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Rückwärtssprechen: Sprache einmal anders
Jede/jeder hat sicher schon einmal überlegt, wie der eigene Name klänge, wenn man ihn rückwärts aussprechen würde. Aber was heisst es eigentlich, »rückwärts« zu sprechen? Einfach Buchstaben in umgekehrter Reihenfolge, also von rechts nach links zu lesen und auszusprechen? Oder Sprachlaute so umzudrehen, dass das Gesagte, wenn man es aufnimmt und umdreht, dann wieder wie »vorwärts« klingt? Letztere Fähigkeit besitzt der Rückwärtssprechprofi Bernhard Wolff (Webseite), der mit seinem Können bereits viele Menschen fasziniert hat. Die Fähigkeit des Rückwärtssprechens ist in der Tat faszinierend.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Aktueller Forschungsstand
Hier finden Sie einen aktuellen Forschungsstand zum Rückwärtssprechen: LITERATURÜBERSICHT
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Vortrag über Rückwärtssprechen und Rückwärtssprache
Am 29.11. sind die Ergebnisse der Online-Studie zum Rückwärtssprechen im Linguistischen Kolloquium vorgestellt worden. Hier können die Folien des Vortrags eingesehen werden: LINK
Fragen und Antworten zum Rückwärtssprechen
- Kann jede/r rückwärtssprechen lernen?
- Woher kommt die Begabung?
- Seit wann gibt es Rückwärtssprechende?
- Ist Rückwärtssprechen eine Geheimsprache?
- Wie viele Menschen deutschlandweit beherrschen das Rückwärtssprechen?
- Warum ist diese Begabung wissenschaftlich so interessant?
- Hat dieses Talent etwas mit fotografischem Gedächtnis zu tun?
- Ist Rückwärtssprechen nachteilig oder gar gefährlich?
- Ab wann setzt das Rückwärtssprechen ein?
- Was zeichnet nun eigentlich die guten und flüssigen Rückwärtssprechenden aus?
Kann jede/r rückwärtssprechen lernen?
Prinzipiell ja. Kürzere Wörter rückwärts lesen oder aussprechen ist gut lernbar. Schwierig wird es bei längeren Wörtern oder ganzen Sätzen! Die meisten, die sich als Rückwärtssprechende verstehen, können mindestens einzelne Wörter rückwärts aussprechen, die Profis schaffen dann sogar die Sätze von hinten nach vorne - also komplett rückwärts - zu artikulieren - wie Bernhard Wolff. Natürlich macht auch hier Übung den/die Meister/in. Flüssiges Rückwärtssprechen, insbesondere von neuen Wörtern und Sätzen, setzt Übung voraus.
Woher kommt die Begabung?
Es gibt mindestens zwei Theorien, was die Grundlage dieser Begabung angeht: Ein besonders gutes Arbeitsgedächtnis und/oder ein sehr hohes Sprachbewusstsein.
Arbeitsgedächtnis heisst: Wieviele Einheiten kann ich mir merken, aus dem Gedächtnis abrufen und eben rückwärts anordnen? Ein üblicher Test dazu: Es wird Ihnen eine Telefonnummer Ziffer für Ziffer auf dem Bildschirm vorgestellt, und Ihre Aufgabe ist es, sie rückwärts zu wiederholen. Die meisten schaffen 8-9 stellige Ziffernfolgen, bei längeren Ziffernfolgen wird es schwierig.
Sprachbewusstsein heisst: Habe ich ein gutes intuitives Verständnis für einzelne Laute der Sprache und für die Beziehung von Buchstaben und Lauten? Habe ich die Fähigkeit, Bestandteile von Wörtern zu erkennen?
Seit wann gibt es Rückwärtssprechende?
Menschen, die rückwärts sprechen, scheint es schon eine längere Zeit zu geben. Konkrete Hinweise in der Literatur gibt es ab Ende des 19. Jahrhunderts. Frühere Evidenz dafür liefert die Schrift. Rückwärts Sprechen wird nämlich immer auch von der Schriftsprache begünstigt. Hier gibt es Hinweise, dass zumindest in bestimmten Sprachen rückwärts geschrieben wird, insbesondere dann, wenn es nicht um die Standard- oder Alltagssprache geht, sondern etwa um Zaubersprache, womit Geister und Götter beschwört werden sollten.
Ist Rückwärtssprechen eine Geheimsprache?
Rückwärtssprechen kann als Geheimsprache fungieren. Es ist eine relativ einfache Möglichkeit, zu einer Geheimsprache zu gelangen, denn die Regel ist ja ganz klar: Von hinten nach vorn aussprechen. Das kann allerdings Wort für Wort geschehen, oder tatsächlich satzweise. Damit stehen mehrere Möglichkeiten für eine Geheimsprache offen. Bestimmte Gruppen können damit Informationen austauschen, ohne dass andere sie dekodieren können. Und natürlich fallen einem da Kinder ein, die rückwärts sprechen, um von ihren Eltern nicht verstanden zu werden.
Wie viele Menschen deutschlandweit beherrschen das Rückwärtssprechen?
Das ist schwierig zu sagen. In den letzten Jahren haben wir von sicherlich 100 Menschen erfahren, die das sehr gut können. Da es prinzipiell jeder lernen kann, ist es schwierig zu sagen, wieviele es wirklich können.
Warum ist diese Begabung wissenschaftlich so interessant?
Interessant ist es für die Theorie der Sprachwissenschaft, und die Frage, was eigentlich die Bestandteile der Sprache sind. Wörter? Laute? Und interessant ist es auch deshalb, weil man damit der Frage näherkommen kann, welche Einheiten für die automatische Spracherkennung am besten geeignet sein könnten.
Hat dieses Talent etwas mit fotografischem Gedächtnis zu tun?
Das ist naheliegend. Menschen, die gut rückwärts sprechen können, haben ein sehr gutes, mitunter auch fotographisches Gedächtnis für Wörter und ihre Zusammensetzung in Einzellaute. Man muss sich das sehr gut vorstellen können, wie ein mentales Bild!
Ist Rückwärtssprechen nachteilig oder gar gefährlich?
Nein! Es kann allerhöchstens nervig werden, wenn Sie automatisch alles, was Sie lesen, umdrehen und rückwärts aussprechen. Nachteilig ist es deshalb, weil man Sie nicht unbedingt verstehen würde. Das ist übrigens interessant: Die Fähigkeit, rückwärts zu sprechen, korreliert nicht unbedingt mit der Fähigkeit, Sprache rückwärts zu verstehen!
Ab wann setzt das Rückwärtssprechen ein?
Die Fähigkeit, rückwärts zu sprechen, setzt theoretisch mit dem Spracherwerb des Vorwärtssprechens ein. Häufig wird die Fähigkeit während des Erwerbs der Schriftsprache, also beim Lesen- und Schreibenlernen, zum ersten Mal bewusst realisiert. In diesem Alter (also zwischen 5 und 8 Jahren) sind Kinder teilweise sehr kreativ, so dass es nicht verblüfft, wenn gerade in dieser Zeitspanne zum ersten Mal mit Rückwärtsschreiben und Rückwärtssprechen »experimentiert« wird.
Was zeichnet nun eigentlich die guten und flüssigen Rückwärtssprechenden aus?
Umfangreiche Studien dazu gibt es nicht, allerdings immer wieder Einzelstudien oder Studien mit kleineren Gruppen. Was diese Menschen sicherlich auszeichnet, ist an erster Stelle ein hohes Sprachbewusstsein, ein kreativer Umgang mit Sprache und ein sprachliches Interesse, auch eine gewisse Neugierde. Der kreative Umgang mit Sprache kann durch ein gutes Arbeitsgedächtnis gestützt werden. Eine kleine Studie aus Marburg hat gezeigt, dass Rückwärtsprechende relativ heterogen verteilt sind, also über alle Altergruppen und Geschlechter hinweg. Starke Korrelationen mit anderen (außersprachlichen) kognitiven Fähigkeiten scheint es nicht zu geben. Offensichtlich ist, dass zur Begabung eine gewisse Übung hinzukommen muss, um die Professionalität eines Bernhard Wolff's zu erreichen.