschaftlichen Umständen nicht immer auch uneins mit sich und ihrem Leben, so dass man nicht sinnvollerweise davon sprechen kann, dass sie selbstbestimmt leben? Ich will diesen Fragen nachgehen und dafür argumentieren, dass trotz dieser Hindernisse ein selbstbestimmtes – und gutes Leben möglich ist.“
Vorlesung 2018
22. November 2018 20:00 Uhr
Aula der Alten Universität, Lahntor 3
Dieter Birnbacher: "Nomen est omen"
In seinem Vortrag griff Birnbacher eine Idee des amerikanischen Pragmatisten Charles Sanders Peirce auf, der nicht nur die bis heute in Logik und Wissenschaftstheorie verwendete Terminologie geprägt, sondern – kurioserweise – auch eine Ethik der philosophischen Terminologie entwickelt hat. Der Vortrag zeigte, dass die Beziehungen zwischen Fragen der Benennung und ethischen Fragen in der Tat enger sind, als man auf den ersten Blick vermutet. Als Belege dienten u. a. einige aktuelle Fragen der Bioethik, bei denen sprachliche Fassung und ethische Beurteilung unlösbar aneinander gekoppelt scheinen.
Vorlesung 2017
23. November 2017 20:00 Uhr
Aula der Alten Universität, Lahntor 3
Rahel Jaeggi, Berlin:
»Fortschritt und Regression«
Vorlesung 2016
27. Oktober 2016 20:00 Uhr
Aula der Alten Universität, Lahntor 3
Carlo Strenger, Tel Aviv:
»Der populistische Angriff auf die Aufklärung und die Krise Europas«
Flyer
Vorlesung 2015
19. November 2015 20:00 Uhr
Aula der Alten Universität, Lahntor 3
Jan Assmann, Heidelberg/Konstanz:
»Exodus als Aufklärung?«
Vorlesung 2014
20. November 2014
Otfried Höffe, Tübingen:
„Gerechtigkeit in Zeiten der Globalisierung“
Vorlesung 2013
7. November 2013
Hans Joas, Chicago/Freiburg:
„Sklaverei und Folter in Globaler Perspektive. Der Westen und die Menschenrechte“
Vorlesung 2012
01. November 2012
Ágnes Heller, Budapest/New York:
„Leben wir in Zeiten moralischen Verfalls?“
Vorlesung 2011
27. Oktober 2011
Prof. em. Dr. Kurt Flasch, Bochum:
„Religion und Philosophie in Deutschland, heute“
Vorlesung 2010
04. November 2010
Univ. Prof. Dr. Axel Honneth, Frankfurt/Main:
„Markt und Moral - Alternativen der Kapitalismusanalyse“
Vorlesung 2009
29. Oktober 2009
Univ. Prof. Dr. Herta Nagl-Docekal, Wien:
„Religiöse Vielfalt im modernen Rechtsstaat. Ungeklärte Fragen in einer philosophischen Diskussion der Gegenwart“
Vorlesung 2008
30. Oktober 2008
Prof. Dr. Volker Gerhardt:
„Exemplarische Ethik in globaler Verantwortung. Das Beispiel Christian Wolffs“
Frühere Redner waren:
Dr. h.c. mult. Helmut Schmidt, Prof. Dr. h.c. mult. Jürgen Mittelstraß (2005), Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin (2004), Prof. Dr. Herbert Schnädelbach (2003), Prof. Dr. Hermann Lübbe (2002), Prof. Dr. Jürgen Habermas (2001), Prof. Dr. Günther Patzig (2000), Prof. Dr. Nicholas Rescher (1999).