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Aus der Geschichte der Sprechwissenschaft in Marburg

Der Startschuss war ein erster Lehrauftrag für Vortragskunst, den der Germanist Fritz Budde erhielt. 100 Jahre später heißt Sprechwissenschaft in Marburg: Eine lebendige Arbeitsgruppe rund um eine Professur für Sprechwissenschaft im Kontext des Instituts für Germanistische Sprachwissenschaft mit Lehraufgaben in mehreren Studiengängen (Lehramt Deutsch, BA „Sprache und Kommunikation“, MA „Sprechwissenschaft und Phonetik“) und einem klaren thematischen Forschungsprofil in Rhetorik, Argumentationsforschung, Sprechkunst und Gesprächsforschung.

Geschichte der Abteilung

Jahr Ereignis
1920 erhält Fritz Budde, 1910 an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin mit einer Arbeit zu "Wieland und Bodmer" promoviert, zum Wintersemester einen Lehrauftrag als "Lektor für Vortragskunst".
Foto: Bildarchiv Foto Marburg
1923 tritt Fritz Budde die planmäßige Stelle als "Lektor der Vortragskunst" an.
1932 wird das "Lektorat für Vortragskunst" umbenannt in "Lektorat für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde".
Foto: UniA Marburg Bestand 310 Nr. 6142
Umbenennung Lektorat
1937 werden ab dem Sommersemester gemeinsam mit der Literaturwissenschaft auch "Übungen im schriftlichen und mündlichen Ausdruck für Ausländer" angeboten.
1945 verliert Fritz Budde mit Wirkung vom 14.11.1945 seine Stelle als Lektor an der Universität Marburg. Elisabeth Behaghel übernimmt im Wintersemester Lehrveranstaltungen zu rhetorischen und sprechkünstlerischen Themen.
HStAD, H 3 Gießen, Nr. 79099
Elisabeth Behaghel
1946 wird Elisabeth Behaghel zum Sommersemester als Vertretungslektorin beauftragt. Zuvor war sie an der Universität Gießen als "Lektorin für Sprechkunde" tätig. In den folgenden Semestern erhält Behaghel Lehraufträge sowohl an der Philosophischen als auch an der Theologischen Fakultät in Marburg.
1949 wird Fritz Budde mit Wirkung vom 1.7.1949 für ein Jahr zum "Planmäßigen Lektor für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde" ernannt. Er bietet Lehrveranstaltungen zur Theaterkunde, zur Rhetorik und zur Sprecherziehung an.
1950 übernimmt Christian Winkler, 1931 an der Friedrich-Alexander Universität zu Erlangen bei Franz Saran mit der Arbeit "Elemente der Rede. Die Geschichte ihrer Theorie in Deutschland von 1750 bis 1850" promoviert, das Lektorat für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde.
Foto: UniA Marburg Bestand 310 Nr. 6505
Christian Winkler
1950 entsteht in Marburg eine Prüfstelle des Deutschen Ausschusses für Sprechkunde und Sprecherziehung (DAfSuS), der Vorgängerinstitution der heutigen Fachgesellschaft DGSS (Deutsche Gesellschaft für Sprechwissenschaft und Sprecherziehung e. V.).
1954 findet in Marburg erstmals eine Tagung des DAfSuS zum Thema "Sprecherziehung in der Schule" statt.
1958 stellt Christian Winkler einen Antrag auf ein Extraordinariat für Sprechkunde, der zunächst scheitert. Die Sprechkunde bleibt vorerst eine Disziplin und wird nicht zum wissenschaftlich eigenständigen Fach.
1959 geht Elisabeth Behaghel in den Ruhestand.
1963 übernimmt Lothar Berger, vormals studentische Hilfskraft Christian Winklers, als Nachfolger Elisabeth Behaghels diverse Lehraufträge in der Theologie.
1965 wird der "Wissenschaftliche Beirat" der Deutschen Gesellschaft für Sprechkunde und Sprecherziehung (DGSS) gegründet. Christian Winkler ist Gründungsmitglied.
1968 erfolgt die Pensionierung Christian Winklers.
1969 wird Lothar Berger Nachfolger Christian Winklers. Er setzt neue Schwerpunkte, beispielsweise erfolgt eine Differenzierung der sprechwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen und es werden Kurse für Lehramtsstudierende, Logopäd*innen, Jura-Studierende oder Theologiestudierende angeboten.
Foto: privat
Lothar Berger
1972 wird das "Lektorat für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde" in "Abteilung für Sprechwissenschaft" des Fachbereichs Allgemeine und Germanistische Linguistik und Philologie umbenannt.
Foto: UB Marburg, VIII C 1169
Vorlesungsverzeichnis WS 1972/73
1974 findet in Marburg das erste, von Lothar Berger organisierte deutsch-amerikanische Kolloquium "International Colloquium on Communication" zwischen der DGSS und der Speech Communication Association (heute: National Communication Association) statt.
1983 findet in Marburg erstmals eine DGSS-Tagung zum Thema "Sprechausdruck. Elementarprozesse von Sprechen und Hören. Theorie und Didaktik" statt.
1990 geht Lothar Berger in den Ruhestand, bleibt jedoch weiterhin in der Lehre der Abteilung Sprechwissenschaft tätig.
1990 übernimmt Christa Heilmann, 1972 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Fach Sprechwissenschaft mit der Arbeit "Materialien zur Lehrveranstaltung. 'Rede und Redegestaltung' für künftige Deutschlehrer – ein Versuch zur Intensivierung der Ausbildung" promoviert, als Nachfolgerin Lothar Bergers die Abteilung Sprechwissenschaft.
Foto: Bernd Siebold
Christa Heilmann
1994 erhält Christa Heilmann den Frauenförderpreis der Philipps-Universität Marburg.
2001 habilitiert sich Christa Heilmann an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Fach Sprechwissenschaft mit einer Arbeit zu Sprechwissenschaft und Linguistischer Gesprächsforschung und fundiert damit einen weiteren Arbeitsschwerpunkt der Abteilung Sprechwissenschaft in Marburg.
2005 startet der Bachelorstudiengang "Sprache und Kommunikation". Erstmals sind sprechwissenschaftliche Inhalte mit dem Modul "Sprechwissenschaft und Gesprächsanalyse" curricular obligatorisch verankert.
2006 richtet Christa Heilmann gemeinsam mit den Kolleginnen aus den Fächern Phonetik und Klinische Linguistik den Masterstudiengang "Speech Science" im Kontext des Instituts für Germanistische Sprachwissenschaft ein.
2006 wird Christa Heilmann zur außerplanmäßigen Professorin der Sprechwissenschaft ernannt. Damit erhält das Fach Sprechwissenschaft das Promotions- und Habilitationsrecht.
2012 geht Christa Heilmann in den Ruhestand.
2013 wird Kati Hannken-Illjes, 2002 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Fach Sprechwissenschaft mit der Arbeit "Ein sprechwissenschaftliches Modell argumentativer Kompetenz und seine didaktischen und methodischen Implikationen" promoviert, zum Wintersemester zur Professorin für Sprechwissenschaft (W2) berufen. Mit diesem Schritt ist das Fach in Marburg nun professoral vertreten.
Foto: Henrik Isenberg
2013 wird die "Abteilung Sprechwissenschaft" in "AG Sprechwissenschaft" umbenannt.
2015 erfolgt die erste Promotion im Fach Sprechwissenschaft in Marburg. Katrin von Laguna (heute RWTH Aachen) wird mit der Arbeit "Per Sonare – Rollentypen und Stimmwirkung im Synchronland Deutschland" promoviert.
2017 wird Kati Hannken-Illjes zur Professorin für Sprechwissenschaft (W3), nachdem sie den Ruf auf die Professur für Sprechwissenschaft an die Universität Halle abgelehnt hat.
2018 zieht die AG Sprechwissenschaft um. Aus den "Türmen" in der Wilhelm-Röpke-Straße zieht die AG in die alte HNO-Klinik (Deutschhausstr. 3), in das Zentrum des Campus Firmanei. Am neuen Standort verfügt die Sprechwissenschaft über geeignete räumliche Ressourcen zur sprechwissenschaftlichen und sprecherzieherischen Arbeit. Neben einem Seminarraum gibt es auch eine Sprecher*innenkabine, ein Musizierzimmer und einen Bewegungsraum. 
2019 ist die AG Sprechwissenschaft Teil des universitätsweiten Projekts "Die weite Welt vor Ort" im Rahmen der Kleinen Fächer Woche. Das Projekt wird von Kati Hannken-Illjes geleitet.
2020 ist der Masterstudiengang "Speech Science" neu konzipiert und firmiert nun unter "Sprechwissenschaft und Phonetik". In diesem Curriculum ist es möglich, eigene Schwerpunkte in und zwischen beiden Fächern zu setzen.
2020 wird mit Cordula Schwarze, 2009 mit der Arbeit "Formen und Funktionen von Topoi im Gespräch" an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg promoviert, in der Marburger Sprechwissenschaft das erste Habilitationsverfahren am Fachbereich erfolgreich abgeschlossen. Ihr wird die Venia legendi "Germanistische Sprachwissenschaft und Sprechwissenschaft" verliehen.
2021 beginnt unter der Leitung von Kati Hannken-Illjes das Projekt "MarSkills". Das Projekt entwickelt Lehrkonzepte für den Bereich der Future Skills und baut zugleich den in neuen Bachelor-Curricula verpflichtenden Studienbereich "MarSkills" auf.
2022 wird Kati Hannken-Illjes als Vizepräsidentin für Bildung der Philipps-Universität Marburg gewählt.
2022 übernimmt Cordula Schwarze mit dem 01.04.2022 die Vertretung der Professur Sprechwissenschaft.
Foto: privat
2022 organisiert die AG Sprechwissenschaft gemeinsam mit dem Zentrum für Lehrkräftebildung die Tagung "Kommunikation im Lehramt".
2023 startet der Bachelorstudiengang "Sprache und Kommunikation" in der neuen Studienstruktur. Die Inhalte des Fachs Sprechwissenschaft können von nun an im entsprechenden Bachelorstudiengang, der als Haupt- oder Nebenfach wählbar ist, studiert werden.
2023 nimmt die "Kompetenzstelle Mündliche Kommunikation" – eine Anlaufstelle für Fragen der Fortbildung, Forschung und Beratung für Lehrkräfte zu Fragen der mündlichen Kommunikation in der Schule – im Rahmen des hessenweiten "Kompetenzzentrums Bildungssprache Deutsch" ihre Arbeit auf. Cordula Schwarze und Kati Hannken-Illjes leiten die Kompetenzstelle.
2023 feiern wir 100 Jahre Sprechwissenschaft am Standort Universität Marburg! Aus diesem Anlass organisiert die AG Sprechwissenschaft die Tagung "Klären | Streiten | Argumentieren – Aktuelle Perspektiven der Argumentationsforschung" in Kooperation mit der DGSS.

Wer die Geschichte ausführlich nachlesen möchte, wird hier fündig:

Heilmann, Christa (2002): Geschichte der Sprechwissenschaft in Marburg. In: Heilmann, Christa M. (Hg.): Sprechen und Gesprochenes. Geschichte der Sprechwissenschaft in Marburg. Standpunkte - Erinnerungen - Visionen. Festschrift für Lothar Berger. Münster: LIT-Verlag, S. 13-44.

Heilmann, Christa (2005): Das Lektorat für Sprechkunde, Vortragskunst und Theaterkunde (gemeinsam mit Gabi Neumann). In: Köhler, Kai; Dedner, Burghard u. Strickhausen, Waltraud (Hg.): Germanistik und Kunstwissenschaften im „Dritten Reich“. Marburger Entwicklungen 1920 – 1950. München: Saur, S. 213 – 229.