22.03.2023 Call for Papers für den Workshop "Die SA in der Region"
Die SA in der Region. Workshop zur Regionalgeschichte einer nationalsozialistischen Gewaltorganisation
(Call for Papers)
Deadline für den Call for Papers: 31. Mai 2023
Tagungsleitung: Dr. Martin Göllnitz (UMR, Marburg), Dr. Yves Müller (Institut für Landesgeschichte, Halle)
Tagungstermin: 26.-27. Oktober 2023
Tagungsort: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), Kleine Steinstr. 7, 06108 Halle (Saale)
Die nationalsozialistische Sturmabteilung (SA) war eine der größten und bedeutendsten Gliederungen der NSDAP. Eine Regionalgeschichte der SA bleibt trotzdem Desiderat. Dabei kann gerade die Regionalgeschichte mit ihrer vergleichenden Perspektive und im Sinne einer Gesellschaftsgeschichte der Region(en) vertiefte Erkenntnisse für das Wirken dieser NS-Gliederung liefern. Ein regional- und landeshistorischer Zugang ermöglicht zudem die spezifische kultureller und sozialer Einflussfaktoren.
Die SA in der Region. Workshop zur Regionalgeschichte einer nationalsozialistischen Gewaltorganisation
In wohl jeder kleinräumlichen Einheit von der Kleinstadt bis zum Stadtteil in der Metropole existierte ein Sturm. Eine „Straße der SA“ fand sich außerdem in jeder größeren Ortschaft. Mehr noch: Hochrangige SA-Führer bekleideten Posten in den NS-Mittelinstanzen und einzelne SA-Gruppen übernahmen zentrale Funktionen auf Gauebene. Tatsächlich sind der Aufstieg der NS-Bewegung und die Machtübernahmephase der Nationalsozialisten ohne die mehrere Hunderttausende Männer umfassende „Bürgerkriegsarmee“ nicht zu denken. So wurde die SA 1933 zu einem der zentralen Träger der politischen Gewalt des „frühen Terrors“. Mit der Röhm-Krise 1934 nahm der Siegeszug der SA und ihres Stabschefs Ernst Röhm dann ein jähes Ende.
Doch die SA „überlebte“ die Ermordung eines Teils ihrer Führungsriege und blieb bis zur bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht bestehen. Vielmehr noch war sie auch nach 1934 ein bedeutender Machtfaktor, der in der historischen NS-Forschung allerdings hinter anderen Akteuren des Regimes zurücksteht. So war die SA zentral in den Wehrsport und in die kriegsvorbereitende vormilitärische Ausbildung eingebunden, war ein wichtiger ordnungspolitischer Faktor an der „Heimatfront“ und eine Stütze des zivilen Luftschutzes. Bewaffnete SA-Einheiten waren in Kampfhandlungen involviert, wurden in den von Deutschland besetzten Gebieten aufgebaut und eingesetzt, und stellten im Rahmen des Deutschen Volkssturms das letzte Aufgebot im „totalen Krieg“.
Zwar existiert inzwischen eine über die Jahrzehnte breite historiographische Erforschung der SA und ihrer Akteure; Peter Longerich, Sven Reichardt und zuletzt Daniel Siemens haben Standardwerke der Geschichte der NS-Gliederung vorgelegt. Trotzdem müssen erstaunliche Leerstellen und eine regelrechte Blindheit für die SA nach 1934 konstatiert werden. Auf der einen Seite ordnen lokalhistorische Studien über „Die Stadt XYZ im Nationalsozialismus“ die SA nicht in übergeordnete Kontexte ein, während auf der anderen Seite Arbeiten zur Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus die SA als Bestandteil und Akteurin der imaginierten „Volksgemeinschaft“ bisher kaum wahrgenommen haben. Ähnlich wie auch die unteren Funktionäre der NSDAP insgesamt noch unterforscht sind, bleibt auch die Kohorte der ehren- und hauptamtlichen SA-Führer oft merkwürdig unbestimmt.
Der Workshop möchte einigen dieser Desiderata aufspüren. Mit dem Blick auf die vergleichende Regionalgeschichte ebenso wie die Landes-, Stadt- und Lokalgeschichte sowie die transnationale Geschichte der SA in der Zeit ihres Bestehens von 1921/25 bis 1945 möchte der Workshop nun einen Beitrag zur Erforschung dieser von der Geschichtswissenschaft „vernachlässigten“ Organisation leisten. Berücksichtigt werden soll dabei auch die Nach- und Rezeptionsgeschichte der SA nach 1945.
Mögliche Fragestellungen sind:
- Region: Wie wirkten Regionen mit ihren unterschiedlichen politischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Einflüssen, regional- und milieuspezifischen Mentalitäten und Traditionen auf die SA? Wie unterschieden sich Provinzen (Peripherie) und Großstädte/Metropolen (Zentrum) in Bezug auf das Auftreten der SA? Welche Funktion kam den SA-Gruppen als Mittler zwischen der Obersten SA-Führung in München und den unteren SA-Einheiten zu? Spielte die SA eine Rolle im Regionalismus, insbesondere bei der Ausbildung eines „Grenzlandfaschismus“?
- Alltag: Welche Rolle spielte die SA in der Alltagskultur? Welche Rolle spielten Klasse/Milieu, Herkunft, Konfessionalität, Generationalität sowie Geschlecht in der und für die SA vor und nach 1933/34? Welche Funktion kam der SA bei der Inklusion in der NS-Volksgemeinschaft zu? Wie wurden SA-Angehörige in der Bevölkerung wahrgenommen? Wie wurde die SA in Tagebüchern dargestellt? Wie funktionierte die nationalsozialistische Memorialkultur der „Alten Kämpfer“ und der Märtyrerkult im Lokalraum? Wer waren die Gegner und Konkurrenten der SA? Welche Rolle spielten sogenannte Überläufer für die SA? Welche Funktion und Bedeutung hatte die gewaltsame Auseinandersetzung für beide Seiten?
- Ordnung: Wie funktionierten die personalen Netzwerke (Seilschaften)? Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen SA und NSDAP sowie den anderen NS-Gliederungen und NS-Organisationen auf lokaler und regionaler Ebene? Welche Kooperationen oder Konkurrenzverhältnisse gab es? Welche Funktion hatte die SA in den Bereichen Denunziation und Kollaboration? Wie arbeiteten SA-Einheiten mit Kriminalpolizei und Gestapo zusammen?
- Annexion: Welche Rolle und Bedeutung nahm die SA bei der Destabilisierung und Annexion Österreichs, des Sudetenlandes und des Memellandes ein? Welche Rolle und Bedeutung kam der SA bei dem Überfall auf Polen zu, insbesondere in der Freien Stadt Danzig sowie in Ostoberschlesien? Welche Rolle und Bedeutung hatte die SA in den besetzten Gebieten, vor allem im besetzten Sudetenland und den sogenannten CdZ-Gebieten?
- Mobilisierung: Wie wurde die SA für die Mobilisierung der Bevölkerung im Luftkrieg und in der Kriegsendphase eingesetzt? Welche Rolle und Bedeutung hatte die SA im Rahmen des Volksaufgebots sowie des Deutschen Volkssturms? Wie war die SA als Organisation sowie SA-Einheiten und deren Mitglieder im Speziellen in den nationalsozialistischen Verbrechenskomplex eingebunden, insbesondere bei der Ausgrenzung, Verfolgung und systematischen Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen, in der Partisanenbekämpfung, bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands, bei der Fahndung nach entflohenen Kriegsgefangenen und abgeschossenen Piloten, bei den Kriegsendphasenverbrechen?
- Gedächtnis: Existierten Netzwerke ehemaliger SA-Angehöriger nach 1945 (Seilschaften) und welche Funktion kam diesen zu? Wie wurden ehemalige SA-Angehörige in die post-nationalsozialistischen Gesellschaften integriert? Welchen Platz nimmt die SA im kollektiven Gedächtnis ein? Wie ist die öffentliche, mediale, geschichtswissenschaftliche und literarische Rezeption der SA in der Bundesrepublik, der DDR und Österreich nach 1945 einzuschätzen? Welchen Beitrag kann die Erforschung der SA für eine Regionalgeschichte des Nationalsozialismus leisten?
Mögliche Schwerpunkte und Zugänge sind:
- Regionalgeschichtliche Studien
- Einzel- sowie kollektivbiographische Zugänge
- organisations- und verwaltungsgeschichtliche Ansätze
- geschlechterhistorische Fragestellungen
- regionaler sowie transnationaler Vergleich
- Rezeptions- und Erinnerungsgeschichte
- Oral History
Bewerbung
Vorschläge mit Erläuterung von Thema, Relevanz, empirischer Grundlage und methodischem Zugang können in Form eines ein- bis zweiseitigen Abstracts inkl. Kurzvita zur eigenen Person als PDF-Dokument bis zum 31. Mai 2023 per E-Mail eingereicht werden. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Reise- sowie Übernachtungskosten können vorbehaltlich der Mittelbewilligung in begrenztem Umfang erstattet werden. Die Veröffentlichung der Beiträge in einem Tagungsband wird angestrebt.
Der Call for Papers kann auch über H-Soz-Kult eingesehen werden.
Kontakt
Dr. Martin Göllnitz
Mail: mgoellnitz@uni-marburg.de
Professur für Hessische Landesgeschichte, Philipps-Universität Marburg, Wilhelm-Röpke-Str. 6c, 35032 Marburg