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Die karpatenländischen Beziehungen italischer Kulturgruppen am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit – Soziale und historische Hintergründe
Leitung: PD Dr. Sabine Pabst
DFG – Projektnummer 206469868 / Förderung von 2011 bis 2015 (abgeschlossen)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsvorhabens wurden die Kulturbeziehungen zwischen der Apenninhalbinsel und dem Karpatenbecken während der Spätbronze- bis Früheisenzeit (ca. 14./13. – 10./9. Jh. v. Chr.) untersucht. Im Fokus der überregional vergleichend angelegten Projektanalysen standen neben dem konvergenten archäologischen Formengut beider Großräume vor allem kulturgeschichtliche Fragen sowie die Erforschung der sozialen und historischen Hintergründe. Im Projektverlauf zeigte sich, dass die konstatierten Kulturverbindungen häufig nicht nur bilateral waren. Wiederholt sind parallel Interaktionen mit anderen Gebieten zu verzeichnen, wie insbesondere dem balkanischen und ägäischen Raum. Speziell während des 13. und 12./11. Jh. v. Chr. besaßen die Kontakte zum balkanisch-ägäischen Raum nicht nur peripheren Charakter. Sie bilden für diesen Zeitraum einen entscheidenden Faktor im Zusammenhang mit der Beantwortung sozialer und historischer Fragen. Die typologischen, chorologischen und chronologischen Untersuchungen verschiedener Objektgruppen zwischen Karpatenbecken und Apenninhalbinsel wurden daher auf den balkanisch-ägäischen Raum ausgedehnt. Hinsichtlich weiterer Analysen mussten infolgedessen Schwerpunkte gesetzt werden. Die überregional vergleichenden Untersuchungen des konvergenten Formengutes konzentrierten sich auf ausgewählte Tracht- und Bewaffnungselemente der Spätbronze- bis Früheisenzeit. Denn die in Grabfunden überlieferten Tracht- und Waffenkombinationen sind durch ihre prinzipielle Personengebundenheit für die anvisierte soziale Interpretation des archäologischen Fundbildes besonders prädestiniert.
Die Projektuntersuchungen demonstrieren für den Zeitraum vom 13. bis 10. Jh. v. Chr. vielfältige Kontakte zwischen dem Karpatenbecken und der Apenninhalbinsel. Für verschiedene, in Mittel- und Südeuropa weit verbreitete Tracht- und Bewaffnungselemente können nunmehr konkrete Aussagen zur Herkunft und Ausbreitung resp. Vermittlung getroffen werden. Zugleich gestatten die Studien Einblicke in die Art der Kulturbeziehungen und die dahinter stehenden gesellschaftlichen Prozesse. Für das 13. Jh. v. Chr. weisen einzelne Fibel- und Schwertformen auf karpatenländische Einflüsse im Metallhandwerk sowie in der Tracht und Bewaffnung spätbronzezeitlicher Gemeinschaften des Nordwestbalkans sowie der nördlichen und zentralen Apenninhalbinsel hin. Diese Fremdeinflüsse wurden nicht nur über Nordostitalien, sondern insbesondere auch über die mittlere Adria vermittelt. Entsprechendes Formengut tritt bisweilen ebenfalls in der Ägäis auf und steht hier im Zusammenhang mit mykenischen Handels- und Expeditionsaktivitäten im Adriaraum. Im Rahmen dieser Unternehmungen der ostmediterranen Palastgesellschaften des 13. Jh. v. Chr. sind die in der Ägäis überwiegend lokal produzierten nördlichen Fremdformen als Zeugnisse mykenischen Menschenhandels und Menschenraubs anzusehen. Transadriatische Kontakte geben sich ferner in den Verbreitungskarten verschiedener originär karpatenländischer Violinbogenfibeln des 12. Jh. v. Chr. zu erkennen. Mit den fremden Fibelformen und Trachten treten in Mittelitalien zu dieser Zeit ebenfalls neue Bestattungs- und Deponierungssitten auf. Das sind namentlich Brandbestattungen in Tonurnen mit Deckschale und komplex zusammengesetzte Horte. Beide Phänomene besitzen im Karpatenbecken schon eine längere Tradition. Gleichzeitig sind verschiedenartige ägäische Einflüsse an der oberen Adria zu vermerken, die Zeugnis ablegen von weitreichenden Handels- und Austauschbeziehungen zwischen der spätmykenischen Gesellschaft in der nordwestlichen Peloponnes sowie den westlich und östlich an die obere Adria grenzenden Gemeinschaften. Im Rahmen dieser überregionalen Handelsverbindungen erreichte die Kommunikation der (herrschenden) einheimischen Bevölkerungsgruppen zu beiden Seiten der Adria offenbar eine neue Qualität, die vermutlich auch die Abwanderung zumindest kleinerer südpannonisch-nordwestbalkanischer Bevölkerungsteile einschloss und letztlich in Mittelitalien zu sozialen und religiösen Veränderungen führte. Am Übergang von der Endbronze- zur Früheisenzeit setzte während des 11./10. Jh. v. Chr. ein grundlegender Wandel in den Beziehungen zwischen dem Karpatenraum und der Apenninhalbinsel ein. Im Ergebnis der Projektuntersuchungen sind zu dieser Zeit massive karpatenländische Einflüsse in der Tracht und Bewaffnung der Apenninhalbinsel zu verzeichnen, die große Teile der Bevölkerung betreffen. Zahlreiche Indizien weisen in diesem Zusammenhang auf größere Bevölkerungsbewegungen im Adriaraum während des 11./10. Jh. v. Chr. hin. Hierbei muss grundsätzlich von verschiedenen transadriatischen Strömungen bzw. mehreren Herkunftsgebieten innerhalb des karpatenländisch-nordwestbalkanischen Raumes sowie mehreren Ankunftsgebieten auf der Apenninhalbinsel ausgegangen werden. Die endbronze-/früheisenzeitlichen Emigranten aus dem karpatenländisch-nordwestbalkanischen Raum spielten letztlich offenbar eine nicht unerhebliche Rolle im Rahmen der Genese der frühen historischen Völkerschaften (Etrusker, Latiner) im tyrrhenischen Mittelitalien.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl):
Pabst, Sabine: Carpathian Influences on the Apennine Peninsula at the Transition from the Bronze Age to the Iron Age – A Diachronic Survey of the Social and Historical Background. In: M. Bernabo Brea (Hrsg.), Italia tra Mediterraneo ed Europa: mobilità, interazioni e scambi. Istituto Italiano di Preistoria e Protostoria. Atti della LI Riunione Scientifica Forlì, ottobre 2016. Rivista di Scienze Preistoriche LXX S1, 2020, 379-388.
Pabst, Sabine: Late Bronze Age and Early Iron Age Central Dalmatia in the Sphere of Interaction between the Carpathian Basin, the Apennine Peninsula and the Aegean. In: M. Gavranović et al. (Hrsg.), Spheres of Interaction. Contacts and Relationships between the Balkans and Adjacent Regions in the Late Bronze / Iron Age (13th – 5th BCE). Proceedings Conference Institute of Archaeology Belgrade, September 2017. Perspectives on Balkan Archaeology 1 (Rahden/Westf. 2020) 75-93.
Pabst, Sabine: Elementi dell'armamento danubiano nei corredi di guerriero della prima età del ferro in Etruria. In: N. Negroni-Catacchio (Hrsg.), Armarsi per comunicare con gli uomini e con gli Dei. Le armi come strumenti di attacco e di difesa, status, symbol e dono agli Dei. Preistoria e Protostoria in Etruria. Atti del Tredicesimo Incontro di Studi Valentano, Pitigliano, Manciano, settembre 2016 (Milano 2018) 521-532.
Pabst, Sabine: Spätbronzezeitliche Violinbogenfibeln zwischen Donau, mittlerer Adria und Ägäis. Arheološki Vestnik (Ljubljana) 69, 2018, 135-178.
Pabst, Sabine: Naue II-Schwerter mit Knaufzunge und die Außenbeziehungen der mykenischen Kriegerelite in postpalatialer Zeit. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 60, 2013 (2015) 105-152.
Pabst, Sabine: Der Beginn der Fibeltracht im Karpatenbecken und das Verhältnis der Bz D/Ha A 1-zeitlichen Hortfundhorizonte. In: D. Ložnjak Dizdar/M. Dizdar (Hrsg.), The Beginning of the Late Bronze Age between the Eastern Alps and the Danube. Proceedings International Conference Osijek 2011. Zbornici Instituta za arheologiju Zagreb / Proceedings of Institute of Archaeology Zagreb 1 (Zagreb 2014) 83-99.