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Vom Konkreten im Abstrakten. Eine kognitionslinguistische Analyse zu Konkreta und Abstrakta

Prof. Dr. Judith Papadopoulos

Information Experience and Design Research Group (IXD)

Betreuung

Prof. Dr. Christina Kauschke
Prof. Dr. Richard Wiese 



Förderung

Stipendium im Graduiertenkolleg NeuroAct (Deutsche Forschungsgemeinschaft)

Beschreibung

In der Dissertation wurde eine sprachsystematisch-theoretische Grundlage zur Erfassung von Konkretheit erarbeitet und empirisch untersucht, welchen Einfluss die definierten Konkretheitskriterien auf die Sprachverarbeitung haben. Folgende Fragen waren forschungsleitend:

  • Welche Merkmale bestimmen Konkretheit?
  • Wie wirkt sich Konkretheit auf die Wortverarbeitung aus?
  • Wie wirken sich unterschiedliche Erfahrungen in der sinnlichen Wahrnehmung auf die Wortverarbeitung aus?

Zur Beantwortung der letztgenannten Frage wurden Menschen mit unterschiedlicher Sinneswahrnehmung hinsichtlich ihrer Sprachverarbeitung von Konkreta und Abstrakta verglichen. Die gewählten Populationen waren Geburtsblinde (defizitäre Wahrnehmung), Farb-Wort-Synästhetiker (additive Wahrnehmung) und sehende Nicht-Synästhetiker (neutrale Wahrnehmung).

Wesentliche Erkenntnisse der Arbeit sind:

  1. Konkretheit ist nicht auf das Merkmal der Sinneswahrnehmung beschränkt
  2. Konkretheit ist eine dynamische Größe

Konkretheit ist nicht auf das Merkmal der Sinneswahrnehmung beschränkt (ontologische Konkretheit)

In einem Reaktionszeitexperiment zum lexikalischen Entscheiden wurde der Einfluss von Konkretheitsmerkmalen untersucht. Neben dem Merkmal der Sinneswahrnehmung, das in der empirischen Forschung wesentlich ist, wurden weitere Merkmale untersucht, die im sprachtheoretischen Diskurs relevant sind. Diese Merkmale sind Raum-Zeit (Lyons 1977) und Lebenswelt (Husserl 1994). Die Ergebnisse des Reaktionszeitexperiments zeigen, dass bei allen drei Populationen die Merkmale Lebenswelt, Sinneswahrnehmung und Raum-Zeit sowohl theoretisch als auch empirisch wichtige Unterscheidungskriterien für Konkretheit darstellen. Abbildung 1 veranschaulicht die Definition von Konkretheit unter Berücksichtigung dieser Merkmale.

Abbildung 1: Modell zur Erfassung von Konkretheit auf Basis der Merkmale Sinneswahrnehmung, Raum-Zeit und Lebenswelt.


Die Ergebnisse betonen den Einfluss der Lebenswelt auf die Wortverarbeitung: Wörter, die auf die innere Lebenswelt bezogen sind, werden schneller verarbeitet als Wörter, die auf die äußere Lebenswelt bezogen sind. Innerhalb der Lebenswelten zeigt sich ein Effekt der Sinneswahrnehmung: Wörter, die sinnlich wahrnehmbar sind (innere Lebenswelt: z. B. Schmerz, Müdigkeit / äußere Lebenswelt: z. B. Rose, Auto), werden besser verarbeitet als Wörter, die sinnlich nicht wahrnehmbar sind (innere Lebenswelt: z. B. Denken, Idee / äußere Lebenswelt: Dosis, Datum). Das Raum-Zeit-Merkmal teilt die sinnlich wahrnehmbare Außenwelt feiner ein in Wörter mit Bezug auf außen wahrnehmbare, raum-zeitlich fixierte Entitäten (z. B. Rose oder Pferd) und Wörter mit Bezug auf außen wahrnehmbare, zeitliche Erscheinungen (z. B. Erdbeben oder Nebel). In der Innenwelt bezieht sich die Wahrnehmbarkeit auf zeitlich definierte Erscheinungen, die ausschließlich mit den körpernahen Sinnen wahrnehmbar sind.

Konkretheit ist eine dynamische Größe (konzeptuelle Konkretheit)

Unter Punkt 1 wurde Konkretheit ontologisch beschrieben, d. h. mittels Kriterien, die von dem Referenzobjekt eines Wortes bestimmt werden. In der Arbeit wurde Konkretheit zudem konzeptuell erfasst. Konzeptuelle Konkretheit berücksichtigt die Erfahrungen mit einem Referenzobjekt, die aus der Interaktion eines Menschen mit seiner Umwelt entstehen. Diese Erfahrungen fließen in die Konzeptbedeutung mit ein und führen zu Konkretisierungen über eine Merkmalsanreicherung. Diese dynamische Sichtweise auf Konkretheit ist prägend für die kognitive Linguistik. Deutlich wird dies bei der konzeptuellen Metapherntheorie: Über Metaphern werden abstrakte Konzepte mit Merkmalen aus konkreten Quellbereichen angereichert und körperlich verankert. In einem Experiment wurde überprüft, ob sich die verschiedenen Wortkategorien aus dem Konkretheismodell (siehe Abbildung 1) in der Anzahl verwendeter Metaphern unterscheiden. In einem Spiel erklärten die Teilnehmer unterschiedliche Begriffe. Es nahmen Blinde und Sehende teil. Die Ergebnisse zeigen bei beiden Populationen einen Lebenswelteffekt bei Wörtern, die auf sinnlich nicht Wahrnehmbares referieren: Wörter, die auf die innere Lebenswelt bezogen sind, werden stärker metaphorisiert als Wörter, die auf die äußere Lebenswelt bezogen sind. Der eigene Körper scheint für den Menschen der primäre Bezugspunkt zu sein. Zum menschlichen Köprer gehören nicht nur Organe, sondern auch geistig-seelische und psychische Komponenten. Der Mensch hat das Bedürfnis, den eigenen Körper mit all seinen Vorgängen und Erscheinungen zu verstehen und zu begreifen. In diesem Prozess fungieren Metaphern als Verständnis- und Konkretisierungshilfe.

Die vollständige Dissertation ist online verfügbar.