22.01.2021 Hexenprozesse interdisziplinär

Marburger Studierende sprechen auf Fachtagung zu frühneuzeitlichen Hexenprozessen

Bei der interdisziplinären Fachtagung „Zeuberey ist deß Teufels selbs eigen werck – Hexenglaube und Hexenverfolgung im regionalen und interdisziplinären Vergleich“ wurde eine Sektion von Studierenden der Marburger Fachbereiche Geschichte und Kulturwissenschaften (FB 06) und Rechtswissenschaften (FB 01) bestritten. Ausgerichtet wurde die Online-Tagung am 21. und 22. Januar 2021 in einer Kooperation des Hessischen Staatsarchivs, der Stadt und der Philipps-Universität Marburg.

Unter dem Titel „Hexenprozesse interdisziplinär“ gaben die Studierenden einen Einblick in den Marburger Prozess gegen Heinrich Sanger aus Biedenkopf aus dem Jahr 1631. Die im Hessischen Staatsarchiv Marburg aufbewahrte Akte (HStAM 260 Marburg Nr. 577, daraus die Abb.) dokumentiert den Prozess gegen einen 15-Jährigen, der von sich selbst behauptet hatte, Liebeszauber erlernt und ausgeführt zu haben. Einleitend stellten Emmelie Lotzow (FB 01) und Tobias Reichert (FB 06) die Grundlagen des Falls vor und gaben einen Einblick in die ersten Verhöre Sangers: Dieser hatte – soweit aus der mitunter nur schwer zu entziffernden handschriftlich geführten Akte zu rekonstruieren war – behauptet, von einem Schneidersknecht einen Liebeszauber erlernt zu haben, mit dem er seine Attraktivität bei den Mädchen zu erhöhen gedachte. Tatsächlich sei ihm des Nachts im Schlaf auch eine Jungfrau erschienen, mit der er Geschlechtsverkehr gehabt habe – allerdings habe sich diese im Nachhinein als der Teufel höchstpersönlich herausgestellt. Im Laufe des Verhörs gestand Sanger nicht nur diese „Teufelsbuhlschaft“, sondern verschiedene Pakte mit dem Teufel sowie die wiederholte Schändung des heiligen Abendmahls, das er auf Geheiß des Teufels empfangen, dann aber die Hostie auf den Kirchhof erbrochen und zertreten hätte. Stefanie Radschinsky (FB 06) erläuterte sodann die „peinliche“, also strafrechtliche Anklage (Abb. 1) und die diversen Anklagepunkte, bevor Sebastian Alm und David Iselborn (beide FB 01) die erste Stellungnahme des Verteidigers vorstellten und dabei insbesondere auf die dort gegebenen Zitate aus den römischen Rechtsquellen und den Konsilien-Sammlungen eingingen. Der Fall sticht nicht zuletzt dadurch aus den Marburger Hexenprozessen heraus, dass ausnahmsweise Gutachten sowohl der theologischen als auch der juristischen Fakultät der Marburger Universität eingeholt wurden. Marina Hansen (FB 06) und Ninja Münster (FB 01) stellten das theologische Gutachten (Abb. 2) und die damaligen Mitglieder der Fakultät vor, Kerstin Bechtelsheimer (FB 01), Florian Grenner (FB 06) und Greta Robischon (FB 01) präsentierten das Gutachten der Marburger Juristen und das Urteil gegen Heinrich Sanger. Während die Theologen die offenkundige mentale Beeinträchtigung des Jungen („blödsinnigkeit“) betonten und für eine intensive seelsorgerische Betreuung in häuslicher Fürsorge plädierten, sahen die Juristen den Straftatbestand der Apostasie und Gotteslästerung gegeben, die mit dem Tode zu bestrafen sei. Das Gericht folgte den Marburger Juristen: Am 30. Juli 1631 wurde das Urteil auf Tod durch das Schwert und anschließende Verbrennung verkündet.

Erarbeitet wurde der Vortrag im Rahmen einer interdisziplinären Lehrveranstaltung aus dem Sommersemester 2019, geleitet von Prof. Dr. Inken Schmidt-Voges (FB 06, Geschichte der Frühen Neuzeit) und Prof. Dr. Constantin Willems (FB 01, Rechtsgeschichte). Im Rahmen dieses von UMR2027 unterstützten Seminars wurde in wöchentlichen Sitzungen nach einer inhaltlichen Einführung im Wege einer Case Study der Fall Sanger analysiert. Ziel des Formats war es, eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema in gemischten Lerngruppen zu erarbeiten und dabei im interdisziplinären Diskurs die unterschiedlichen Zugänge zweier Fachkulturen kennenzulernen und für erweiterte Fragestellungen fruchtbar zu machen. Der Fall erschien besonders attraktiv, weil er gerade nicht die üblichen Vorstellungen bedient und insofern einen offeneren Blick auf die Umstände und Elemente der Tatbestände und des Prozesses ermöglicht .

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