19.03.2021 Gemeinsame Erklärung der Institute des FB03 zur Sparpolitik
Der Fachbereich 03/Gesellschaftswissenschaften und Philosophie ist derzeit extremen Sparmaßnahmen unterworfen, gegen die alle Institute des Fachbereichs protestieren.
Mehr zu den Hintergründen und zu den Forderungen nach einer soliden Grundfinanzierung der Universitäten durch die Hochschulpolitik erfahren Sie in unserer gemeinsamen Erklärung "100 Prozent Finanzierung für 100 Prozent Universität!"
100 Prozent Finanzierung für 100 Prozent Universität!
Gemeinsame Erklärung des Instituts für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft, des Instituts für Politikwissenschaft, des Instituts für Philosophie, des Instituts für Soziologie sowie des Instituts für Sozialanthropologie und Religionswissenschaft
Der Fachbereich 03 Gesellschaftswissenschaften und Philosophie ist einer der größten Fachbereiche der Philipps-Universität Marburg. Er zeichnet sich durch seine ausgesprochene Fächervielfalt aus. Die im Fachbereich vertretenen Disziplinen (Soziologie, Politikwissenschaft, Philosophie, Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft, Sozialanthropologie und Religionswissenschaft) bieten für nationale und internationale Studierende ein attraktives, einzigartiges und stark nachgefragtes Angebot. Sie schaffen durch Forschung breites Wissen über gesellschaftliche Herausforderungen wie soziale Ungleichheit, Klimakrise und Demokratiegefährdung, stellen dieses öffentlich zur Verfügung und vermitteln es in der Lehre. In seiner Fächervielfalt ist der Fachbereich ein Mikrokosmos einer Universität.
Zurzeit jedoch sind Forschung und Lehre am Fachbereich durch extreme Sparmaßnahmen bedroht. Diese zeigen wie unter einem Brennglas die strukturellen Probleme der Hochschulfinanzierung. Die aktuellen Maßnahmen – darunter jahrelange Stellensperren, verschärfte Befristungen und gekürzte Sachmittel – resultieren aus einer unzureichenden Grundfinanzierung der Universitäten. Wir fordern: 100 Prozent Universität muss zu 100 Prozent finanziert werden, um gute Bedingungen für das Studieren, Arbeiten und Forschen zu ermöglichen!
Die Grundfinanzierung der Universitäten in Westdeutschland wurde seit den 1980er Jahren massiv zurückgefahren. Stattdessen wurde in außeruniversitäre Forschungsgemeinschaften oder in Forschungs- und Sonderprogramme des Bundes und der Länder investiert, um die sich die Universitäten bewerben müssen. Und: 80 Prozent der hessischen Universitätsbudgets ergeben sich inzwischen aus schwankenden Kennzahlen zu Studium und Lehre. Dies führt zu der absurden Situation, dass eine „nur“ 100-prozentige Auslastung der Lehrkapazitäten ein Budgetdefizit nach sich zieht. Seminare mit 60 Studierenden gelten dabei in Hessen als „nicht überbelegt“. In der Realität sind Seminare oftmals größer, wobei in einzelnen Studiengängen auch Seminare mit über 100 Studierenden keine Seltenheit sind. Diese Situation ist auch jetzt schon für Lehrende und Studierende belastend und unbefriedigend. Gleichzeitig ist durch die Stellensperren die Vielfalt und Breite des universitären Lehrangebots insbesondere auch der sog. kleinen Fächer bedroht, die das Gesamtprofil der Universität ausmachen. Die Stellensperre führt außerdem dazu, dass das nicht-wissenschaftliche Personal ausgedünnt wird, das maßgeblich administrative Tätigkeiten übernimmt, ohne die die Aufgaben in Lehre, Betreuung und Forschung nicht zu bewältigen wären, und das gleichfalls bereits unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten muss. Die Wiederbesetzungssperren sollen nun dadurch abgefedert werden, dass noch mehr Drittmittel am Fachbereich eingeworben werden.
Seit Jahren sind Tarifsteigerungen durch die Zuweisungen des Landes nicht ausfinanziert. Der neue bis 2025 geltende Hessische Hochschulpakt sieht zwar eine Verbesserung der Hochschulfinanzierung und eine jährliche Erhöhung der Sockelbudgets der Hochschulen vor, kann aber die strukturellen Probleme nicht lösen. Die Haushalte der Hochschulen bleiben in den neu geschaffenen Profil- und Erfolgsbudgets ausgeprägt kompetitiv und kennziffergesteuert. Die Logik der Ökonomisierung der Hochschulen wird hierdurch nicht aufgegeben. Diese Logik muss durchbrochen werden!
Welche Universität will die Gesellschaft?
Gute universitäre Bildung und Ausbildung sowie Forschung kommt der gesamten Gesellschaft zugute.
Fächervielfalt: Die Gesellschaftswissenschaften und die Philosophie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Selbstverständigung demokratischer Gesellschaften, zur Reflexion der normativen Grundlagen des Zusammenlebens in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft und zum Umgang mit gesellschaftlichem Wandel. Sie entwickeln Strategien gegen zunehmende soziale Ungleichheit, Rechtspopulismus/-extremismus und religiösen Fundamentalismus sowie zur Förderung von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Die Fächer am Fachbereich tragen bei zur Forschung über und Vermittlung von Kenntnissen in Peacebuilding und Peacekeeping, zur Verwirklichung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen sowie zur Aushandlung eines global nachhaltigen Umgangs mit natürlichen Ressourcen.
Gutes Studium und gute Lehre: Gute Bildung und Ausbildung braucht eine solide Grundfinanzierung. Diese ist im Vergleich zu den 1980er Jahren trotz gestiegener Studierendenzahlen deutlich gesunken. Mit immer weniger Personal müssen immer mehr Studierende betreut werden, was zu Lasten der Qualität geht und Bildungsungleichheiten tendenziell verstärkt. Die im Hessischen Hochschulpakt bis 2025 anvisierte Reduzierung der Betreuungsrelation von ca. 72 auf ca. 62 Studierende pro Professur rückt angesichts der Stellensperren am Fachbereich 03 der Philipps-Universität in weite Ferne. Da die Regelstudienzeit auf 6 Semester begrenzt ist und sich die BAföG-Förderung daran orientiert, haben Studierende nicht die Möglichkeit, das Studium zeitlich zu strecken. Auch die Mittel für Tutorien sind von den Kürzungen am Fachbereich betroffen. Damit wird die Chance vertan, interessierte Studierende früh an wissenschaftliche Tätigkeiten heranzuführen. Die Entwicklung von Angeboten für eine immer internationalere und diversere Studierendenschaft und die Lehre unter Pandemie-Umständen erfordern aber mehr und nicht weniger Ressourcen.
Gute Arbeitsbedingungen und Karrieremöglichkeiten für alle Beschäftigten: Gemeinsam mit Wissenschaftsorganisationen und Gewerkschaften fordern wir mehr Planungssicherheit für Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase. Ein Großteil der Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau an der Universität Marburg sind befristete Teilzeitstellen; am Fachbereich 03 sind es sogar über 90%, PostDoc-Stellen für die Phase nach der Promotion stehen kaum zur Verfügung. Für den im Hessischen Hochschulpakt geforderten Ausbau unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse fehlt am Fachbereich 03 das Geld. Auch in der Verwaltung des Fachbereichs sind Teilzeitbeschäftigungen mit geringer Wochenarbeitszeit und mit Befristungen verbreitet. Die Aufgaben im administrativen Bereich werden u.a. durch Digitalisierung immer komplexer, ohne dass dies in den unteren Gehaltsgruppen entsprechend vergütet wird. Die Sparpolitik an der Universität hat zudem dazu geführt, dass die ohnehin schon knappen Sekretariatskapazitäten weiter reduziert wurden. Dies führt zu noch mehr Unsicherheit und Arbeitsverdichtung.
Forschung und wissenschaftliche Qualifizierung: Damit Universitäten innovativ bleiben und aktuelles Wissen generieren sowie vermitteln können, ist eine Einheit von Forschung und Lehre erforderlich. Angesichts der Stellensperren am Fachbereich und daraus resultierender Mehrarbeit für die verbliebenen Beschäftigten bleibt aber häufig kaum noch Zeit für eigene Weiterqualifikation und Forschung. Drittmittel dürfen und können zudem nicht fehlende Grundbudgets ersetzen.
Wer Fächervielfalt, gute Lehre und Studienbedingungen, gute Arbeitsbedingungen und innovative Forschung will, muss diese auch gut finanzieren. Wir fordern daher vom Land Hessen und vom Bund ein Umdenken in der Hochschulfinanzierung: 100 Prozent Universität muss zu 100 Prozent finanziert werden!
Marburg, März 2021
Hier finden Sie die Erklärung als PDF-Version