Hauptinhalt
Lehre
Informationen zur Anmeldung zu Lehrveranstaltungen und Prüfungen finden Sie hier.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre im SoSe 2024
Die Soziologie und das Politische (BA Vorlesung mit Übung)
Die Soziologie und die politische Theorie haben ein gespanntes Verhältnis zueinander. Während die klassische Soziologie mit wertneutralen Einsichten in die Prozesse moderner Vergesellschaftung für sich als Königsdisziplin wirbt, behauptet die politische Theorie des 20. Jahrhunderts einen Primat des Politischen. Erst das Politische, so die These, leitet den Blick auf die kontingenten Grenzziehungen, Entscheidungen und Artikulationen, die den politischen und sozialen Raum definieren.
In dieser Vorlesung soll das derart gespannte Verhältnis zwischen Soziologie und politischer Theorie im Mittelpunkt stehen. Dabei werden zum einen jene Positionen diskutiert, die einen Primat des Politischen gegenüber dem Sozialen behaupten: nicht zuletzt die maßgeblichen Arbeiten von Hannah Arendt und Carl Schmitt. Zum anderen wird nachverfolgt, wie diese Perspektiven im soziologischen Denken aufgenommen wurden: Welche Anregungen und Abgrenzungen, Inspirationen und Verwerfungen lassen sich feststellen? Dabei wird sich die Vorlesung auf die Arbeiten zur politischen Soziologie insbesondere von Niklas Luhmann, Bruno Latour und Pierre Bourdieu und konzentrieren. Auf diese Weise soll die Vorlesung zur Klärung der Frage beitragen, wie die Soziologie heute das Politische begrifflich in Rechnung stellen kann.
Die Vorlesung ist in Kombination mit einer der Übungen zu besuchen, die dienstags unter dem gleichen Titel stattfinden. Die Programme beider Veranstaltung sind so aufeinander abgestimmt, dass sie sich wechselseitig ergänzen.
Luftverhältnisse: Die elementare Soziologie des Atmosphärischen
Der Umstand, beim Sprechen und Handeln immer auch atmen zu müssen, ist offenbar so selbstverständlich, dass Luft in der Soziologie traditionell kaum vorkommt. In jüngster Zeit sind atmosphärische Verhältnisse allerdings in einer Weise problematisch geworden, dass ihre soziale Sättigung zutage getreten ist. Der anthropogene Klimawandel, die Übertragung von Viren wie SARS-CoV-2 oder die mobilitätsbedingte Feinstaubbelastung der Luft in Innenstätten sind in dieser Hinsicht exemplarisch. Das Seminar widmet sich Fällen, in denen das Atmosphärische nicht länger als stumme Voraussetzung des Sozialen fungiert, sondern Gegenstand der Sorge geworden oder als Medium begriffen wird, über das Wirkungen entfaltet werden können. Neben ihrer Bedeutung als „Atemraum“ steht dabei auch die Dimension der Übertragung von Schall, der Verbreitung von Gerüchen sowie der Temperierung von Umgebungen im Zentrum. Untersucht werden etwa der Umgang mit Hitzewellen oder mit Phänomenen der Lärmbelastung. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Verfahren der Gewaltausübung durch die Einwirkung auf atmosphärische Umstände wie im Fall des Einsatzes von Tränengas oder von Schallwaffen. Das Seminar untersucht diese unterschiedlichen Facetten als Teil einer Soziologie des Elementaren, die soziale Verhältnisse als atmosphärische Verhältnisse versteht.Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre im WS 2023/2024
Rhythmusbilder: Musikvideos und Populärkultur (gemeinsam mit Prof. Dr. Malte Hagener)
Musikvideos sind ein populäres und medienübergreifendes Genre, das Songs aus dem Bereich der Popmusik mit Bildern koppelt, die in der Regel extra für diesen Zweck hergestellt werden. Angesiedelt ist dieses Phänomen zwischen Kurzfilm, Illustration von Musik und Werbung, es greift aber auch aus auf Kunst, Alltagskultur und viele weitere populäre Bestände (von Märchen bis zu Memes). Historisch gab es mehrere große Konjunkturen und Krisen dieser Form – angefangen mit den Tonbildern des frühen 20. Jahrhundert über die Soundies der 1940er Jahre bis hin zu den Scopitones der 1960er Jahre begann die wohl bekannteste Epoche mit dem Sendestart von MTV im Jahr 1981. Auf den (vermeintlichen) Niedergang seit den späten 1990er Jahren folgte eine Renaissance dank Videoplattformen wie Youtube und Vimeo, aber auch dank sozialer Netzwerke wie Instagram und TikTok.
In diesem Seminar möchten wir uns vor allem über das reichhaltige Material diesem Phänomen annähern, das über das Internet problemlos zugänglich ist. Neben den ästhetischen Formen soll es um die medialen Grundlagen gehen, die ganz wesentlich für das Funktionieren des Ökosystems sind, also die Plattformen und materiellen medialen Gefüge, die Verbreitungswege und Ökonomien, die Nutzungspraktiken und Verwertungslogiken. Analysen von Musikvideos werden dabei ergänzt durch Texte aus dem Feld der kulturwissenschaftlichen Medienforschung und der Soziologie.
Politische ÖkologieIn Bezug auf den Klimawandel, den massiven Biodiversitätsverlust, die Süßwasserknappheit oder die Einbringung von Chemikalien stößt der Planet aktuell an seine Belastungsgrenzen. Diese ökologische Problematik hat eine Neuausrichtung des sozial- und geisteswissenschaftlichen Denkens angetrieben. Angesichts der technisch-gesellschaftlichen Durchdringung organischer, stofflicher und atmosphärischer Sachverhalte wird insbesondere die moderne Trennung von Natur und Kultur kritisiert. Jenseits einer bloßen Erweiterung des Themenspektrums der klassischen Umweltsoziologie werden Konzepte der materiellen Verbundenheit von Lebensformen in Stellung gebracht.
Das Seminar widmet sich dieser Neuausrichtung. Es behandelt Ansätze, die ökologische Denkfiguren für eine Reartikulation des Sozialen nutzen: Untersucht werden Beziehungsfiguren wie die der Symbiose oder des Stoffwechsels; kritisch rezipiert werden Konzepte dynamischer Stabilität wie das der Resilienz oder der Anpassung; im Fokus stehen Raumkonzepte wie die Atmosphäre, die „kritische Zone“ oder das Planetarische; ein Schwerpunkt liegt schließlich auf Formen der Verschmutzung und der ihnen impliziten kolonialen Gewalt. Diese Themen und Denkansätze werden unter der Überschrift der politischen Ökologie geführt, weil sie jeweils mit der Frage verknüpft sind, wie Lebensformen in komplexen Umgebungsrelationen ausgehandelt, gestaltet und transformiert werden.
Global Health Security
Quarantine, physical distancing, lockdown – with the COVID-19 pandemic, measures of health security have entered the everyday. From a sociological perspective, however, the link between health and security is far from self-evident, innocent or inevitable. Problematizing health in terms of security has itself particular effects: It feeds into biopolitical modes of governing concerned with existential threats to life. These modes of governing are not uniform. Over the last decades, the securitization of global health exhibits multiple twists and turns as it occurred in relation to a series of different crises such as SARS, H1N1 or the Ebola outbreak of 2014-2016. Against this background, the seminar elaborates conceptual tools for empirically investigating the securitization of global health, its procedures and its consequences. It focuses on surveillance programs, border technologies, humanitarian design, legal regulations, contingency plans, and forms of risk management inter alia. It will become clear that biological problems of infection are of utmost relevance for the sociological inquiry of relationalities. The anxiety about pathogenic agents goes hand in hand with a heightened concern for the material contacts that bind humans with microbes, animals and things. Accordingly, the seminar will investigate how the securitization of health tends towards the securitization of collective life.Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre im SoSe 2023
Die Soziologie und das Politische (BA Vorlesung mit Übung)
Die Soziologie und die politische Theorie haben ein gespanntes Verhältnis zueinander. Während die klassische Soziologie mit wertneutralen Einsichten in die Prozesse moderner Vergesellschaftung für sich als Königsdisziplin wirbt, behauptet die politische Theorie des 20. Jahrhunderts einen Primat des Politischen. Erst das Politische, so die These, leitet den Blick auf die kontingenten Grenzziehungen, Entscheidungen und Artikulationen, die den politischen und sozialen Raum definieren.
In dieser Vorlesung soll das derart gespannte Verhältnis zwischen Soziologie und politischer Theorie im Mittelpunkt stehen. Dabei werden zum einen jene Positionen diskutiert, die einen Primat des Politischen gegenüber dem Sozialen behaupten: nicht zuletzt die maßgeblichen Arbeiten von Hannah Arendt und Carl Schmitt. Zum anderen wird nachverfolgt, wie diese Perspektiven im soziologischen Denken aufgenommen wurden: Welche Anregungen und Abgrenzungen, Inspirationen und Verwerfungen lassen sich feststellen? Dabei wird sich die Vorlesung auf die Arbeiten zur politischen Soziologie insbesondere von Niklas Luhmann, Bruno Latour und Pierre Bourdieu und konzentrieren. Auf diese Weise soll die Vorlesung zur Klärung der Frage beitragen, wie die Soziologie heute das Politische begrifflich in Rechnung stellen kann.
Die Vorlesung ist in Kombination mit einer der Übungen zu besuchen, die dienstags unter dem gleichen Titel stattfinden. Die Programme beider Veranstaltung sind so aufeinander abgestimmt, dass sie sich wechselseitig ergänzen.
Die Gesellschaft des Anthropozäns
Der Begriff des Anthropozän bezeichnet ein neues Erdzeitalter, in dem die Menschheit zu einem geologischen Faktor geworden ist. Seitdem der Begriff zur Jahrtausendwende von dem Atmosphärenforscher Paul Crutzen und dem Biologen Eugene Stoermer ins Spiel gebracht wurde, hat er sich schnell zu einem zentralen Deutungsschema unserer Gegenwart entwickelt. Er eröffnet ein Weltverständnis, das die Trennung zwischen Kultur und Natur durchkreuzt. Gesellschaftliche Praktiken finden sich gemäß der Diagnostik des Anthropozän in Prozesse des Erdsystems eingeschrieben – und sehen sich angesichts der Überschreitung “planetarischer Grenzen” einem starken Veränderungsdruck ausgesetzt. Das Seminar erkundet diese materiellen Transformationsprozesse exemplarisch: Wie wandeln sich gesellschaftliche Logiken wie Recht, Politik und Sicherheit im Zeichen der planetarischen Krise? Wie zwingt uns das Anthropozän, über elementare Dinge wie Wasser, Boden und Feuer in neuer Art und Weise nachzudenken? Und wie verändert sich
Gesellschaftlicher Stoffwechsel: Konzepte, Prozesse und Konflikte (gemeinsam mit Prof. Dr. Sören Becker)
Egal ob es um den Einfluss der Ernährung auf den menschlichen Körper oder der Fäkalien aus der Massentierhaltung auf die Wasserqualität geht, die Rückstände der Energiegewinnung in der Atmosphäre oder den Eintrag von Plastikpartikeln in Zellen und Ökosysteme – Stoffwechselprozesse erscheinen heute auf verschiedenen Maßstabsebenen als Problem. In der Erkundung derartiger Phänomene diskutiert das Seminar, welche gesellschaftliche Dimension diesen materiellen Prozessen innewohnt. Der Begriff des Stoffwechsels bietet sich dazu an, weil er seit dem 19. Jahrhundert die Bereiche des Lebens, des Anorganischen und des Sozialen kreuzt. Seine Genealogie verweist auf die Chemie, Biologie und die Gesellschaftswissenschaften gleichermaßen. Er verbindet Aspekte der Umwandlung von Stoffen, der Gewinnung von Energie und die Erzeugung von Abfall.
Dieses konzeptuelle Potenzial wollen wir im Dialog mit Debatten um einen “neuen Materialismus” erkunden und nutzen: Wie trägt der Stoffwechselbegriff zu einem Verständnis von Austausch- und Zirkulationsprozessen bei, das deren stoffliche Eigenlogik erfasst, ohne ihre gesellschaftliche Konstitution zu vernachlässigen? Wie können Aspekte der Regulierung und der Technisierung dabei Berücksichtigung finden? Wie verändern unbelebte Dinge und Lebewesen sich und ihre Umwelt im Stoffwechsel? Was entzieht sich dem Stoffwechsel? Und wann gilt ein Stoffwechsel als “gestört”? In der Bearbeitung dieser Fragen will das Seminar einen kritischen Blick auf aktuelle Prozesse der Vergesellschaftung im Kontext der ökologischen Krise generieren.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre im SoSe 2022
Die Soziologie und das Politische (BA Vorlesung mit Übung, Modul 7b)
Die Soziologie und die politische Theorie haben ein gespanntes Verhältnis zueinander. Während die klassische Soziologie mit wertneutralen Einsichten in die Prozesse moderner Vergesellschaftung für sich als Königsdisziplin wirbt, behauptet die politische Theorie des 20. Jahrhunderts einen Primat des Politischen. Erst das Politische, so die These, leitet den Blick auf die kontingenten Grenzziehungen, Entscheidungen und Artikulationen, die den politischen und sozialen Raum definieren.In dieser Vorlesung soll das derart gespannte Verhältnis zwischen Soziologie und politischer Theorie im Mittelpunkt stehen. Dabei werden zum einen jene Positionen diskutiert, die einen Primat des Politischen gegenüber dem Sozialen behaupten: nicht zuletzt die maßgeblichen Arbeiten von Hannah Arendt und Carl Schmitt. Zum anderen wird nachverfolgt, wie diese Perspektiven im soziologischen Denken aufgenommen wurden: Welche Anregungen und Abgrenzungen, Inspirationen und Verwerfungen lassen sich feststellen? Dabei wird sich die Vorlesung auf die Arbeiten zur politischen Soziologie insbesondere von Niklas Luhmann, Bruno Latour und Pierre Bourdieu und konzentrieren. Auf diese Weise soll die Vorlesung zur Klärung der Frage beitragen, wie die Soziologie heute das Politische begrifflich in Rechnung stellen kann.
Luftverhältnisse: Die elementare Soziologie des Atmosphärischen
Der Umstand, beim Sprechen und Handeln immer auch atmen zu müssen, ist offenbar so selbstverständlich, dass Luft in der Soziologie traditionell kaum vorkommt. In jüngster Zeit sind atmosphärische Verhältnisse allerdings in einer Weise problematisch geworden, dass ihre soziale Sättigung zutage getreten ist. Der anthropogene Klimawandel, die Verbreitung von Viren wie SARS-CoV-2 über die Luft, die mobilitätsbedingte Feinstaubbelastung in Innenstätten oder auch Szenen der unmittelbaren körperlichen Gewaltausübung („I can’t breathe“) sind in dieser Hinsicht exemplarisch. Sie geben einen Hinweis darauf, dass Luftverhältnisse nicht einfach einen gesellschaftlichen Hintergrund bilden, sondern selbst als soziologischer Tatbestand anzusehen sind. Das Seminar widmet sich unterschiedlichen Fällen, in denen Atmosphären als Medium des Sozialen fungieren. Die Atmosphären interessieren dabei sowohl in ihrer physikalischen wie affektiven Dimension: als Umgebungen, die befreit aufatmen lassen oder die Luft zum Atmen nehmen. Atmosphären sind sowohl das Ergebnis als auch die Voraussetzung sozialer Prozesse, in ihnen materialisieren sich sowohl soziale Ordnungen als auch deren Krisen, sie transportieren sowohl Aerosole als auch Spannungen und Stimmungen. Das Seminar untersucht diese Facetten als Teil einer Soziologie des Elementaren, die soziale Verhältnisse als atmosphärische Verhältnisse versteht.Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre WS 2021/2022
Global Health Security
Quarantine, physical distancing, lockdown – with the COVID-19 pandemic, measures of health security have entered the everyday. From a sociological perspective, however, the link between health and security is far from self-evident, innocent or inevitable. Problematizing health in terms of security has itself particular effects: It feeds into biopolitical modes of governing concerned with existential threats to life. These modes of governing are not uniform. Over the last decades, the securitization of global health exhibits multiple twists and turns as it occurred in relation to a series of different crises such as SARS, H1N1 or the Ebola outbreak of 2014-2016. Against this background, the seminar elaborates conceptual tools for empirically investigating the securitization of global health, its procedures and its consequences. It focuses on surveillance programs, border technologies, humanitarian design, legal regulations, contingency plans, and forms of risk management inter alia. It will become clear that biological problems of infection are of utmost relevance for the sociological inquiry of relationalities. The anxiety about pathogenic agents goes hand in hand with a heightened concern for the material contacts that bind humans with microbes, animals and things. Accordingly, the seminar will investigate how the securitization of health tends towards the securitization of collective life.Ökologie der Infektionskontrolle (zusammen mit Dr. Andrea Wiegeshoff)
In der Covid-19-Pandemie konnten wir viel über Einflussfaktoren auf das Infektionsgeschehen erfahren. Luftverschmutzung, Pollenflug, das Wetter – das sind nur einige Faktoren, welche die Epidemiologie mit Blick auf die Inzidenzzahlen und die individuellen Krankheitsverläufen einbezieht. Damit wird Covid-19 nicht länger mechanisch auf die Anwesenheit von Erregern reduziert. Vielmehr erscheint die Krankheit als Effekt von Relationen zwischen heterogenen Elementen in komplexen Umgebungen. Ebenfalls paradigmatisch für eine solche Abkehr von einem reduktionistisch-biomedizinischen Modell sind aktuelle Debatten um „Planetary Health“ im Anthropozän. Diese nehmen die Zentrierung auf den Erreger noch deutlicher zurück, indem sie die menschliche Gesundheit an die Gesundheit des Erdsystems koppeln. Aus diesen zeitgenössischen Beobachtungen ergeben sich vielfältige Anschlüsse an die Geschichte der Infektionskontrolle. Aus historischer Sicht ist ein solches multikausales Verständnis von Krankheit nicht neu. Die Medizingeschichte kennt unterschiedliche Formen der Ausrichtung auf Umgebungsfaktoren: von den klimatischen Bedingungen in der antiken hippokratischen Medizin über die Verortung von Pathogenizität in kolonialen Landschaften im Rahmen der europäischen Expansion bis hin zu den sozio-technischen Begebenheiten urbaner Milieus, die seit dem 19. Jahrhundert in den Fokus rücken. Das Seminar widmet sich vor diesem Hintergrund der Frage, wie ein ökologisches Verständnis von Krankheit und eine Ökologie der Infektionskontrolle einander in unterschiedlichen Konstellationen bedingen. Im interdisziplinären Gespräch zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaft sollen die Geschichte und die Gegenwart der Infektionskontrolle wechselseitig als Resonanzboden dienen.
Politische Ökologie
Mit der Erderwärmung, den Folgen der Überdüngung für den Stickstoffkreislauf oder dem massiven Biodiversitätsverlust stößt der Planet aktuell an seine Belastungsgrenzen („planetary boundaries“). Dem einhelligen Befund der Geo- und Umweltwissenschaften zufolge ist die Stabilität des Erdsystems in Gefahr. Diese ökologische Problematik hat zugleich eine Neuausrichtung des sozial- und geisteswissenschaftlichen Denkens angetrieben. Angesichts der technisch-gesellschaftlichen Durchdringung organischer, stofflicher und atmosphärischer Sachverhalte wird insbesondere die moderne Trennung von Natur und Kultur kritisiert. Jenseits einer bloßen Erweiterung des Themenspektrums der klassische Umweltsoziologie werden Konzepte der materiellen Verbundenheit von Lebensformen in Stellung gebracht. Das Seminar widmet sich dieser Neuausrichtung: Behandelt werden Ansätze, welche ökologische Denkfiguren für eine Reartikulation des Sozialen nutzen (Bruno Latour, Isabelle Stengers); untersucht werden nachbarschaftliche Beziehungsfiguren wie der Symbiose (Lynn Margulis, Anna Tsing) oder des Stoffwechsels (Karl Marx, Jason Moore); kritisch rezipiert werden ökologische Konzepte dynamischer Stabilität wie das der Resilienz (Crawford Holling); ein Schwerpunkt liegt schließlich auf ökologischen Raumkonzepten wie dem des Milieus (Georges Canguilhem), der Atmosphäre (Peter Sloterdijk) und des Planetarischen (Dipesh Chakrabarty). Die in dieser Form versammelten Denkansätze werden unter der Überschrift der politischen Ökologie geführt, weil sie jeweils mit der Frage verknüpft sind, wie Lebensformen in komplexen Umgebungsrelationen ausgehandelt, gestaltet und transformiert werden.
Soziologie der Pandemie: Techniken der Gesundheitssicherheit / Projektarbeit II
Aus soziologischer Warte muss die COVID-19- Krise als Reallabor angesehen werden, in dem Techniken der Gesundheitssicherheit eingesetzt, geprobt und modifiziert wurden. Das gilt für die Kontaktnachverfolgung ebenso wie für die Modellierung von Krankheitsdynamiken, für das Testen wie für die Datenvisualisierung, für die Szenario-Planung ebenso wie das rechtliche Regulieren. Indem es derartige Techniken zum Untersuchungsgegenstand erhebt, lenkt das Projektseminar den Blick auf den operativen Charakter der Gesundheitssicherheit. In den Fokus geraten Geräte wie Dashboards, Softwares, Tests oder Listen, die für den Vollzug von Sicherheitspraktiken wesentlich sind. Allerdings beschränken sich Sicherheitstechniken nicht auf diesen Instrumentcharakter. Sie bilden vielmehr Verfahren der Wissensproduktion aus, welche eine kollektive Realität der Krise in bestimmter Weise sichtbar machen und Probleme in bestimmter Weise hervortreten lassen. Sie etablieren Wertbeimessungen (was gilt wann und in welcher Hinsicht als Schützenswert?), moralische Verbindlichkeiten (wer ist an welcher Stelle für wen oder was verantwortlich?) und affektive Gestimmtheiten (wie werden Alarmiertheit und Beruhigung kalibriert?). Das Projektseminar erarbeitet einen entsprechenden Begriff der Sicherheitstechnik, um eine Reihe exemplarischer Techniken zu diskutieren, die in der COVID-19-Krise einen zentralen Stellenwert erlangt haben – oder umstritten waren, von Erfahrungen des Scheiterns begleitet oder stillschweigend ad acta gelegt wurden. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, selbst eine empirische Analyse einer von ihnen gewählten Technik der Gesundheitssicherheit vorzunehmen.Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre SoSe 2021
Die Soziologie und das Politische (BA Vorlesung mit Übung, Modul 7b)
Die Soziologie und die politische Theorie haben ein gespanntes Verhältnis zueinander. Während die klassische Soziologie mit wertneutralen Einsichten in die Prozesse moderner Vergesellschaftung für sich als Königsdisziplin wirbt, behauptet die politische Theorie des 20. Jahrhunderts einen Primat des Politischen. Erst das Politische, so die These, leitet den Blick auf die kontingenten Grenzziehungen, Entscheidungen und Artikulationen, die den politischen und sozialen Raum definieren. In dieser Vorlesung soll das derart gespannte Verhältnis zwischen Soziologie und politischer Theorie im Mittelpunkt stehen. Dabei werden zum einen jene Positionen diskutiert, die einen Primat des Politischen gegenüber dem Sozialen behaupten: nicht zuletzt die maßgeblichen Arbeiten von Hannah Arendt und Carl Schmitt. Zum anderen wird nachverfolgt, wie diese Perspektiven im soziologischen Denken aufgenommen wurden: Welche Anregungen und Abgrenzungen, Inspirationen und Verwerfungen lassen sich feststellen? Dabei wird sich die Vorlesung auf die Arbeiten zur politischen Soziologie insbesondere von Niklas Luhmann, Bruno Latour und Pierre Bourdieu und konzentrieren. Auf diese Weise soll die Vorlesung zur Klärung der Frage beitragen, wie die Soziologie heute das Politische begrifflich in Rechnung stellen kann.Luftverhältnisse: Die elementare Soziologie des Atmosphärischen (MA-Seminar, Module "M3" und "Bedrohte Ordnungen")
Der Umstand, beim Sprechen und Handeln immer auch atmen zu müssen, ist offenbar so selbstverständlich, dass Luft in der Soziologie traditionell kaum vorkommt. In jüngster Zeit sind atmosphärische Verhältnisse allerdings in einer Weise problematisch geworden, dass ihre soziale Sättigung zutage getreten ist. Der anthropogene Klimawandel, die Verbreitung von Viren wie SARS-CoV-2 über die Luft, die mobilitätsbedingte Feinstaubbelastung in Innenstätten oder auch Szenen der unmittelbaren körperlichen Gewaltausübung („I can’t breathe“) sind in dieser Hinsicht exemplarisch. Sie geben einen Hinweis darauf, dass Luftverhältnisse nicht einfach einen gesellschaftlichen Hintergrund bilden, sondern selbst als soziologischer Tatbestand anzusehen sind. Das Seminar widmet sich unterschiedlichen Fällen, in denen Atmosphären als Medium des Sozialen fungieren. Die Atmosphären interessieren dabei sowohl in ihrer physikalischen wie affektiven Dimension: als Umgebungen, die befreit aufatmen lassen oder die Luft zum Atmen nehmen. Atmosphären sind sowohl das Ergebnis als auch die Voraussetzung sozialer Prozesse, in ihnen materialisieren sich sowohl soziale Ordnungen als auch deren Krisen, sie transportieren sowohl Aerosole als auch Spannungen und Stimmungen. Das Seminar untersucht diese Facetten als Teil einer Soziologie des Elementaren, die soziale Verhältnisse als atmosphärische Verhältnisse versteht.Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre im WS 2019/2020, SoSe 2020 und WS 2020/2021
Im WS 2019/2020, im SoSe 2020 sowie im WS 2020/2021 befand sich Sven Opitz im Forschungsfreisemester.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre SoSe 19
Zeitordnungen (MA-Seminar, Modul „Theorien sozialer Ordnung“)
Aus Sicht der Soziologie geht die Zeit der sozialen Organisation nicht voraus, sondern ist für die Herstellung sozialer Ordnung konstitutiv. Soziale Prozesse ereignen sich nicht nur „in“ der Zeit. Sie nehmen vielmehr erst im Zuge der Ausbildung einer ihnen eigenen Zeitlichkeit Gestalt an: Zeitpläne strukturieren den Alltag, Risikokalkulationen stellen einen spezifischen Zukunftsbezug her, Medientechniken zielen auf die weltweite Etablierung von Kommunikation in „Echtzeit“ ab. Vor diesem Hintergrund widmet sich das Seminar der Frage, wie die Soziologie die Dimension der Temporalität konzeptuell erfassen kann. Auf der Basis der Erarbeitung von Grundlagentexten, welche immer wieder über den disziplinären Tellerrand in Richtung Philosophie, Geschichte und Medientheorie hinausweisen, sollen verschiedene Aspekte sozialer Zeitordnung erschlossen werden – z.B. Gedächtnisordnungen, Zeitrhythmen oder Zukunftstechniken. Zugleich wird punktuell auf aktuelle Zeitphänomene eingegangen. Neben der kritischen Prüfung prominenter Zeit-Diagnosen wie jene der Beschleunigung (Hartmut Rosa, Paul Virilio) bilden Temporalitäten der Sicherheit einen thematischen Schwerpunkt des Seminars.
Politiken der Ansteckung – Zur Geschichte der Übertragungskontrolle (MA-Seminar, Modul „Bedrohte Ordnung“, gemeinsam mit Dr. Andrea Wiegeshoff, FB 06)
Die Sorge vor Ansteckung ist ein schillerndes Phänomen mit einer langen Geschichte. In ihr überlagern sich medizinische, soziale, moralische und politische Aspekte in historisch extrem variabler Gestalt: Als scheinbar rein körperlicher Prozess wird das Infektionsgeschehen in unterschiedlicher Weise auf Verhältnisse des Zusammenlebens bezogen, mit moralischen Zuschreibungen des „Unreinen“ verwoben und anhand politischer Maßnahmen bekämpft. Insbesondere Epidemien werden als Situationen angesehen, in denen die soziale Ordnung bedroht ist. Die verheerenden Pestzüge des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, die Cholera als Schrecken des 19. Jahrhunderts bis hin zur HIV/Aids-Krise der 1980er und den Ebola-Ausbrüchen der letzten Jahre – sie alle bieten reichlich Beispiele dafür, wie Epidemien nicht allein Leib und Leben bedrohen, sondern als gesellschaftliche und politische Krisenphänomene zu untersuchen sind. Das Seminar widmet sich vor diesem Hintergrund mit einem zeitlichen Schwerpunkt vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart den Kontrollpraktiken, welche die Gefahr von Übertragungen bannen sollen. Von Interesse sind etwa der historische Wandel von Containment-Strategien, Hygienemaßnahmen oder Verfahren der Vektorkontrolle. Zugleich ist die Kategorie der Ansteckung selbst Veränderungsprozessen unterworfen, die wissensgeschichtlich einzuholen sind. So entsteht mit der bakteriologischen Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue Wissensordnung, die gerade im Bruch mit Vorstellungen der „miasmatischen“ Übertragung mit einem spezifischen politischen Maßnahmenbündel korrespondiert. Dabei ist interessant zu sehen, wie im 20. Jahrhundert erneut ökologische Konzeptionen der Krankheit eine Rückkehr erleben – wiederum mit Konsequenzen für die Politiken der Ansteckung. Eine solche Vielgliedrigkeit der Thematik lässt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Politischer Soziologie und Geschichtswissenschaft geboten erscheinen, welche in diesem Seminar erprobt werden soll.
Global Health Security (BA-Seminar, Module 6b, „Political Sociology“)
Since the SARS-pandemic in 2002 and 2003 global health has increasingly been addressed as a security issue. Especially the World Health Organization (WHO) came to understand its primary task in providing what was now called „Global Health Security”. From a sociological perspective, this linkage between health and security is highly significant for the fact that societal modes of dealing with phenomena change fundamentally as soon as they are problematized in terms of security: acts of “securitization” turn a given situation into an existential drama of survival vis-à-vis an existential threat which calls for exceptional measures; the concern for matters of life and death feeds into biopolitical modes of governing. This seminar elaborates conceptual tools for empirically investigating the contemporary securitization of global health, its procedures and its effects. It focuses on surveillance programms, border technologies, humanitarian design, legal regulations, contingency plans, and forms of risk management inter alia. It will become clear that biological problems of infection are of utmost relevance for the sociological inquiry of relationalities. The anxiety about pathogenic agents goes hand in hand with a heightened concern for the material contacts that bind humans with microbes, animals and things. Accordingly, the seminar will investigate how the securitization of health tends towards the securitization of collective life.
Politik der Infrastruktur (BA-Seminar, Modul 6b, Politische Soziologie)
Dem lateinischen Wortstamm gemäß werden Infrastrukturen als das „Darunterliegende“ angesehen: all jene Leitungen, Kabel und Rohre, die im Verborgenen liegen und oftmals erst sichtbar werden, wenn sie Defekte aufweisen und ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Lange Zeit haben die Sozialwissenschaften den Infrastrukturen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sie schienen in ihrer stummen Objekthaftigkeit kaum als soziologischer Tatbestand. Diese mangelnde Kenntnisnahme hat sich jedoch in den letzten Jahren mit einem neuen Interesse an der Materialität des Sozialen grundsätzlich gewandelt. Infrastrukturen werden nun als jene „Gefüge“ oder „Assemblagen“ untersucht, welche Verbindungen etablieren und Zirkulationsprozesse aufrecht erhalten. Sie erscheinen als „Mittler“ von Beziehungen, die in der Herstellung von Kollektivität eine aktive Rolle spielen. Dieses Seminar strebt einen Überblick über die sich entfaltende Debatte an, indem es nach der „Politik der Infrastruktur“ fragt: Wie werden Formen des Gemeinsamen verhandelt, indem Zusammenhänge und Ressourcenflüsse konfiguriert werden? Konzeptuelle Fragen danach, wie die Soziologie die Materialität von Infrastrukturen in Rechnung stellen kann, werden dabei in engem Kontakt mit Fallstudien etwa zur globalen Logistik, zu so genannten Smart Cities, zur Müllentsorgung oder zu Unterseekabeln behandelt.Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre WS 18/19
Die Soziologie und das Politische (BA Vorlesung mit Übung, Modul 7b)
Die Soziologie und die politische Theorie haben ein gespanntes Verhältnis zueinander. Während die klassische Soziologie mit wertneutralen Einsichten in die Prozesse moderner Vergesellschaftung für sich als Königsdisziplin wirbt, behauptet die politische Theorie des 20. Jahrhunderts ein Primat des Politischen. Erst das Politische, so die These, leitet den Blick auf die kontingenten Grenzziehungen, Entscheidungen und Artikulationen, die den politischen und sozialen Raum definieren. In dieser Vorlesung soll das derart gespannte Verhältnis zwischen Soziologie und politischer Theorie im Mittelpunkt stehen. Dabei werden zum einen jene Positionen diskutiert, die einen Primat des Politischen gegenüber dem Sozialen behaupten: nicht zuletzt die maßgeblichen Arbeiten von Hannah Arendt und Carl Schmitt. Zum anderen wird nachverfolgt, wie diese Perspektiven im soziologischen Denken aufgenommen wurden: Welche Anregungen und Abgrenzungen, Inspirationen und Verwerfungen lassen sich feststellen? Dabei wird sich die Vorlesung auf die Arbeiten zur politischen Soziologie insbesondere von Niklas Luhmann, Bruno Latour und Pierre Bourdieu und konzentrieren. Auf diese Weise soll die Vorlesung zur Klärung der Frage beitragen, wie die Soziologie heute das Politische begrifflich in Rechnung stellen kann.
Medien der Zirkulation (MA Seminar, gemeinsam mit Prof. Dr. Malte Hagener)
Medien sind nicht nur Agenturen des Speicherns, Abrufens und Wiedergebens, sondern sie setzen auch in Bewegung, sie lassen etwas zirkulieren – Botschaften und Objekte, Sendungen und Diskurse, Pakete und Parasiten. Während Medien lange Zeit vor allem in Bezug auf ihre Inhalte und Organisationsformen hin verstanden wurden, scheint unsere Gegenwart zunehmend einen anderen Zugang nahezulegen, nämlich Medien als Logistiken und Infrastrukturen der Zirkulation zu verstehen. Das Seminar macht sich diesen Perspektivwechsel zu Eigen und fragt nach der medialen Konstitution von Zirkulationsordnungen. Dabei geraten ganz unterschiedliche Formen der Zirkulation in den Blick: globale Lieferketten und Ansteckungsprozesse, Elektrizitätsströme und Verkehrsbewegungen, Echtzeitkommunikation und ökologische Stoffwechselprozesse. Diese Zirkulationsphänomene werden jeweils durch spezifische mediale Arrangements (z.B. Grenzregime, Leitungsnetzwerke, Kommunikationsstandards, Simulationsmodelle) ausgerichtet, sichtbar gemacht und bearbeitet. Konzeptuell stützt sich das Seminar auf aktuelle Debatten an der Schnittstelle von Sozial- und Geisteswissenschaften, welche das komplexe Zusammenwirken von Dingen, Akteuren, Institutionen und Apparaturen auf die jeweiligen medientechnischen Möglichkeitsbedingungen beziehen (u.a. Actor-Network-Theory, Dispositivanalyse, Medienarchäologie). Auf diese Weise soll die mediale Verfasstheit von Zirkulationsordnungen sowohl historisch als auch in Bezug auf die gegenwärtige Situation kritisch untersucht werden.
Theorien der Ordnung (MA Seminar)
Das Problem der sozialen Ordnung steht seit der Gründung der Soziologie im 19. Jahrhundert im Zentrum der Disziplin. Dabei gilt soziale Ordnung von Beginn an als historisch wandelbar und sogar prekär. Entsprechend betritt der Soziologe die Bühne als eine Figur, welche die Prozesse der Ordnungsbildung im Horizont einer als krisenhaft beschriebenen Moderne beobachtet: Wie ist so etwas Unwahrscheinliches wie soziale Ordnung überhaupt möglich? Die Veranstaltung möchte dem neugierigen Erstaunen folgen, das in diesem wissenschaftlichen Programm bis heute nachhallt. Sie behandelt dazu erstens maßgebliche theoretische Ansätze, die dem Problem überhaupt erst eine spezifische Form geben. Zweitens gilt es einem möglichen Ordnungsbias innerhalb der Soziologie zu begegnen, indem zentrale Konzepte erarbeitet werden, welche ebenfalls Unordnungsdynamiken erfassen (z.B. Krise oder Chaos). Drittens werden in exemplarischer Weise Techniken und Medien der Ordnungsproduktion auf die ihnen immanenten Ordnungsentwürfe hin analysiert. Dabei gerät auch die Soziologie selbst – ihre Verfahren, Metaphern und nicht zuletzt ihr numerisches Wissen – in den Fokus der kritisch-reflexiven Untersuchung.Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Lehre SoSe 18
Biosoziale Verbundenheiten (MA Seminar)
Die Geschichte der Soziologie wird gemeinhin als eine Geschichte der Emanzipation vom Biologischen erzählt. Bereits Klassiker wie Emile Durkheim oder Max Weber haben den Begriff des Sozialen in Abgrenzung zum Bereich des Lebens entwickelt. Entsprechend fällt es dem Fach bis in die Gegenwart schwer, die Bedeutung biologischer Sachverhalte für das Verständnis sozialer Phänomene in Rechnung zu stellen. Symptomatisch dafür ist der Umstand, dass die Bezugnahme auf vitale Prozesse schnell im Verdacht steht, einem „biologischen Reduktionismus“ anheim zu fallen. Zugleich aber liegen die Verwicklungen des Lebens und des Sozialen empirisch offen zutage – heute vor allem im Kontext ökologischer Probleme, aber auch angesichts von Fragen der Krankheitsbekämpfung, der Nahrungsmittelproduktion oder der Gestaltung des Mikrobioms. Das Seminar widmet sich derartigen Phänomenen, um das Verhältnis der Soziologie zum Bereich des Lebendigen einer Neubetrachtung zu unterziehen. Es knüpft dabei an unterschiedliche theoretische Versuche aus den Bereichen der Science Studies, der Anthropologie und der Gender Studies an, biosoziale Verbindungen denkbar zu machen. Auf diese Weise soll die in den Sozialwissenschaften fest verankerte „Biophobie“ (Meloni et al.) überwunden werden.
Risiko und Gefahr (BA Seminar, Modul 7b)
Egal, ob es um Gesundheitsrisiken, Terrorrisiken, Finanzrisiken oder Umweltrisiken geht – die Gegenwart scheint durch eine regelrechte Risikoinflation gekennzeichnet zu sein. Entstanden ist der Risikobegriff jedoch bereits im Bereich der mittelalterlichen Handelsschifffahrt. Er verweist auf ein Wagnis im Angesicht einer ungewissen Zukunft, deren Eintrittswahrscheinlichkeit in der Moderne mit den Mitteln der Stochastik berechnet wird. In den letzten Jahrzehnten ist eine Zunahme von Risikoszenarien festzustellen, in denen sowohl die Unkalkulierbarkeit als auch die Unkompensierbarkeit von Gefahren akzentuiert wird. Die Zukunft erscheint vordringlich als Katastrophe. Das Seminar widmet sich diesem Zusammenhang, indem es zunächst die klassischen Positionen der Risikosoziologie erarbeitet (u.a. Ulrich Beck, Mary Douglas, Niklas Luhmann). Im Anschluss werden unterschiedliche Zukunftspolitiken analysiert: Ausgehend von den einschlägigen Arbeiten zur Versicherung (François Ewald) und zum „gefährlichen Menschen“ (Michel Foucault) werden die post-probabilistischen Rationalitäten der Vorsorge („precaution“), der Vorbereitung („preparedness“) und der „Präemption“ („preemption“) untersucht. Die Auseinandersetzung mit aktuellem Fallmaterial u.a. aus dem Bereich der Terrorismusbekämpfung und der Biosicherheit soll helfen, die verschiedenen Techniken der Antizipation anschaulich sowie kritisch diskutabel zu machen.
Politik des Planetarischen (BA Seminar, Modul 7b)
Man kann innerhalb der Sozialwissenschaften derzeit eine Verschiebung vom Globalen zum Planetarischen feststellen. Die Soziologie der Globalisierung hat die Welt seit den 1990er Jahren als Sphäre vorgestellt, in der grenzüberschreitende Transaktionen in Echtzeit ablaufen. Soziale Phänomene im globalen Maßstab zu betrachten bedeutete, ihre augenblicklich weltumspannende Qualität in Rechnung zu stellen. Auch die Rede vom Planetarischen signalisiert eine umfassende Optik. Allerdings hat sich der Blick verdüstert, geht es doch nun primär um die Bedingungen des Lebens und Überlebens auf der Erde. Soziale Prozesse werden zum geologischen Faktor in einem Zeitalter, in dem die „life support systems“ erodieren – dem „Anthropozän“. Diese Verschiebung korreliert mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Einfaltung gesellschaftlicher Praktiken in die Materialitäten des Mehr-als-Menschlichen: Böden, Meere, Pflanzen, Tiere, Mikroben und die Atmosphäre. Das Seminar nähert sich diesem Komplex auf dem Wege der Auseinandersetzung mit spezifischen Phänomenen wie dem Klima, kontaminierten Landschaften und ökologischen Sensing-Technologien. Zugleich fragt es nach den sozialtheoretischen und auch methodologischen Herausforderungen, die eine Beschäftigung mit den Turbulenzen des Erdsystems an die Sozialwissenschaften stellt. Auf diese Weise soll eine Politik des Planetarischen vermessen werden, welche das Verhältnis der Soziologie zum Politischen im Kern betrifft.
Globale Gesundheitssicherheit (BA Seminar, Modul 7b)
Spätestens seit der SARS-Pandemie von 2002/2003 wird globale Gesundheit zunehmend unter Sicherheitsgesichtspunkten behandelt. So sieht nicht zuletzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre primäre Aufgabe heute in der Gewährleistung von Global Health Security. Diese Verbindung von Gesundheit und Sicherheit ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht bemerkenswert, weil sich der Umgang mit einem Phänomen grundlegend ändert, sobald es als Sicherheitsproblem behandelt wird: Die „Versicherheitlichung“ bewirkt die politische Dramatisierung einer gegebenen Situation und drängt auf die Ergreifung außerordentlicher Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund untersucht das Seminar sowohl die Verfahren als auch die Effekte der Versicherheitlichung von Gesundheit. Es richtet das Augenmerk u.a. auf Notfallpläne, Überwachungstechnologien, humanitäres Design, Grenztechniken, Verfahren des Risikomanagements sowie auf rechtliche Regulierungen. Dabei zeigt sich, dass die scheinbar bloß biologische Problematik der Infektion für das soziologische Studium von Relationen von herausragender Bedeutung ist. In der Behandlung von Krankheitsgefahren geraten nämlich jene materiellen Kontakte in den Blick, durch die sich Menschen mit Mikroben, Tieren und Dingen zu Ansteckungsgemeinschaften verbinden. Die Versicherheitlichung der Gesundheit erweist sich immer auch als eine Versicherheitlichung des Zusammenlebens.