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Gottsblitz
Erinnern wir uns: Nachdem das Reformationsjahr mit seinen vielen Höhepunkten und stattlichen Festivitäten beinahe vorbei ist, beschäftigt sich zu dessen Ausklang eine Gruppe von Studierenden, Lehrenden und Alumni des Instituts für Bildende Kunst der Philipps-Universität mit dem Motiv des Blitzes und beleuchtet damit die Initialzündung des reformatorischen Wirkens Martin Luthers: Als junger Student wurde er während eines Unwetters beinahe von einem Blitz getroffen. Von diesem Blitzschlag bis ins Mark erschüttert, ereilte ihn die Angst, unvorbereitet vor seinen Schöpfer treten zu müssen. Darum schwor er Mönch zu werden, sollte er überleben...
Der historische Kleine Rittersaal des Marburger Schlosses als Ausstellungsort wird mit einer eigens konzipierten Rauminstallation bespielt, die die Malereien, Grafiken, Videos, Objekte und Installationen der Künstlerinnen und Künstler zu einem Gesamtgefüge verbindet. In diesem hybriden Konglomerat wird ein Spektrum von künstlerischen Positionen, die sowohl atmosphärisch, als auch kritisch-konzeptionell sowie introspektiv die Konstitutionen der Welt untersuchen. Die Vorgabe, sich mit dem Motiv des Blitzes zu beschäftigen, wurde unterschiedlich aufgegriffen. Der Umgang mit dem Thema Zeit ist in vielen Positionen zu finden. Dennoch unterscheiden sich die einzelnen künstlerischen Beiträge sehr und umkreisen das Phänomen des Blitzes als eine Erscheinung zwischen Physik und Mystik, Bedrohlichkeit, formal-sachlicher Nüchternheit und kontemplativer Faszination auf vielfältig assoziative Weise. In der individuellen Auseinandersetzung mit dem Blitz in Verbindung mit dem Ereignis, das Luther erlebt haben soll, hat sich mehrheitlich ergeben, dass die Distanz zur Geschichte eine offenere künstlerische Arbeitsweise provoziert, wodurch zugleich eine vielschichtige Lesbarkeit ermöglicht wird. Im Rückblick möchte ich behaupten, dass die in dieser thematischen Ausstellung zusammengeführten Positionen in ihrer Vielfalt die Schwierigkeiten adäquaten Gedenkens und Erinnerns widerspiegeln. Der Authentizität und Ernsthaftigkeit der künstlerischen Haltungen und Fragestellungen schadet es nicht.
Neben den verschiedenen künstlerischen Arbeiten erweitern Gegenstände das poetische Potential und das Spektrum möglicher Assoziationen der Ausstellung. Beispielsweise korrespondiert ein gelber Feuerwehrschlauch farblich und inhaltlich mit anderen Exponaten. An anderer Stelle zeugen Fulgurite (Blitzröhren, die beim Einschlag eines Blitzes in Sand entstehen, der zu dünnem Glas verschmilzt) von der immensen Energie, die Blitze entfachen und in der Erde hinterlassen können. Das zunächst willkürlich wirkende Chaos der installativen Ausstellungssituation, in die der sprichwörtliche Blitz eingeschlagen zu haben scheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als feine Komposition und abgestimmte Ordnung im historischen Museumsraum. Besucherinnen und Besucher werden Teil des Gesamtbildes und sind eingeladen und aufgefordert, sich offen auf die Rauminstallation einzulassen und sich auf eine Entdeckungsreise des Sehens zu begeben. Neugier und Bereitschaft zur Auseinandersetzung vorausgesetzt, werden Besucherinnen und Besucher die teilweise improvisierten bzw. an den Ort angepassten Werke und offenen künstlerischen Fragestellungen aufgreifen und für sich auf ästhetische, aber auch inhaltliche und poetische Weise rezipieren können. Das künstlerische Potential entfaltet sich mit der Zeit und Ruhe, die sich Einzelne in dem sehr besonderen Raum nehmen.
Die vorliegende Publikation wird diesem Anspruch in ihrer Umsetzung gerecht, indem sie Blitzlichtern gleich einzelne Momente und Perspektiven einfängt und den Betrachtenden einen Eindruck von Gottsblitz vermittelt und einen immer wieder sich neu fokussierenden Blick durch die Ausstellung ermöglicht.
(Klaus Lomnitzer)
Institut für Bildende Kunst der Philipps-Universität Marburg; Museum für Kunst- und Kulturgeschichte der Philipps-Universität Marburg (Hrsg.): Gottsblitz. Lomnitzer, Klaus (Textbeitrag). Marburg 2018 – Faltblatt.