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Sprache und Geschlecht

Vor dem Hintergrund der sozialkonstruktivistischen Annahme, dass Sprache und Sprachgebrauch Wirklichkeit(en) konstituiert (Peter Berger & Thomas Luckmann), befasst sich die deutschsprachige Genderlinguistik mit der sprachlichen Hervorbringung von Geschlechtsidentitäten und dem Verhältnis von Sprache und Geschlecht in interaktionalen und diskursiven Kontexten.

Die Genderlinguistik ging aus der feministischen Linguistik hervor; zentrales Thema im deutschsprachigen Raum in den 1970er war u.a. die Auseinandersetzung um die Verwendung des Generischen Maskulinums, die in ihren Anfängen von den Linguist:innen Luise Pusch, Senta Trömel-Plötz und Hartwig Kalverkämper geführt wurde. In dieser Auseinandersetzung der 1970er Jahre ging es in erster Linie um die Frage, ob Frauen mit der Verwendung des generischen Maskulinums sichtbar sind oder ob sie dadurch nicht vielmehr unsichtbar ‚gemacht werden‘. Die Debatte hat sich bis heute zur Diskussion über verschiedene Möglichkeiten gendersensiblen oder gendergerechten Sprachgebrauchs ausgeweitet. Was gendersensibles/gendergerechtes Sprechen jedoch ist und ob es überhaupt notwendig ist, gendersensibel/gendergerecht zu sprechen, wird aktuell wieder sehr kontrovers im öffentlich-politischen Kommunikationsbereich diskutiert.

Die Genderlinguistik hat sich bis heute zu einem vielschichtigen Forschungsteilbereich der Linguistik entwickelt, der zudem Bezug nimmt auf die Fachdisziplinen der Soziologie, der Neuro- und Kognitionswissenschaften, der Psychologie, der Philosophie und der Kulturwissenschaften.  Während in den 1970er Jahren die Binarität der Geschlechter kaum in Frage gestellt wurde, geht die Genderlinguistik heute von der Diversität der Geschlechtsidentitäten und deren diskursiver Erzeugung aus. An diesen Erzeugungsprozessen hat Sprache und Sprachgebrauch einen wesentlichen Anteil. Neben der Auseinandersetzung mit gendertheoretischen Konzepten wie dem doing gender (Candace West/Don Zimmermann), dem undoing gender (Stefan Hirschauer), dem indexing gender (Eleonor Ochs) und dem performing gender (Judith Butler), stellen vor allem empirische Untersuchungen natürlichsprachlicher Daten im Hinblick auf sprachliche Strategien und Verfahren der Geschlechterkonstruktion auf allen sprachstrukturellen Ebenen wichtige Gegenstände dar.  In den Blick genommen werden aus einer pragmalinguistischen Perspektive sowohl grammatische Ausprägungen wie auch semantisch-pragmatische Prozesse der Hervorbringung und der Repräsentation von Geschlechtsidentitäten.

Themen im Bereich Sprache und Geschlecht:

  • die Konstruktion von Geschlechtsidentitäten in verschiedenen (öffentlich-politischen) Diskursen
  • Verwendungspraktiken gendersensibler/gendergerechter Markierungsmöglichkeiten innerhalb verschiedener Kommunikationsbereiche und Kommunikationsformen
  • Diskursgeschichte der Frauenbewegungen seit 1800 und der Diversitätsbewegungen des 20. Jahrhunderts