07.10.2024 Conference: Geschlechterkulturen und Krieg (14. & 15. November 2024)
Geschlechterkulturen und Krieg
Der Krieg in Syrien, der Überfall Russlands auf die Ukraine und die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas haben dazu geführt, dass Krieg in den vergangenen Jahren eine unmittelbar erfahrbare Präsenz auch in den europäischen Gesellschaften erlangt hat, welche sich von kriegerischen Konflikten zu unterscheiden scheint, die hauptsächlich medial wahrgenommen werden. Die Anwesenheit einer hohen Zahl Geflüchteter aus den Konfliktgebieten ebenso wie die zahlreichen politischen Proteste im Zusammenhang mit den Gewalthandlungen konfrontieren viele Menschen in ihrer alltäglichen Lebenswelt mit den Auswirkungen dieser Kriege. Besonders deutlich werden dabei die Geschlechterdimensionen: Ein Ausreiseverbot für ukrainische Männer, welche aufgrund ihrer geschlechtlichen Zuordnung für den Kriegsdienst vorgesehen sind (Strelnyk 2023); die relative Unsichtbarkeit kämpfender Frauen (etwa in der Ukraine) oder auch deren medial hervorgehobene Sichtbarkeit (wie in den kurdischen Gebieten); die vornehmliche Zuweisung des Opferstatus und von Sorgezuständigkeit an Frauen sowie Berichterstattung über "Frauen-und-Kinder" (u.a. im Zusammenhang mit den Kampfhandlungen in Gaza 2024) weisen auf geschlechtliche Re-Vereindeutigungen und Rollenzuschreibungen, die Definition vermeintlicher Ausnahmephänomene und auch heteronormativ-familiäre Vorannahmen hin, die in den letzten Jahrzehnten infrage gestellt und brüchig geworden waren. Die Öffnung vieler Armeen für Frauen als Soldatinnen, die zunehmende Enttabuisierung von geschlechtsidentitärer und sexueller Vielfalt ebenso wie die Thematisierung sexueller Gewalt im Militär; Gesetzgebungen zur Gleichstellung gleich- und gemischtgeschlechtlicher Paare, die Anerkennung von mehr als zwei Geschlechtsoptionen und von geschlechtlicher Selbstbestimmung scheinen sich gegenläufig zu den Geschlechterbildern und -dynamiken gegenwärtiger Kriege zu verhalten. Es tritt hierbei die Frage auf, wie diese gegenwartsbezogenen Phänomene zu deuten und historisch einzuordnen sind.
Kulturelle Artefakte und Medien wie Filme, Fotografien, literarische Werke, Malerei und Graphic Novels, Theaterinszenierungen oder Ausstellungen weisen ebenso wie Egodokumente daraufhin, dass Krieg von jeher die kulturelle Verfasstheit von Geschlechterbeziehungen herausgefordert hat. Im Vorfeld, während und nach Kriegen werden Geschlechterordnungen zugleich aufgebrochen und gefestigt. Möglichkeiten und Räume geschlechtsbezogener Veränderungen öffnen oder schließen sich, auch wenn dies angesichts von Verwüstungen sowie politischen, ökonomischen u.a. Umwälzungen zunächst weniger sichtbar scheint (vgl. Hagemann/Schüler-Springorum 2002). Mediale und kulturelle Deutungen von Geschlecht im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen spielen dabei eine zentrale Rolle, so unsere These. Die weitreichenden Implikationen von Krieg auf Geschlechterkulturen sollen daher im Zentrum der geplanten Tagung stehen, wobei historische Fallbeispiele dazu dienen sollen, Zeitdiagnosen des Verhältnisses von Geschlechterkulturen und Krieg vorzunehmen. Die Auswirkungen von Krieg und Militär(dienst) auf die Pluralität geschlechtlicher Identitäten, Geschlechterverhältnisse und -ordnungen sowie Konstruktionen von Männlichkeiten, Weiblichkeiten und Queerness sollen, auch in intersektionaler Perspektive, anhand von kulturellen Artefakten und Medien untersucht und diskutiert werden. Nicht zuletzt soll gefragt werden, wie geschlechtersensible und -plurale Erinnerungskultur gestaltet werden kann.
Organisatorinnen der Tagung
Dr. Jutta Hergenhan, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Center for Diversity, Media, and Law, vormals: Zentrums für Medien und Interaktivität, der Justus-Liebig-Universität Gießen, Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Gender Studies.
Jana Keidel (Erstes und Zweites Staatsexamen), Wissenschaftliche Mitarbeiterin (DFG-gefördert) am Institut für Romanistik im Bereich Französische Literatur- und Kulturwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen, Forschungsschwerpunkte: u.a. Kriegslyrik und Gender Studies.