24.03.2020 CFP: „Queerness“ in der Kunst der Frühen Neuzeit? - Kunsthistorischer Graduierten-Workshop, 18.-19. März 2021
CFP: „Queerness“ in der Kunst der Frühen Neuzeit?
Marburg, 18.-19. März 2021
Eingabeschluss: 29.06.2020
Kunsthistorischer Graduierten-Workshop, 18.-19. März 2021
Ort: Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität Marburg
Veranstalter: Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Philipps-Universität Marburg (Prof. Dr. Hendrik Ziegler / Dr. Lisa Hecht)
Laut James Grantham Turner (2017) setzt um 1500 eine neue ‚Erotisierung‘ der Bildkünsteein, wobei die sinnliche Wirkung auf die Betrachtenden geradezu zum Gradmesser künstlerischer Qualität wird. Auch in Ulrich Pfisterers „Kunst-Geburten“ (2014), BetteTalvacchias „Taking Positions“ (1999) oder dem Ausstellungskatalog „Art and Love in Renaissance Italy“ (2008) wird dieser Umstand zum Anlass analytischer Auseinandersetzungen mit erotischen Kunstwerken der Frühen Neuzeit. In diesen und weiteren Publikationen werden heteronormative Interpretationsmuster der Kunstgeschichte seit längerem in Frage gestellt. Häufig dominiert jedoch immer noch eine patriarchalisch geprägte Sichtweise auf die ältere Kunst den wissenschaftlichen Diskurs. An mehreren Stellen konnte bereits nachgewiesen werden, dass was als (sexuelle) Devianz verstanden sein könnte, durchaus Teil der frühneuzeitlichen Kultur ist. Der Graduierten-Workshop am Kunstgeschichtlichen Institut der Philipps-Universität Marburg will sich aktuellen Forschungsfragen zu Phänomenen der „Queerness“ in den Bildkünsten der Frühen Neuzeit stellen und Nachwuchswissenschaftler*innen zusammenbringen, um einen weiten Begriff zu konkretisieren. Promovierende und Postdocs sind eingeladen, zu diesem Thema Vorschläge für ca. 20minütige Präsentationen einzureichen.
Früh in der neuzeitlichen Geschichte spielen Inszenierung und Travestie bei Hofe eine wichtige Rolle. So zeigt sich nicht zuletzt François Ier in einer eigentümlichen Miniatur (Cabinet des Estampes, BnF, Paris) als hybrides Wesen zwischen Minerva, Merkur, Diana, Mars und Amor. Das Geschlecht der Gottheiten ist der inhaltlichen Herrscherinszenierung offensichtlich untergeordnet. Lediglich für die heutigen Betrachtenden bleibt die Irritation im Angesicht des androgynen Ritterkönigs. Das terminologische Spannungsfeld zwischen Cross-
dressing, Androgynität und Transgender gilt es somit ebenso zu hinterfragen wie die generelle Geschlechterklassifizierung, die nicht auf alle Portraitierten gleichermaßen zutrifft. Patricia Simons (1997) konnte für Portraits der italienischen Renaissance nachweisen, dass Konzepte von Homo- vs. Heterosexualität oder Weiblichkeit vs. Männlichkeit keineswegs als stabile Entitäten der frühneuzeitlichen Wahrnehmung gelten können.
Es stellt sich insbesondere die Frage nach der Sichtbarkeit solcher Klassifizierungen im frühneuzeitlichen Bild; zumal angesichts teils drakonischer Sanktionsmöglichkeiten von nicht normativer Sexualität und Verhaltensweisen in den jeweiligen Epochen und Gebieten. Ist von einer homosexuell oder homoerotisch geprägten Ästhetik die Rede, so werden häufig Camp- Sichtweisen des 20.- und 21. Jahrhunderts auf Werke appliziert, die sich solchen Kategorien entziehen. Im Zuge des Workshops soll daher eruiert werden, ob der Begriff der „Queerness“angemessener für die fluiden Gender-Kategorien und Auffassungen von Erotik in Renaissance und Barock sein kann.
Neben einer kunsthistorischen Anwendung der Queer Studies, welche für die Frühe Neuzeit bisher hauptsächlich in Bezug auf Geschichte und Literatur in Erscheinung getreten sind, wollen wir „Queerness“ nicht losgelöst von feministischen Fragestellungen verstehen. Daher ermutigen wir insbesondere zu Beiträgen, die weibliche- sowie transgender Erotik und Sexualität betrachten. Dem Aufruf Doris Guths (2012) aus ihrem Aufsatz über das Bildnis Gabrielle d’Estrées und ihrer Schwester (um 1594, Louvre, Paris) folgend, möchten wirphallozentrische Kunstproduktion, -rezeption und -wissenschaft kritisch hinterfragen.Nichtsdestotrotz sind Beiträge aus der Perspektive der Men’s Studies ebenso gefragt. Die Konstruktion von männlichen Rollenbildern sowie Fragen der Homosozialität in der Frühen Neuzeit wurden insbesondere für die italienische Kunst bereits mehrfach beleuchtet, weshalb ein Blick auf die Bildwerke anderer Nationen und Kulturen relevant erscheint. Zudem gilt es, sowohl die Intersektionalität von Devianzen im Auge zu behalten, welche sich selten nur auf einen Bereich der sozialen Erscheinungsform (Sexualität, Geschlecht, Status, Religion, Ethnie etc.) beschränken, als auch Kunst als kulturhistorische Quelle zu hinterfragen.
Mögliche Themenfelder für Vorträge:
Maskerade, Travestie und die Inszenierung von Geschlecht in Porträt und Historie
„queere“ Darstellungen im Umfeld des Theaters, Fests und Karnevals
„queeres Ornament“ – Grotesken und die Freizügigkeit der Dekorationsmalerei
erotische Metamorphosen – Götterliebschaften
erotische Devianz in der pornografischen Druckgrafik
Homosozialität und Homosexualität im Freundschaftsbild
Krisen der Männlichkeit in der „Weibermachts“ikonografie
Sodomie und Apokalypse – sexuelle Transgressionen im Jüngsten Gericht
Pädophilie im Heiligenbild?
Exot und Eunuch – die Erotik des „Anderen“ in den Orientalismen der Frühen Neuzeit
Die kulturelle Relevanz und Brisanz dieser sowie anderer möglicher Themen und Fragestellungen soll im Rahmen des Workshops intensiv dargelegt und diskutiert werden.
Bei Interesse an der Teilnahme freuen wir uns über Abstracts (max. 300 Wörter) mit einem kurzen Lebenslauf (max. 100 Wörter) bis zum 29.06.2020 an lisa.hecht@uni-marburg.de.