24.10.2024 Neuerscheinung: Handbuch Migrationssoziologie von Prof. Röder und Prof. Zifonun

Vorwort des Handbuchs

Der Stellenwert der Migrationssoziologie ist unumstritten. Ihr Rang ergibt sich nicht allein aus der Bedeutung, die Migration für das Leben vieler Menschen, für das soziale Zusammenleben, für Politik und Wirtschaft hat. Ihre etablierte Position innerhalb der Soziologie resultiert auch daher, dass Migration schon früh zu einem Gegenstand soziologischer Forschung wurde. Man denke hier an einige der wegweisenden Werke der Chicago School, in denen Migration in die wachsenden US-amerikanischen Großstädte eines der zentralen Themen ist. Die theoretisch fundierte, methodisch vollzogene und empirisch gehaltvolle soziologische Erforschung von Migration, ihren Ursachen und Folgen hat die Migrationssoziologie seither zu einer bedeutenden speziellen Soziologie werden lassen und begründet die breite und andauernde Rezeption soziologischer Perspektiven und Erkenntnisse weit über den wissenschaftlichen Diskurs hinaus. Überdies nutzen Soziologinnen und Soziologen immer wieder Migrationsphänomene als ‚strategic research site‘ (Robert Merton) für die Diskussion von Fragen der Allgemeinen Soziologie. Auch wenn sie damit keinen unmittelbaren Beitrag zur Migrationssoziologie leisten, stärkt dies den Stand der soziologischen Thematisierung von Migration. Schließlich ist der Beitrag der Migrationssoziologie zur interdisziplinären Migrationsforschung nicht zu unterschätzen.
So ist es wenig verwunderlich, dass neben der unüberschaubaren Fülle an Forschungsliteratur, die sich der soziologischen Erforschung von Migration widmet, auch an Sekundärliteratur über Migration kein Mangel herrscht. Dies gilt zumindest für – deutsch- und englischsprachige – Einführungen, Lehrbücher, Sammelbände und Reader, die sich der Migrationssoziologie widmen. Ergänzt wird dies durch Überblicksartikel in soziologischen Handbüchern sowie durch (inter-)disziplinäre Bände zu ausgewählten Dimensionen undFragestellungen der Migrationsforschung und zu spezifischen Theorieperspektiven und Fragestellungen der Migrationssoziologie.
Das Handbuch Migrationssoziologie nimmt dagegen eine Vogelperspektive ein und will die Migrationssoziologie in ihrer ganzen Breite darstellen. Ziel des Bandes ist es, die internationale und deutschsprachige Migrationssoziologie möglichst umfassend abzubilden und in ihren aktuellen Entwicklungen darzustellen. Das Handbuch richtet sich an eine Leserschaft, die sich einen fundierten Überblick der Migrationssoziologie verschaffen will, d. h. an Kolleginnen und Kollegen der unterschiedlichsten Qualifikationsstufen, im Gegensatz zu einem Lehrbuch jedoch nicht primär an Studierende.
Der genaue Zuschnitt, die Ausrichtung und Schwerpunktsetzung der Einzelbeiträge lagen selbstverständlich in den Händen der Autorinnen und Autoren. Gleichzeitig wollten wir eine engere Absprache mit den Autoren eingehen, als dies bei „normalen“ Sammelbänden üblich ist, um sicherzustellen, dass die Einzelbeiträge aufeinander abgestimmt sind. Zahlreiche Verweise zwischen den Kapiteln erlauben es, die thematischen und theoretischen Bezüge zwischen den Beiträgen nachzuvollziehen und erhöhen – so die Intention – den Nutzen des Bandes für die Leserinnen und Leser.

Das Handbuch ist in die folgenden Teile gegliedert: Im Themenblock Hintergründe und Ursachen finden sich Beiträge zu methodischen Problemen der Migrationssoziologie, wird die soziologische Grundfrage nach den sozialstrukturellen Konsequenzen von Migration gestellt und der Blick auf die Migrationsgeschichte geöffnet. Unter Theorien sind Beiträge zu den theoretischen Grundpositionen in der Migrationssoziologie sowie zu Schlüsselkonzepten der Migrationsforschung versammelt. Der Abschnitt Migration in den Speziellen Soziologien trägt dem erwähnten Umstand Rechnung, dass die Migrationssoziologie sowohl ein eigenständiges Forschungsfeld ist als auch in andere soziologische Forschungsfelder – vom Arbeitsmarkt bis zum Sport – ausstrahlt. Während in den Beiträgen dieses Abschnitts eine strukturtheoretische Perspektive dominiert, fokussiert der Teil Kultur, Identität, Religion auf Fragen von Diversität, Identität und Fremdheit. Regulierung von Migration befasst sich mit (trans-)nationalen Grenzregimen und der internationalen Mobilität von Hochqualifizierten. In Inter- und Innergruppenbeziehungen werden Migrantenorganisationen diskutiert und Städte als Interaktionsräumen der Einwanderungsgesellschaft behandelt. Reaktionen der Mehrheitsbevölkerung widmet sich der soziologischen Forschung über Rassismus und Diskriminierung von Migranten.
Das Handbuch schließt unter der Überschrift Migrationsdebatten und- diskurs mit einem Beitrag über wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Kategorien der Migrationsdebatte. Auch das Handbuch Migrationssoziologie weist Lücken auf.
Das hat zu meinen mit der – trotz aller gegenteiligen Bemühungen – eingeschränkten Perspektive der Herausgeber zu tun. Zum anderen hatten wir einige Absagen von Beiträgen zu verzeichnen, die bereits zugesagt worden waren. Beiträge z.B. zu Migration und Entwicklung, Flucht und Asyl, Migration und Gesundheit oder Staatsangehörigkeit können in späteren Auflagen ihren Platz finden.
Erste Überlegungen zu diesem Handbuch entstanden bereits 2012, damals zusammen mit Anja Weiß und im Austausch mit Cori Mackroth (Springer).
Wir sind froh, die Arbeiten nun zum Abschluss gebracht zu haben und danken den Autorinnen und Autoren für die Zusammenarbeit und ihre Geduld sowie Daniel Hawig (Springer) für die anhaltende Unterstützung.

Marburg, Deutschland
Mai 2024

Antje Röder
Dariuš Zifonun

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