11.12.2017 Landesgeschichte und früher Naturschutz: Die kurhessische Nachtigallensteuer

In der Kritik am Fiskus wurde die Nachtigallensteuer zum Reizwort. In der modernen Diskussion um ökologische Steuern wurde sie sogar als Kuriosum angeführt. Außergewöhnlich war sie jedoch nicht: Nach Anfängen im späten 18. Jahrhundert bedienten sich im 19. Jahrhundert allein 17 deutsche Staaten dieser Luxussteuer, um die Käfighaltung der wegen ihres lieblichen Reviergesangs bedrohten Nachtigall-Männchen einzuschränken.

Professor Niklot Klüßendorf stellte die Abgabe von Hessen-Kassel als das erste Beispiel für ein solches Vorgehen des Staates dar. Hierbei verknüpften sich fiskalische Gesichtspunkte mit dem frühen Naturschutz. Von Nutzen war die 1802 eingeführte, dem Schutz von Insekten und Raupen fressenden Singvögeln dienende jährliche Steuer nur in einem Punkt. Sie machte aus dem Ausland bezogene Nachtigallen nachweispflichtig und setze für deren Haltung eine Gebühr fest. Der hohe Tarif von einem Dukaten im Jahr, rund 3 Taler, wirkte bei der achtjährigen Lebensdauer eines Vogels als ein Lenkungsinstrument, das Schäden am Bestand der Vögel eindämmen sollte. Inländische Nachtigallen waren durch die separate Androhung einer Geldstrafe von 10-Talern gegen Fangen, Töten und die Neststörung geschützt. Zusammen mit solchen bis 1785 zurückgehenden Verboten aus dem Jahre 1785 wurde die Nachtigallensteuer zu einem frühen Mittel des Naturschutzes. Dieser war jedoch nur partiell, da andere Singvögel nur in bescheidenerem Maß geschützt waren. Unbenommen blieb die „Dunkelziffer“ nicht festgestellter Fälle von Käfighaltung.

Über drei Jahrzehnte dachte kaum jemand daran, diese Steuer zu erheben oder zu zahlen, die sie in einigen Provinzhauptstädten des Kurfürstentums endlich realisiert wurde. Die Polizisten hörten sich in den Straßen nach singenden Stubenvögeln um und scheiterten nicht selten an dem Problem, steuerpflichtige Nachtigallen von ihren Verwandten, den steuerfreien Sprossern, zu unterscheiden.  

Bei der Durchsetzung der vereinzelt bis in die achtziger Jahre, also noch unter der preußischen Herrschaft ab 1866, geltenden Steuer drehte sich die Verwaltung meist um sich selbst. Die Auseinandersetzungen gipfelten im Kreis Schmalkalden, der kurhessischen Exklave inmitten der thüringischen Kleinstaaten, von denen die meisten ebenfalls die Nachtigallenhaltung mit dem Steuerrecht einschränkten. Für diesen Kreis wurden 1836 insgesamt 26 Dienststellen bis in die Hauptstadt Kassel tätig, um die Steuer endlich durchzusetzen, und stritten sich über die Zuständigkeit. Im Ergebnis wurden bis zur Revolutionszeit von 1848 gerade einmal zwei Haltungsfälle aktenkundig. Soeben wurde das weit über den Ort hinaus weisende, den gesamten Mittelstaat angehende Projekt mit seinen Verbindungen zu frühen Naturschutzbestrebungen öffentlich in Schmalkalden vorgestellt. 

Die Nachtigallensteuer lieferte ein Lehrstück für die beinahe zeitlose Auseinandersetzung zwischen pflichtgetreuen, ihre Bestimmungen penibel ausführenden Beamten auf der einen Seite und Bürgern, die kaum Einsicht in die ihre Liebhaberei treffende Sache zeigten und sich vom Anspruch des Staates überfordert fühlten, auf der anderen. Für den Fiskus lohnte sich der Aufwand in Schmalkalden ebenso wenig wie für die anderen Teile des Kurfürstentums. Für den Ertrag dieser Steuer trifft das einschlägige Zitat des römischen Dichters Horaz: Es kreißten die Berge und brachten am Ende eine lächerliche Maus an den Tag.

Niklot Klüßendorf, Die Nachtigallensteuer und der Vogelschutz in Schmalkalden zu kurhessischer Zeit, in: Schmalkaldische Geschichtsblätter 7, 2017, S. 31–59, 2 Abb. (ISSN 2196-2278); Fachbereichsbibliothek: AZ 64.611. Bezugsquelle: Stadt- und Kreisarchiv Schmalkalden, Schloßküchenweg 15, Schmalkalden (www.stadtarchiv-schmalkalden.de).

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