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Jürgen Erich Schmidt: Interviewserie „Bausteine einer empirisch fundierten Sprachtheorie“
Forschungszentrum „Deutscher Sprachatlas“, Universität Marburg
2. Oktober 2024
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Interview 1 „Uralte prosodische Universalien“ mit Dr. Tillmann Pistor, Universität Bern
Tillman Pistor hat vier kleine Melodiemuster (meist auf Mhm oder Äh realisiert) nachgewiesen, die in allen Sprachen der Welt vorkommen und älter als 60.000 Jahre sein dürften. Sie sind wahrscheinlich vorsprachlich und dienen der Steuerung von Aufmerksamkeit und Interaktion.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Interview 2 „Vom Hirn zur Sprache“ mit Prof. Dr. Sonja Kotz, Universität Maastricht, und Dr. Lars Meyer, Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Menschliche Hirnzellenverbände produzieren wiederkehrende Schwingungen in verschiedenen Frequenzen („Rhythmen“). Dass Menschen sie mit unterschiedlichen (sinntragenden oder sinnunterscheidenden) Schallereignissen (Phrasen, Silben, Lauten) koppeln bzw. synchronisieren können, dürfte die evolutionäre Grundlage unserer Sprachfähigkeit bilden.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Interview 3 „Vom Einzelzeichen zur Simulation von Wahrnehmung und Erleben“ mit Prof. Dr. Simon Kasper, Universität Düsseldorf, und Stefan Rabanus, Universität Verona
Während Primaten wie Schimpansen oder Bonobos maximal ein paar hundert Einzelzeichen (Wörter) lernen können, ist die große Besonderheit der menschlichen Sprachen, dass sie dazu anleiten, die Wahrnehmung bzw. das Erleben komplexer Szenen nachzuvollziehen. Dazu haben wir verschiedene „Tricks“ entwickelt: Die Anordnung der Sprachzeichen folgt prinzipiell der zeitlichen Abfolge bei der Wahrnehmung. Aspekte der ganzheitlichen Wahrnehmung müssen symbolisch „ausgelagert“ (auf verschiedene Wörter und Wortarten verteilt) , Handlungsmöglichkeiten lexikalisch vereinseitigt, Handlungsrollen (u. a. morphologisch) vereindeutigt werden. Für die neue anthropologische, sozialpsychologisch-pragmatische Sprachtheorie werden neurolinguistische, sprachtypologische, korpuslinguistisch-historische und dialektdynamische Belege vorgestellt.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Interview 4 „Wandel in natürlich gesprochener Sprache“ mit Prof. Dr. Joachim Herrgen, Forschungszentrum „Deutscher Sprachatlas“, Universität Marburg
Warum wandeln sich Sprachen ständig? Die Sprachdynamiktheorie wurde auf der Basis eines „Großexperiments“ entwickelt: Für die deutschen Dialekte liegen empirische Daten vor, die es ermöglichen, den Wandel der natürlich gesprochenen Sprache über mehr als ein Jahrhundert exakt zu verfolgen. Dabei lassen sich die entscheidenden Faktoren für Stabilität und Wandel erkennen: Es sind einerseits die ständigen Synchronisierungsakte, in denen wir unser Sprachwissen in jeder Interaktion abgleichen, und andererseits sprachkognitive Verfestigungen, die individuell nur durch mühsames Umlernen zu überwinden sind und sozial zur Abgrenzung von Sprechergruppen genutzt werden. Dass diese Faktoren mit unterschiedlichen hirnphysiologischen Aktivitäten verbunden sind, konnte u. a. mit Hilfe von neurolinguistischen Studien zu Dialektgrenzen gezeigt werden.