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Webgewichte und Spinnwirtel
Ann-Cathrin Scherf
Fundort: Troja, Türkei (rechter Spinnwirtel), unbekannt (schwarzer Spinnwirtel und Webgewicht)
Objekt: Webgewichte und Spinnwirtel
Inventarnummern: 332, 3618 a-c
Hinweise auf prähistorische Textilproduktion geben uns heute nur noch wenige Gegenstände. Ein Webstuhl, aus Holz gefertigt, überdauert die Zeit nicht oder nur unter besonderen Umständen. Was erhalten bleibt, sind Werkzeuge und Teile der Webstühle aus Stein oder Keramik. Dazu gehören neben kleinen Spinnwirteln, die mit hölzernen Spindeln zur Herstellung von Garn verwendet wurden, auch die teilweise sehr großen, pyramidalen Webgewichte, die zur Straffung der Kettfäden am Gewichtswebstuhl dienten.
Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie zeitaufwendig die Textilproduktion einst war. Vor allem das Spinnen mit der Handspindel stellt Anfänger vor eine gewisse Herausforderung. Ein hölzerner Stab von 20-30 cm Länge mit einem im unteren Drittel befestigten Schwunggewicht, dem Spinnwirtel, diente dazu, aus Wollflies einen Faden herzustellen, welcher nach Belieben weiterverwendet werden kann (s. links auf der Abbildung). Der Anfangsfaden wird an der Spindel befestigt und diese in Drehung versetzt. Der Spinnwirtel selbst stabilisierte die Fadenbildung, denn durch gleichmäßige Rotation wird dieser beim Drehen der Spindel nach unten gezogen. Die Fasern, zum Beispiel Schafswolle oder Flachs, hält man in einer Hand, während man mit der anderen Hand die Spindel dreht und aus dem Flies gleichmäßig das Fasermaterial löst. Andere Materialien, zum Beispiel der gekämmte Flachs, werden während des Spinnens nicht in der Hand gehalten, sondern an einem sog. Rocken, einem langen Stab, befestigt von dem die Flachsfasern herunter gezupft werden. Durch die Drehung der Spindel zwirbelt der Faden gleichmäßig auf. Wenn der entstandene Fanden lang genug ist, wird er am unteren Spindelende verknotet und der Spinnvorgang kann sich wiederholen. Ethnologische Beobachtungen, beispielsweise aus dem Andenhochland in Peru, zeigen, dass eine geübte Person das Spinnen mit der Handspindel während des Tages und parallel zu anderen Tätigkeiten ausführen kann. So wurden unter anderem Frauen auf dem Weg zum Markt beim Spinnen während des Gehens beobachtet.
Form und Verzierung der Spinnwirtel unterscheidet sind im Laufe der Zeit, auch wenn kein vollständiger typologischer Überblick gegeben werden kann. Die Veränderung in Form und Verzierung dient nicht der Funktion, sondern, wie bei vielen anderen Dingen auch, dem modischen Trend. Die ersten Spinnwirtel in Mitteleuropa kennen wir seit dem Beginn der Jungsteinzeit vor ungefähr 7600 Jahren. Die ersten Spinnwirtel wurden noch aus „recycelten“ Keramikfragmenten hergestellt, indem mittig ein Loch in die Scherbe gebohrt wurde. Später treten scheibenförmige Spinnwirtel auf und ab der späten Bronze- und frühen Eisenzeit (um 800 v. Chr.) sind sie eher klein, zierlich und verspielt gestaltet. Im archäologischen Fundgut trifft man auf Spinnwirtel nicht nur in prähistorischen Siedlungen, auch in Gräbern sind sie zu finden.
Der Spinnwirtel aus Troja (s. Abbildung, rechts) ist durch eingeritzte, doppelte Kreise verziert, die sich einmal um die Längsachse des Wirtels wiederholen. Er rund und doppelkonisch, genauso wie der Spinnwirtel, der auf der Abbildung als Rekonstruktion einer kompletten Spindel dient. Nur ist dieser aus schwarzem Ton hergestellt und weist keinerlei Verzierungen auf. An den drei verschiedenen Spinnwirteln aus Troja auf der rechten Bildhälfte ist der Größenunterschied der Fundstücke deutlich zu erkennen.
Der nächste Schritt zum fertigen Textil ist das Weben. Es gibt unterschiedliche Arten von Webtechniken. Das Brettchenweben ist eine davon, dafür benötigt man wenige Werkzeuge und Geräte und man ist mobil ebenso beim Bandweben. Die Endprodukte sind schmale Bänder, die zur Verzierung von Gewändern oder als Tragegurte genutzt werden können.
Für breitere Webarbeiten wurde ein Webstuhl bevorzugt. Dafür wird ein Holzgerüst an die Wand gelehnt, es gibt aber auch waagerechte Varianten. Zum Spannen der senkrecht verlaufenden Kettfäden, die an einem waagerecht verlaufenden Querbalken befestigt sind, werden tönerne Webgewichte verwendet. Eine Herausforderung hierbei ist, dass alle Kettfäden gleichmäßig gespannt sein müssen. Ein Schussfaden, welcher von rechts nach links mithilfe von einem Litzenstab durch die unterschiedlich angeordneten Kettfäden geführt wird, lässt das Gewebe entstehen. Die Länge des Gewebes ist abhängig davon, wie oft der Vorgang wiederholt wird. Es kommt auf die Übung der Weberinnen und Weber an, wie lange es dauert ein Gewebe fertigzustellen. Ein gutes Beispiel ist die Nachbildung des sogenannten „Thorsberger Prachtmantel“ aus der Römischen Kaiserzeit, ein aufwendiges Körpergewebe mit den Maßen 2,36 x 1,68m. Zwei Weberinnen brauchten für den Prachtmantel wahrscheinlich ungefähr ein Jahr.
Webstühle werden meist indirekt anhand von Webgewichten nachgewiesen und sind seit dem Neolithikum vor allem aus Siedlungen bekannt. Neolithische Webgewichte sind in der Regel groß und schwer, kugelförmig bis walzenförmig. Ab der Spätbronzezeit sind die Gewichte meist pyramidenstumpfförmig, es gibt aber auch scheibenförmige bis flach-ovale Belege. Form und Gewicht eines Webgewichts wirken sich auf die Fadendichte aus. Im Vergleich zu den neolithischen bis mittelbronzezeitlichen Textilfunden kann man an hallstattzeitlichen Geweberesten eine deutlich höhere Gewebedichte feststellen.
Das in diesem Artikel abgebildete pyramidenförmige Webgewicht ist aus einfachem Ton gefertigt und in Form gebracht worden, das verjüngte Ende ist durchbohrt. Der Erhaltungszustand ist recht gut, lediglich ein Teil der Standfläche ist gebrochen. Trotz des Bruches ist ein Seitenmaß der Standfläche von 11 cm rekonstruierbar, die gesamte Höhe beträgt 17cm. Leider ist der Fundort des Webgewichtes unbekannt, weshalb uns weiterführende Informationen zu diesem Stück verborgen bleiben.
Literatur:
K. Grömer, Prähistorische Textilkunst in Mitteleuropa. Geschichte des Handwerks und der Kleidung vor den Römern (Wien 2010).
K. v. Kurzynski, „…und ihre Hosen nennen sie baracas“. Textilfunde und Textiltechnologie der Hallstatt- und Latènezeit und ihr Kontext. In: C. Dobiat/ K. Leidorf (Hrsg.), Internat. Arch. 22 (Espelkamp 1996).
K. Schlabow 1952: Der Prachtmantel von Thorsberg, der Schlüssel zum altgermanischen Webstuhl. Festschrift G. Schwantes (Neumünster 1952).