27.09.2022 Unsere Kurse im Wintersemester: Jakob Uhlig über das Seminar "Frauenforschung, Sexismus und Gender in der Musik"
Unsere Dozierenden stellen Ihnen die Kurse vor, die sie in diesem Wintersemester anbieten werden. Heute erzählt Jakob Uhlig über sein Hauptseminar "'Ein Frauenzimmer muss nicht componiren wollen': Frauenforschung, Sexismus und Gender in der Musik", das Sie im Vertiefungsmodul oder im Master am Donnerstag von 14-16 Uhr belegen können.
Herr Uhlig, worum geht es in Ihrer Veranstaltung im kommenden Semester?
Dass sozial konstruierte Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht nur historisch, sondern auch heute noch eine Rolle spielen, kann man eigentlich kaum oft genug betonen. Es ist kein Wunder, dass diese maßgebliche gesellschaftliche Distinktion auch Folgen für die Kultur und die Musik hat. Die dahinterstehenden Strukturen und Facetten sind komplex und vielfältig, weswegen wir im kommenden Semester lernen werden, welche Faktoren bei Frauenforschung und Gender Studies eine Rolle spielen und wie wir sie in unsere wissenschaftliche Arbeit mit einbeziehen können. Das werden wir auch ganz praktisch erproben, denn über das Themenfeld selbst hinaus ist das Seminar auch praktisch angelegt: Zusammen erarbeiten wir einen Beitrag für das Studierenden-Symposium Women In Music, das in diesem Dezember als Zusammenarbeit der Universität Heidelberg und des Dachverbands der Studierenden der Musikwissenschaften entsteht. Der Kurs ist also eine spannende Gelegenheit, sich in einem geschützten Raum vielleicht erstmals an selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit zu versuchen.
Was interessiert Sie selbst besonders an den Themen dieser Veranstaltung?
Es ist beeindruckend, wie tief und teilweise subtil Gender-Faktoren in der Musik eine Rolle spielen und aus wie vielen unglaublich verschiedenen Blickwinkeln man sie deswegen betrachten kann. Die soziokulturellen Debatten sind hierbei offensichtlich ganz entscheidend - wir erleben sie immer dann, wenn das Rock-am-Ring-Line-Up eine massive Überzahl an Männern aufweist (also jedes Jahr), wir erleben sie in Kanon-Debatten, wir erleben sie in Diskussionen über Strukturen in der Musikindustrie, die seit Jahrzehnten kein Ende nehmen. Gleichzeitig ist es spannend, Gender-Faktoren auch auf die Kunst selbst anzuwenden: Kann Musik eigentlich nur durch Klang so etwas wie Geschlechter-Stereotype verkörpern? Und nehmen wir die überhaupt aktiv wahr oder reflektieren wir darüber gar nicht mehr, weil wir sie so gewohnt sind? Spannend finde ich auch immer die Phänomene, in der die geschlechtlichen Zuschreibungen auch schon vor Jahrhunderten plötzlich sehr komplex werden - etwa, wenn es um die Interpretation der Männlichkeit bei Kastraten geht.
Was für Musik würden Sie empfehlen, wenn man sich vorab schon einmal auf die Veranstaltung vorbereiten möchte?
Alles und Nichts, denn so gut wie jede Musik kann als Gesellschaftsphänomen wahrgenommen über Gender-Faktoren interpretiert und kontextualisiert werden. Wenn es aber um meine Lieblingsmusik von Frauen geht, die ja im speziellen Fokus der Veranstaltung stehen, würde ich folgende Karten ziehen:
Chaya Czernowins "Adiantum Capillus-Veneris" ist zugegeben ein verdammt spezielles Werk (für Stimme und Atem!), war aber damals tatsächlich mein Türöffner für die Welt der Neuen Musik.
Keine Frau hat wohl jemals so markerschütternd gesungen wie Anna von Hausswolff auf "The Mysterious Vanishing Of Electra". Dass die Sängerin vor Kurzem in Nantes ein geplantes Konzert in einer Kirche nicht spielen durfte, weil katholische Fundamentalist*innen ihr Satanismus vorwarfen, ist zwar kurios, aber nach dem Genuss dieses Songs vielleicht sogar irgendwie nachvollziehbar.
Wer es aber etwas weniger brachial mag, der lasse sich einfach von Julien Bakers "Something" das Herz brechen - und zwar unbedingt in Form dieser fantastischen Live-Session.