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Messung und Förderung funktionaler Literalität im Rahmen einer Sprachlernberatung für gering-literalisierte DaZ-Lernende
Martina Franz dos Santos
Betreuende: Prof. Dr. K. Siebold
Kontakt: franzdom@staff.uni-marburg.de
Für Lernende von Deutsch als Zweitsprache (DaZ), die z.B. aufgrund unzureichender Bildungsangebote im Herkunftsland eine schriftferne Sozialisation durchlaufen haben, bedeutet die fehlende Möglichkeit, an literalen Praktiken im Aufnahmeland teilzunehmen, häufig den Ausschluss von voller und selbstbestimmter Teilhabe. Insofern steht bei der Vermittlung literaler Kompetenzen für diese Zielgruppe zunächst die Funktionalität schriftsprachlicher Kompetenzen im Vordergrund.
Die funktionale Verwendung von literalen Kompetenzen setzt voraus, dass Lernende mit der Art und Weise, wie sprachliche Repräsentationen in literalen Praktiken im Aufnahmeland verwendet und verstanden werden, vertraut sind. Sprachliche Repräsentationen sind mentale Modelle, die es Individuen ermöglichen, Bedeutungen aus Texten zu extrahieren und diese für kommunikative Zwecke zu nutzen. Sprachliche Repräsentationen sind dabei nicht nur einfache Abbildungen von Wirklichkeit, sondern unterliegen sozialen Konventionen und Praktiken. Die soziale Natur von Literalität wurde insbesondere von den New Literacy Studies diskutiert, in deren Rahmen eine Reihe hauptsächlich ethnografischer Studien (z.B. Cole und Scribner 1981; Heath 1983; Barton und Hamilton 2003) erschienen sind, die aufzeigen, wie stark die Verwendung von Schriftsprache durch gesellschaftliche Diskurse und Machtverhältnisse geprägt ist. Die erfolgreiche Teilhabe an literalen Praktiken setzt entsprechend weit mehr als die reine technische Fähigkeit des Lesens und Schreibens voraus. Vielmehr müssen Lernende auch mit sozialen Konventionen zur Bedeutung (schrift)sprachlicher Zeichen und deren konkreter Verwendung in sozialen Gefügen vertraut gemacht werden.
Das Ausbilden stabiler sprachlicher Repräsentationen und der Erwerb (funktionaler) literaler Kompetenzen in der Zweitsprache Deutsch stellt Lernende jedoch vor große Herausforderungen. Denn diese Lernenden müssen nicht nur eine neue Sprache lernen, ohne dabei auf schriftsprachliche Ressourcen und Strategien zurückgreifen zu können, sie müssen auch die Prinzipien und Techniken einer Schriftsprache anhand sprachlicher Einheiten erlernen, die ihnen noch neu und fremd sind. Hinzu kommt, dass die Funktionalität von literalen Kompetenzen sehr stark von den individuellen (schriftsprachlichen) Bedürfnissen der Lernenden abhängig ist, die wiederum von einem Lernenden zum anderen sehr unterschiedlich aussehen und sich im Laufe der Zeit ändern können.
Eine Möglichkeit, um diesen individuellen Förderbedarfen begegnen zu können, ist die Sprachlernberatung. Sprachlernberatung zielt in erster Linie darauf ab, die Bewusstheit der Lernenden für ihre eigenen Lernprozesse zu erhöhen und ihnen dadurch eine stärkere Kontrolle über ihr Lernen zu ermöglichen. Für den Bereich der DaZ- Alphabetisierungskurse wurde ein Lernberatungs-Konzept von Markov, Scheithauer und Schramm (2015) vorgelegt, welches an die Bedürfnisse von wenig literalisierten Lernenden angepasst ist. Eine empirische Validierung der Effektivität dieses Lernberatungs-Konzeptes im Hinblick auf die Förderung funktionaler literaler Kompetenzen für Teilnehmende in Alphabetisierungskursen steht allerdings noch aus.
Im Rahmen dieses Forschungsprojektes soll das Lernberatungskonzept in einer Interventionsstudie mit Prä- und Posttest hinsichtlich seiner Wirksamkeit und Angemessenheit für die anvisierte Zielgruppe empirisch untersucht werden. Hierfür wurde anhand der LASLLIAM-Deskriptoren des Europarats ein Diagnostiktest für Lernende mit geringer Literalität entwickelt, der u.a. für eine videobasierte retrospektive Befragung zu Strategienutzung eingesetzt wird. Die erhobenen Daten werden unter der Fragestellung ausgewertet, ob ein Zuwachs an funktionaler Literalität (hinsichtlich der von den Lernenden selbst formulierten schriftsprachlichen Handlungen) zu verzeichnen ist. Des Weiteren werden auch allgemeinere Erkenntnisse in den Erwerb sowie das Messen funktionaler literaler Kompetenzen von erwachsenen Lernenden angestrebt, die idealerweise einen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs in diesem Bereich leisten können.