05.12.2024 Nachruf: Prof. Dr. Dieter Boris

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In Memoriam Prof. Dr. Dieter Boris

Wir gedenken Prof. Dr. Dieter Boris, der am 21. November 2024 verstorben ist. Dieter Boris war ein Marburger Gewächs. Als Student nach Marburg gekommen, hatte er bei Heinz Maus über Karl Mannheim promoviert und seit 1972 eine Professur am Institut für Soziologie inne. Er wurde als der Vertreter einer marxistischen post-Abendroth-Hofmann-Maus Marburger Schule bekannt, der den analytischen Blick auf globale und insbesondere lateinamerikanische Verhältnisse richtete. 

Ich habe ihn Ende der 2000er Jahre als einen kritisch-engagierten Wissenschaftler und Hochschullehrer kennengelernt, der sich außerhalb hegemonialer Diskursräume bewegte und eine klare marxistische Forschungsagenda verfolgte, in der es um die Analyse der Bedingungen und Grenzen progressiver und emanzipatorischer Entwicklungen in Lateinamerika, insbesondere Argentinien, Chile und Mexiko ging. Im Zentrum seiner Analysen standen sozialstrukturelle Veränderungen, ideologische Konstellationen, internationale Kräfteverhältnisse und das konkrete Klassenhandeln. Was er insbesondre in der Lehre vermittelte, war sowohl eine kritische weltsystemtheoretische und marxistische Perspektive als auch das Handwerkszeug für historisch informierte und empirisch gesättigte Gegenwartsanalysen. In einer Zeit, in der Marxismus längst nicht mehr en vogue war, erreichte er damit einen Kreis von Studierenden, die durch ihn in die Forschung kamen und heute die kritische Forschungslandschaft bereichern. 

Seine akademische Produktion spiegelt die politischen und intellektuellen Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte wider. Seine Publikationen behandelten den chilenischen Weg zum Sozialismus (1971), die Gewerkschaften in Argentinien (1975), Schuldenkrisen und Freihandelsabkommen, soziale Bewegungen In Lateinamerika (1998), die Auswirkungen von Finanzkrisen (2000). Besonders interessierte ihn, aus den Debatten um Dependenz kommend, das Verhältnis von Metropolen und Peripherien im Zeitalter der Globalisierung (2002). Die Möglichkeiten einer Veränderung der Verhältnisse in Mexiko zum Ende der Staatsparteienherrschaft (2002) und die „argentinische Tragödie“ (2002) beschäftigten ihn. Auch zu den staatlichen Transformationsprozessen der 2000er Jahre (2013), zu Veränderungen der Sozialstrukturen in Lateinamerika (2008) und zum wiedererstarkenden Populismus (2016) schrieb er. In einem sehr empfehlenswerten Beitrag nahm er zuletzt mit Patrick Eser den libertären Autoritarismus und den Aufstieg des argentinischen Präsidenten Javier Milei unter die Lupe[i]. Gerade in diesen Zeiten des rechts-autoritären Umschwungs wird die Stimme von Dieter fehlen.

 

Anika Oettler für das Institut für Soziologie

[i] https://www.prokla.de/index.php/PROKLA/article/view/2126