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Prähistorische Textilien aus Robenhausen, Kt. Zürich, Schweiz
Ann-Cathrin Scherf
Fundort: Robenhausen, Kt. Zürich, Schweiz
Objekt: Textilfragment/ Geweberest mit verstärkter Kante
Inventarnummer: 1646
Weltweite Berühmtheit erlangte der Fundplatz Robenhausen-Wetzikon im Kanton Zürich durch die hervorragend erhaltenen Textilfunde. In den beinahe 60 Jahren Grabungstätigkeit durch Jakob Messikommer konnten Tausende von Textilresten aus der Zeit der jungneolithischen Pfahlbauer der Pfyner Kultur (3900 bis 3500 v.Chr.) geborgen werden. Durch schwierige Konservierungsbedingungen konnten diese nur zum Teil erhalten bleiben. Die außerordentliche Erhaltung der Textilien ist dem Umstand zu verdanken, dass Robenhausen eine Feuchtbodensiedlung am Südrand des Pfäffikersees ist und die permanente feuchte Lagerung der Textilien die Fasern besonders gut erhielt. Die hohe Konzentration an Leinenresten könnte ein Indiz für einen intensiven Flachsanbau sein. Flachs benötigt möglichst weiches Wasser, wie es im moorigen Robenhausen anzutreffen war. Die Erhaltungsbedingungen allein werden möglicherweise nicht der ausschlaggebende Faktor für die enorm hohe Anzahl an Fragmenten sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass an diesem Ort eine besonders intensive Faserverarbeitung und Textilproduktion stattfand und ein Überschuss für den überregionalen Warenaustausch produziert wurde. Die Verifizierung dieser Theorie blieb bislang ein Desiderat der Forschung.
Aus der Zeit Jakob Messikommers sind zahlreiche Textilien aus Robenhausen an Privatsammler und namenhafte Museen im In- und Ausland verkauft worden und zählen noch heute zu den wissenschaftlich bedeutendsten Textilfunden aus der Zeit prähistorischer Feuchtbodensiedlungen. Wahrscheinlich gelangte schon zu dieser Zeit (1958 bis 1980) das Textilfragment in die Marburger Sammlung für Vor- und Frühgeschichte.
Über die vorgeschichtliche Herstellung von Leinen und die Vorbereitung von Flachs lassen sich kaum gesicherte Aussagen treffen, da nur eine geringe Anzahl an Werkzeugen erhalten geblieben ist. Durch ethnologische Vergleiche lässt sich die Verarbeitung rekonstruieren und mit dem archäologischen Fundgut in Einklang bringen. Die Pflanzen wurden geschnitten, die Samenkapseln entfernt. Bevor das Fasermaterial in Stängeln aufgeschlossen wird, müssen sie zwei Wochen in Wasser eingelegt (oder bei Taunässe auf eine Wiese ausgebreitet), umgangssprachlich „eingesumpft“ werden. Die Faserbündel lassen sich nach diesem Prozess von unnötigen Holzteilen befreien. Im Anschluss wird der Flachs durch Auskämmen der Länge nach gefasert. In Lattringen (CH) fand sich eine hierfür benötigte Gerätschaft, ein sogenanntes „Hechelbrett“. Das Brett wurde mit Löchern versehen und diese mit Dornenspitzen von Schwarzdorn verschlossen. Es datiert ebenfalls in die Pfyner Kultur und wurde auch im Feuchtbodenmilieu konserviert. In volkskundlichen Museen wird dieser Arbeitsschritt mit großen, eisernen Kämmen wiedergegeben.
Bei dem Textilfragment 1646 aus der Lehrsammlung des Vorgeschichtlichen Seminars der Philipps-Universität Marburg handelt es sich um ein einfaches Gewebe aus Leinenzwirn. Der Flachs wurde durch das Spinnen zu Leinengarn verarbeitet. Die Fäden sind von ca. 1 – 2 mm Stärke und liegen parallel an. Sie wurden mit Hilfe eines Gewichtswebstuhles zu einem quadratischen Gewebe geformt. In der Mikroskopaufnahme ist die Parallelität der Fäden deutlich zu erkennen. Ebenso, dass es sich hierbei, mit ca. 5 Fäden pro Zentimeter, um ein recht grobes Gewebe handelt. Bei der verstärkten Kante des Textilfragmentes wird es sich womöglich um eine Anfangskante handeln, die durch das Befestigen der sogenannten Kettfäden am Webstuhl entsteht. Diese Technik sorgte dafür, dass das Kettfädenmaterial sortiert und gleichmäßige Abstände zwischen den Fäden eingehalten werden konnten. Zudem zierten sie auch den Geweberand. Auch eine Reparaturstelle ist jedoch denkbar, verifizieren lässt sich dies erhaltungsbedingt nicht mehr.
Prähistorische Textilien hinterlassen uns heute einige Aufschlüsse zu den handwerklichen Tätigkeiten und Herstellungstechniken. Aus ihrer Analyse ergeben sich aber auch zahlreiche neue Fragestellungen. Wer waren die Produzenten? Warum produzierten sie Textilien? Für den Eigenbedarf oder für den Warentausch? Welche Personengruppen trugen welche Kleidungen? Wurden die Textilien für Kleidungen, für Gegenstände oder als Kunstobjekte hergestellt? Die Textilforschung wird sicher auch in Zukunft noch viele interessante Fragestellungen klären können und damit zum tieferen Verständnis prähistorischer Wirtschafts- und Sozialstrukturen beitragen.
Literatur:
K. Altorfer, Die prähistorischen Feuchtbodensiedlungen am Südrand des Pfäffikersees. Eine archäologische Bestandsaufnahme der Stationen Wetzikon-Robenhausen und Wetzikon-Himmerich (Zürich 2010).
K. Grömer, Prähistorische Textilkunst in Mitteleuropa. Geschichte des Handwerks und der Kleidung vor den Römern (Wien 2010).