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Blick zurück nach vorn - Architektur und Stadtplanung in der DDR

5. Tagung des Arbeitskreises Kunst in der DDR

Konzept: Prof. Dr. Sigrid Hofer (Philipps-Universität Marburg) in Kooperation mit PD Dr. Christoph Bernhardt (Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung - IRS, Erkner)

TU Berlin, 6.–7. November 2014

Der Aufbau der DDR als staatspolitisches Gebilde ist begleitet von der Frage nach dem Wiederaufbau, dem Um- und Neubau, der Rekonstruktion aber auch dem Abriss von Bauwerken, die als Zeugen einer überwundenen Geschichtsepoche galten. Dabei spielte die Erbediskussion, die für die bildende Kunst und die Herausbildung des Sozialistischen Realismus maßgeblich war, auch im Umgang mit der Architektur und dem Städtebau eine entscheidende Rolle. Der Blick auf die eigene architekturgeschichtliche Vergangenheit unterlag über die Jahrzehnte deutlichen Interpretationsschwankungen. Pragmatismus, avantgardistisches Experiment, strikte Lenkungsmechanismen, nationale Traditionen, technisch-wissenschaftlich begründete Modernprojekte aber auch Altbausanierungen und Rekonstruktionen selbst von Sakralbauten wechselten sich einerseits ab, überlagerten sich andererseits zeitlich und fanden bei unterschiedlichsten Bauaufgaben Anwendung. Das gesamte Bauschaffen in der DDR ist so von deutlichen Ambivalenzen, von entwicklungsgeschichtlichen Kontinuitäten wie Brüchen gekennzeichnet.

Der Umgang mit dem architektonischen Erbe und das Verhältnis, das das Neue zum Alten einging, stehen im Fokus der 5. Tagung des Arbeitskreises Kunst in der DDR. Welche Rolle wird also dem Rückgriff auf die Überlieferung zugewiesen, und welche ideologischen Implikationen verbanden sich mit den jeweiligen Stillagen? Welche Bezugspunkte schienen zu welchen Zeiten geeignet, den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft voranzutreiben bzw. ihr eine repräsentative Gestalt zu verleihen? Wie änderten sich in diesem Zusammenhang die Vorstellungen von einem manifest gewordenen demokratischen Nationalbewusstsein? Wenn Städte Selbstdarstellungen von Kollektiven sind (A. Mitscherlich), inwiefern spiegelten dann die Entscheidungen für bestimmten Bauweisen den Stand der gesellschaftlichen Entwicklung der DDR wider? Wie stehen andererseits die großräumlichen Planungen zu den Intentionen, eine Volkskultur zu etablieren?

Neben diesen Fragen, die vor allem auf die Objekte und ihren politikgeschichtlichen Kontext zielen, sollen Aspekte der anthropologischen Stadtaneignung zum Tragen kommen. So wird etwa darüber zu sprechen sein, inwiefern der Rückgriff auf bürgerliche Traditionen auch als ein Zugeständnis an die bürgerlichen Bedürfnisse nach Identifikation mit dem eigenen Wohnumfeld verstanden werden kann, ob dies der Abgrenzung von dem Anderen diente und damit notwendiger Bestandteil des individuellen Selbstverständnisses war. Auch der soziale Raum soll auf dem Prüfstand stehen und daraufhin befragt werden, in welcher Weise er auf das individuelle bzw. kollektive Leben einwirkte bzw. welche konkreten Auswirkungen er auf das Lebensgefühl und die Lebensgestaltung in den unterschiedlichen Stadtstrukturen hatte.

Tagungsprogramm

  • Tagungsbericht

    Tagungsbericht
    von Christian Klusemann, Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität Marburg

    Kurz vor dem 25. Jubiläum des Mauerfalls kamen nicht nur geschichtsinteressierte Touristen, sondern auch Kunsthistoriker, Historiker und Architekten nach Berlin; letztgenannte mit dem Ziel, einen genaueren Blick auf die materiellen Hinterlassenschaften des zweiten deutschen Staates zu werfen: Unter dem Titel „Blick zurück nach vorn – Architektur und Stadtplanung in der DDR“ fand vom 06. - 07. November in den Räumlichkeiten der Technischen Universität die fünfte Tagung des „Arbeitskreises Kunst in der DDR“ statt, den Professor Dr. Sigrid Hofer 2008 am Kunstgeschichtlichen Institut der Philipps-Universität Marburg ins Leben gerufen hatte. Mitveranstaltet wurde die Tagung dieses Mal von PD Dr. Christoph Bernhardt vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Im Zentrum der Beiträge und der zum Teil hitzig geführten Diskussionen war das ambivalente und nach wie vor schwer zu greifende Verhältnis zwischen Alt und Neu bei der städtebaulich-architektonischen Ausformung des sozialistischen Deutschlands.

    In ihrer Eröffnungsrede verwies Sigrid Hofer (Marburg) darauf, dass sich in der Architektur deutlicher noch als in den bildenden Künsten – da stets für alle unmittelbar sichtbar – die politischen, gesellschaftlichen oder auch ideologischen Leitgedanken des neuen sozialistischen Systems materialisierten; denn bauen war Teil des öffentlichen Auftritts der Staatsmacht und darin den politischen Großveranstaltungen wie Paraden, Parteitagen oder auch anderen symbolhaltigen Aktivitäten wie beispielsweise jenen der FDJ und vielen anderen vergleichbar. Mit der Gründung der DDR unmittelbar verbunden war auf kulturpolitischem Gebiet die Frage nach ihrer historischen Verortung, nach ihrer Einbindung und ihrem Platz in der Entwicklung der Weltgeschichte. So galt es zu sichten, zu qualifizieren und zu entscheiden, welche überkommenen Bauweisen dienlich waren, um den Staat bzw. die Staatsidee der DDR zu repräsentieren. Darüber hinaus musste entschieden werden, wie das jeweilige Erbe mit dem Neuen in Verbindung gebracht werden oder aus Altem Neues entstehen könnte. Dabei unterlag der Blick auf die Architekturgeschichte deutlichen Interpretationsschwankungen. Pragmatismus, avantgardistisches Experiment, strikte Lenkungsmechanismen, regionale Traditionen, technisch-wissenschaftlich begründete Moderneprojekte aber auch Altbausanierungen und selbst Rekonstruktionen von Sakralbauten wechselten sich ab und überlagerten sich zeitlich. So sind sie für uns heute materielle Zeugnisse der wechselhaften politischen Zeitumstände. Wie Hofer mit Blick auf das Thema der Tagung deutlich hervorhob, war das gesamte Bauschaffen in der DDR von deutlichen Ambivalenzen, entwicklungsgeschichtlichen Kontinuitäten und Brüchen gekennzeichnet.

    Christoph Bernhardt (Erkner) eröffnete die Tagung seinerseits mit einem Hinweis auf die Gegenwart und die aktuelle Relevanz des Themas „DDR-Architektur“. So stellte er vor dem Hintergrund andauernder Debatten in der Öffentlichkeit, etwa in Potsdam, vor allem aber in der Forschung ein wachsendes Interesse fest. Dies wird auch durch die regelmäßig in Erkner stattfindenden Werkstattgespräche zur DDR Bau- und Planungsgeschichte deutlich, ebenso wie durch das im Februar 2015 zusammen mit dem IRS geplante Kolloquium „Herrmann Henselmann in seiner Berliner Zeit (1949-1995). Der Architekt, die Macht und die Baukunst“ der Hermann Henselmann Stiftung, oder die ebenfalls 2015 anstehende Ausstellung „Radikal Modern. Planen und Bauen im Berlin der 1960er Jahre“ in der Berlinischen Galerie. Mehr und mehr gewinnt dabei auch der westdeutsche Blick auf die Architekturgeschichte der DDR an Bedeutung.

    In der von Andreas Butter (Erkner) moderierten Sektion „Architektonische Leitlinien I“ referierte zunächst Hans-Georg Lippert (Dresden) über die in den 1950er Jahren von der Deutschen Bauakademie herausgegeben Publikationen. Als sich in der DDR ab 1950/51 die an der Sowjetunion orientierte, aber doch spezifisch deutsche Architektur der Nationalen Tradition herausbildete, sollte der von den Architekten erwartete Rückbezug auf das nationale Erbe auch medial begleitet werden. In über eintausend publizierten Schriften – darunter technische Abhandlungen, ideologische Grundlagen, Überblickswerke über die deutsche Architekturgeschichte aber auch Selbstdarstellungen im „Kampf um eine deutsche Architektur“ – ging es vor allem um zwei Aspekte: Um die Bildung der Arbeiter und Bauern und die Stiftung einer „sozialistischen Heimat“ für die Bevölkerung. Weiterhin stellte Lippert heraus, dass von den etlichen Publikationen der Bauakademie insbesondere die Handreichungen für Architekten mit Verweisen auf bestimmte Gestaltungslehren oder einen künstlerischen Städtebau nicht nur durch direkte Vorbilder aus der Sowjetunion, sondern auch durch die klassische Städtebautheorie der konservativen Stuttgarter Schule beeinflusst wurden. Dies erscheint bemerkenswert, da Architekten der Stuttgarter Schule auch zur Zeit des Nationalsozialismus zum Bauen in Deutschland beigetragen hatten; ein Umstand, der in der frühen DDR großzügig übersehen wurde.

    Mit der „utopischen Moderne“ der 1960er Jahre beschäftigte sich anschließend Oliver Sukrow (Heidelberg), der die Herausbildung einer neuen Architekturtheorie in der späten Ulbricht-Ära untersuchte. Der Modernisierungsschub während der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ hatte sich nicht nur in der Baupraxis, sondern vor allem in der Theorie niedergeschlagen. Automatisierung und Rationalisierung im Bauwesen, die Kybernetik als „Lehre von Steuerung und Rückkopplung“ schienen neue, ungeahnte Möglichkeiten zuzulassen. Dies hatte in der Folge Diskussionen um den Stellenwert des Architekten in seiner Abgrenzung vom Ingenieur, aber auch um die allgemeine Bedeutung für eine speziell „sozialistische“ Architektur aufkommen lassen, wie Sukrow exemplarisch darlegte.

    Das von Hans-Georg Lippert moderierte Panel „Architekturtheoretische Leitlinien II“ wurde von Kathrin Siebert (Zürich) mit einem Vortrag über Hans Schmidt als „Theoretiker des industriellen Bauens“ eingeleitet. Schmidt, seit 1958 Direktor des Instituts für Geschichte und Theorie der Baukunst an der Deutschen Bauakademie, wollte das Bauen mit Fertigteilen wissenschaftlich – auch mit Blick auf soziologische Aspekte – untermauern. Das Baukastensystem zur Errichtung von Gebäuden in Großtafelbauweise war für ihn Element der Ordnung und der Schönheit“, daher versuchte er allgemeingültige, traditionelle Regeln der Architektur auf die Bedingungen des industrialisierten Bauens anzuwenden. Beteiligt an zahlreichen Publikationen, an deren Thesen er maßgeblichen Einfluss hatte, bewegte er sich jedoch fernab der Praxis. Zunehmend ist er aber, wie Siebert herausstellte, zunehmend als Mahner aufgetreten, der die Monotonie der Plattenbauten kritisierte und eine „Befreiung aus der Starre“ forderte.

    Roman Hillmann (Berlin) stellte im Anschluss eine Chronologie vor, die er mit Blick auf den Umgang der DDR mit den überkommenen Bauten aus der Zeit vor 1949 erstellte. Während die Forschung bislang für jedes Jahrzehnt der DDR verschiedene Phasen herausgestellt hatte, in denen das architektonische Erbe vor allem geschichtspolitisch stets neuen Bewertungen unterlag, zeigte Hillmann nun zusätzliche Modi oder Regeln auf. Das Alte sei nie gänzlich in Frage gestellt worden, befand Hillmann, es habe sogar eine „Verpflichtung des Alten für das Neue“ bestanden. Insbesondere Kontraste seien dabei wichtig gewesen. So habe man zum Beispiel einzelnen Altbauten (in seinem gezeigten Beispiel Wohnungsbauten) neue Wohnbauten in industrialisierter Bauweise entgegengesetzt, oder auch – wie mit Halle Neustadt – eine ganz neue Stadt im sichtbaren Gegensatz zum alten Halle gebaut. Mit Blick auf die avantgardistische Gaststätte „Kosmos“ von Ulrich Müther – in Abgrenzung zu den starren Zeilenbauten in der Rostocker Südstadt – verwies Hillmann ferner auf gewünschte Kontraste verschiedener Architekturformen innerhalb reiner Neubauviertel.

    Das Thema „Bruchlinien im Städtebau zwischen Alt und Neu“ war dann auch Gegenstand der von Christoph Bernhardt moderierten Podiumsdiskussion am Abend, die die Teilnehmer mit Impulsreferaten eröffneten. Wie Thomas Topstedt (Leipzig) darlegte, könne man mit Blick auf 40 Jahre DDR zwar eine Periodisierung bezüglich des Umgangs der SED mit dem ererbten Baubestand vornehmen, viel habe aber auch nebeneinander existieren können. Generelles Thema sei aber gewesen „dem Neuen zum Sieg zu verhelfen.“ Als Ziel auf lange Sicht – welches bis zum Ende der DDR aktuell war – habe man stets die Ablösung der Altbausubstanz durch Neubau angestrebt. Ohne die politische Wende 1989 wäre in den Altstädten sicherlich noch weit mehr abgerissen worden. Zwar gab es auch Modellsanierungen, diese fielen jedoch verhältnismäßig gering aus. Topfstedt lobte dagegen die Rolle der DDR-Denkmalpfleger als „Rufer in der Wüste“.

    Kerstin Wittmann-Englert (Berlin) sprach den Aspekt „Alt – Neu“ mit Blick auf den heutigen Umgang mit den nun selbst historisch gewordenen Bauten der Nachkriegsmoderne in Ost und West an. Moderne Architektur aus der Zeit nach 1945 könne durchaus als Fortsetzung der Historie verstanden werden, denn beides befinde im Dialog miteinander. Wittmann-Englert verwies außerdem auch auf einige Positivbeispiele in West-Berlin, etwa im Bereich der Gedächtniskirche, wo sich das Neue vorteilhaft dem Alten unterwerfe.

    Matthias Lerm (Jena) thematisierte in seinem Beitrag, dass das Phänomen, dem Alten etwas Neues entgegenzusetzen, nicht alleinig in der DDR bestand. Wie er betonte, hatte man dies in ganz Europa auch bereits in früheren Jahrhunderten immer wieder getan. Der Unterschied sei eher quantitativer Natur. Mit einer bis dato ungekannten Rücksichtlosigkeit sei im 20. Jahrhundert zu viel abgerissen worden. Allerdings ist in der DDR durchaus unterschiedlich mit historischen Städten, Ensembles oder Einzelbauten umgegangen worden. Nicht nur in den 1960ern, sondern auch schon in den 1950er Jahren hatte man ganze Straßenzüge zugunsten eines neuen, großzügigen Städtebaus abgerissen, wohingegen sich die Neubauten indes noch an Vorbildern aus der Historie orientierten. Anderswo – etwa in der Potsdamer Wilhelm-Staab-Straße – ist, wie Lerm befand, mit dem Wiederaufbau Vorbildliches geleistet worden. Typisch für die DDR der 1960er Jahre sei für ihn besonders der Erhalt von mittelalterlichen Stadtbefestigungen gewesen, während man in die Stadtzentren selbst nicht selten radikal eingriff; schließlich sei das Mittelalter als Epoche kaum mit bürgerlicher Architektur in Verbindung gebracht worden. Ab den 1970er Jahren wurden vermehrt „komplexe Rekonstruktionen“ von Bauten aus anderen Zeiten durchgeführt, dies besonders um „folkloristische Events“ anlässlich von Jubiläen initiieren zu können. Insgesamt bestand für Lerm aber politisch ein stets angespanntes Verhältnis zum Alten – und spielte zu oft ideologischer Hass eine Rolle.

    Laut Andreas Butter haben dennoch folgende Aspekte über die gesamte DDR-Zeit hinweg gegolten: Die Stadt sei stets als gebaute Umwelt angesehen worden und habe als „soziale Bühne“ fungiert. Schließlich sei die Stadt als Kunstwerk betrachtet worden, indem der Kontrast „Alt – Neu“ durchaus eine Rolle gespielt habe. Die DDR-Denkmalpflege scheint dabei didaktisch agiert zu haben, indem sie auf die Relevanz der Städte und Gebäude als „steinernes Geschichtsbuch“ aufmerksam machte. Butter verwies ferner auf den Versuch einer Entideologisierung der Altbausubstanz, besonders der Gründerzeitbauten, die bis in die 1970er Inbegriff für einen ausbeuterischen, kapitalistischen Städtebau waren. Somit beurteilte er die konzeptuellen Voraussetzungen für die Instandsetzung desolater Bausubstanz, bis hin zu flächendeckendem Altstadterhalt als erfüllt. Butters Bewertung des Altstadtbestands hielt Thomas Topfstedt in der Diskussion entgegen, dass die konzeptionellen Voraussetzungen wohl vorhanden gewesen seien, nicht aber die materiellen Bedingungen zum Erhalt der Altbausubstanz. Seit den 1970er Jahren hatte es beispielsweise nicht mehr genug Handwerker gegeben, die den massiven Sanierungsstau hätten ausgleichen können. Matthias Lerm lobte indes Versuche, mit Neubauten behutsam die Altbausubstanz zu ergänzen, was zuweilen gut funktioniert habe. So nannte er beispielsweise Peter Baumbach in Rostock, der mit dem Fünfgiebelhaus am Universitätsplatz durchaus eine brauchbare Alternative geschaffen habe.

    Im Publikum anwesend war Martin Wimmer, der Ende der vierziger Jahre an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Weimar studiert und zu DDR-Zeiten unter anderem Sportbauten errichtet hatte. Er äußerte sich kritisch gegenüber den Darstellungen der Diskussionsteilnehmer. Abrisse hätten vielfach pragmatische und weniger ideologische Gründe gehabt. Die Ruine des Berliner Stadtschlosses sei „voll mit tausenden von Ratten“ gewesen und habe daher schon aus „hygienischen Gründen“ gesprengt werden müssen. Diese vereinfachende und beschönigende Aussage blieb auch seitens des Publikums nicht unkommentiert. So verwies ein Zeitzeuge, der in der DDR Architekt in Potsdam gewesen war, auf die nicht zu unterschätzende Rolle der SED. Jedoch sei es auch auf einzelne Personen, deren Position innerhalb des Parteiapparates sowie deren eigene Ansichten angekommen.

    Der zweite Tag behandelte praktische Fallbeispiele und begann mit der von Sigrid Hofer moderierten Sektion „Das sozialistische Stadtzentrum“. Christian Klusemann (Marburg) beleuchtete zunächst die 1952 – während der Hochphase der Nationalen Tradition – in Magdeburg und Rostock durchgeführten Zentrumswettbewerbe. Er ergänzte den derzeitigen Forschungsstand und stellte heraus, dass die von der Deutschen Bauakademie entsandten Berater, unter anderem Hermann Henselmann, in jenen beiden „Aufbaustädten“ offenbar nicht die allein steuernden Protagonisten waren. Viele Ideen kamen von den vor Ort wirkenden Architekten, was er anhand bislang unbekannter Entwürfe – vor allem aus Rostock – zeigen konnte. Ferner machten auch die Protokolle der im Anschluss an die Wettbewerbe geführten Diskussionen im „Provisorischen Beirat für Architektur und Städtebau“ deutlich, dass bei den Mitgliedern der DBA – unter ihnen eben jene „Konsultanten“ – noch weit bis in das Jahr 1953 hinein Uneinigkeit in Gestaltungsfragen vorherrschte.

    Andreas Kriege-Steffen (Zürich) beleuchtete mit Dresden eine weitere „Aufbaustadt“ der DDR, in der 1952 ein Wettbewerb durchgeführt worden war. Sein Fokus lag auf den Kontinuitäten der Stadtplanung im Zeitraum 1945 bis 1952. Er konnte zeigen, dass stets Unsicherheiten im Umgang mit den Ruinen der großen Sakral- und Profanbauten bestanden, deren Erhalt in allen Planungsstufen aufs Neue diskutiert wurde. Vor allem um Frauenkirche und Schloss wurde immer wieder gestritten. Interessanterweise hatte man sich noch 1946 auf Planungen aus der NS-Zeit berufen, von denen man erst Ende der 1940er abkam. Ab 1950 wurde dann die Diskussion um die Lage des Zentralen Platzes im Bereich des Altmarktes aufgegriffen. In sämtlichen Planungsstufen – auch in jenen, die sich städtebaulich von der Maßstäblichkeit des alten Dresden abwandten – sind Zitate Dresdner Bauten, etwa des Rathauses, in die Fassadenzeichnungen eingeflossen. Schließlich stellte er die in seiner Doktorarbeit weiter zu untersuchende These auf, dass sämtliche in der Nachkriegszeit erstellten Planungen sich bis heute auf die Dresdner Stadtplanung auswirken.

    In der Sektion „Altbestände zwischen Rekonstruktion und Abriss“, moderiert von Christian Klusemann, behandelte anschließend auch Tanja Scheffler (Dresden) den Umgang mit dem Barock in der Elbestadt. In Dresden fiel das Verhältnis zum Erbe, wie so oft in der DDR, ambivalent aus – besonders in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Walter Weidauer. Wie sie darlegte, zerstörte man die durch den Krieg ohnehin schon geschundene Stadt durch Abrisse weiter, um die Spuren des Krieges noch deutlicher erscheinen zu lassen. Vor diesem Hintergrund strebte Weidauer die Vernichtung der „großbürgerlichen und feudalen Bauten“ an. Widerstand kam jedoch Ende der 1960er Jahre seitens der Deutschen Bauakademie und der Bezirksgruppe des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Auch der Bildband „Das alte Dresden“ des Denkmalpflegers Fritz Löffler, der ursprünglich als Lehrbuch für die Nationalen Traditionen herausgegeben worden war, führte nunmehr zu einem genaueren Blick auf das architektonische Erbe. Wie die Referentin herausstellten konnte, war es Kurt W. Leucht, der zuerst für Instandsetzung der Semperoper, des Taschenbergpalais und des Residenzschlosses eintrat, bevor er als Stadtarchitekt abgesetzt wurde. Damit habe sich laut Scheffler bereits die Wende im Umgang mit dem alten Dresden angebahnt, wie sie dann später bei ersten Wiederaufbaumaßnahmen des Schlosses kurz vor Ende der DDR oder in der „Straße der Befreiung“ umgesetzt wurde, als dort in den 1980er Jahren mehrere Barockhäuser rekonstruiert wurden.

    Über ein städtebauliches Ensemble, bei dem Alt und Neu im Sinne der Planer eine bewusste Symbiose eingehen sollten, den Wohnkomplex Wilhelm-Külz-Straße in Potsdam, referierte Edda Campen (Potsdam). Sie erläuterte, dass in der ehemaligen Wilhelm-Külz-Straße (heute Breite Straße) nicht nur ausgewählte historische Gebäude „rekonstruiert“, sondern mit der Kiezstraße sogar ein ganzer Straßenzug in das neue Ensemble integriert wurde (wohingegen an anderer Stelle überkommene Wohnbauten abgerissen wurden). Anschließend analysierte sie, ergänzend zum aktuellen Forschungsstand, die städtebauliche Anordnung der Neubauten, die als Punkt- und Scheibenhochhäuser in „Plattenbauweise“ errichtet wurden. Dabei hob sie die Anordnung von Häusern um die Neustädter Havelbucht und überdies die Stellung der Häuser zur historischen Innenstadt als städtebauliche Besonderheit hervor. Dort, wo noch auf ersten Planungen Gebäude wie ein Riegel zur barocken Stadterweiterung fungiert hätten, seien später bewusst Durchgänge gestaltet worden. Zudem hätten Grünflächen zur Stadt und zum Wasser vermitteln sollen.

    Das Panel „Zwischen Ideologie und Fachpolitik“, moderiert von Christoph Bernhardt, wurde mit einem Beitrag von Mark Escherich (Weimar) eingeleitet. Er erläuterte, dass in der DDR nicht nur vorsozialistische Bauten unter Denkmalschutz gestellt wurden, sondern auch Gebäude aus der Frühzeit der DDR, insbesondere dann, wenn sie eine spezifische Aussagekraft für den Aufbau des Sozialismus hatten. Darüber hinaus wurden aber auch Gebäude, die noch nicht das einer Denkmalwürdigkeit angemessene Alter erreicht hatten, als Zeugen der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR“ unter Schutz gestellt. Aufgrund dessen stellte er die Frage, ob dies als Phänomen einer „sozialistischen Denkmalpflege“ gewertet werden könne. Zudem gab er einen Überblick über verschiedene Denkmalgattungen in der DDR, zu denen etwa erste Typenbauten aus der Frühzeit des industriellen Bauens oder besondere landwirtschaftliche Einrichtungen gehörten.

    Es folgte ein Vortrag von Oliver Werner (Erkner) über die „sozialistische Wohnungsbaupolitik in Ost-Berlin“. Der Wohnungsbau, mit dem Erich Honecker dem noch immer vorhandenen Mangel an Wohnraum begegnen wollte, sollte die Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt bewirken. Auch die Produktivität hatte dabei eine identifikatorische Seite, sollte damit doch die Produktivkraft des Landes unter Beweis gestellt werden. Ost-Berlin sei dabei, so Werner, eine spezielle Rolle zugefallen. Er behandelte mit Blick auf die Hauptstadt der DDR zunächst die Umsetzung in der Praxis, die häufig unter „administrativen Konflikten“ zu leiden hatte, behandelte dann den „Legitimationstransfer“, der vor allem durch einen „verordneten Stolz“ erreicht werden sollte, und ging dann auf die „bezirksspezifische Gestaltung der Bauten“ ein. So kann man in einigen Straßen noch heute anhand der Bautypen erkennen, welches Wohnungsbaukombinat am Bau beteiligt gewesen ist. Schattenseite in der Praxis war der Mangel in den anderen Bezirken, da (zu) viele Kapazitäten nach Berlin gingen. Dies rief in der Bevölkerung nicht selten Vorbehalte gegen die Hauptstadt der DDR hervor.

    Die letzte, von Thomas Topfstedt moderierte Sektion der Tagung „Befragung der Vergangenheit“ begann mit einem Beitrag von Andrew Demshuk (Birmingham/Leipzig) auf den Spuren einer „verwertbaren Geschichte“ beim Wiederaufbau Leipzigs von 1945 bis 1968. Dabei stellte er zunächst weitgehend unbekannte Planungen für ein Bach-Mausoleum auf dem Gelände der später gesprengten Johanniskirche vor. Anschließend behandelte der die Neu- oder Umwertung Leipzigs als Messestadt anhand ausgewählter Beispiele, etwa des Wiederaufbaus der Alten Handelsbörse. Zuletzt widmete er sich den Kontroversen, die Ende der 1960er Jahre um die Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes (Augustusplatz) und die Sprengung der Leipziger Universitätskirche im Jahr 1968 geführt wurden.

    Peter Leonhardt (Leipzig) warf den Blick abschließend auf den Wiederaufbau von wilhelminischen Bauten in Leipzig. In den 1950er Jahren, analog zur Phase der Nationalen Tradition, sei die Außenwirkung und die „Strahlkraft“ der Bauten aus der Kaiserzeit von der SED durchaus erkannt worden. Aber auch Bauten aus den 1920ern, etwa das Ring-Messehaus, habe man selbstbewusst instandgesetzt. Den Wiederaufbau des Leipziger Hauptbahnhofes lobte Leonhardt als eine der „größten Aufbauleistungen der DDR“. Als in den 1960ern Jahren dann neue Stadtzentren mit moderner Architektur gebaut werden sollten, wurden einige Gebäude wie das Gewandhaus oder das Gebäude der Universität, die eigentlich zum Wiederaufbau vorgesehen waren, für den Abriss bestimmt.