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Zur Verbreitung moderner zeitgenössischer Musik

Foto: IMD / Hans Kenner
Everett Helm (links) und Andrzej Markowski (rechts) Internationale Ferienkurse für Neue Musik, Darmstadt 1958

Insgesamt sah Helm die Produktivität der Arbeit der Theater and Music Branch durch die Entwicklungen im deutschen Kulturleben nach der Währungsreform bestätigt, auch wenn die deutsche Öffentlichkeit nur schwer von moderner, zeitgenössischer Musik zu überzeugen war. 1949 war zumindest unter denjenigen, die sich von Berufs wegen mit Musik beschäftigten, das Interesse an moderner, zeitgenössischer Musik gestiegen. Aus dem Bedürfnis heraus, etwas von der verlorenen Zeit unter A. Hitler aufholen zu wollen, bemühten sich deutsche Musiker, Dirigenten und Komponisten darum, dass die Werke von P. Hindemith, A. Honegger, B. Bartók und A. Schönberg Gehör fanden. Gleiche Bestrebungen galten für die Werke von zeitgenössischen Komponisten wie W. Fortner, C. Orff, W. Egk, B. Blacher und anderen. Helm beschrieb diese Tendenz gar als »eigenartige Situation«: Deutschland, das jahrelang von progressiven Trends abgeschnitten gewesen wäre, spiele nun mehr zeitgenössische Musik als Frankreich, Italien, die Schweiz, Belgien, die Niederlande und andere Länder, die nicht unter derselben Isolation gelitten hätten. Dabei sei P. Hindemith unter den modernen Komponisten der am meisten gespielte. Ein beträchtliches Interesse galt der Zwölftonmusik.

Generell ließ die Rezeption musikalischer Werke 1949 in Deutschland rasch gewisse Vorlieben erkennen: Die Musik A. Honeggers wurde auch vom eher konservativen Lager aufgenommen und feierte einige Erfolge; D. Milhaud dagegen blieb damals nahezu unbekannt. B. Bartók war im Begriff allgemein bekannt zu werden; I. Strawinsky wurde gespielt, allerdings nicht übermäßig bewundert.

Foto: de.wikipedia.org / Carl van Vechten
George Gershwin

Unter den US-amerikanischen Komponisten waren S. Barber, A. Copland, G. Menotti und W. Piston relativ gut bekannt, R. Harris dagegen weniger. Laut Helm gab es ein bemerkenswertes Interesse an US-amerikanischer Musik, wenn auch Intention und Stil oft missverstanden würden. Vor allem G. Gershwin war allgemein beliebt.


Die US-amerikanische Besatzungsmacht gab sich dem Glauben hin, durch die Bereitstellung und die Verbreitung ihrer eigenen Kultur ihren Demokratiegedanken im deutschen Volk verankern zu können. Mit der allgemeinen Steigerung des Angebotes an Musik z. B. glaubte man, auch den Anteil der US-amerikanischen Musik in Deutschland steigern zu können. Dies gelang jedoch nur bedingt, denn die Faktoren, die das damalige deutsche Musikleben prägten, waren vielschichtig, nicht durchgehend musikalischen Ursprungs und relativ kompliziert. So zeigten sich fernab der Metropolen in der deutschen bzw. hessischen Provinz häufig spezielle Schwierigkeiten: Noch bestehende Orchester waren an ein Theater oder den Kurbetrieb gebunden. Die Möglichkeit für Gastspiele auswärtiger Orchester gestaltete sich meist schwierig. Hinzu kam die Problematik der Unterhaltungskosten, ob als privates Unternehmen oder als städtische Einrichtung; ganz zu schweigen von Besetzungsfragen im Zuge der Sparmaßnahmen.

Um die Verbreitung von moderner zeitgenössischer Musik weiter voranzutreiben, schlossen sich im Juni 1949 die auf diesem Gebiet führenden drei Radiosender – Radio Frankfurt, Südwestfunk, Nordwestdeutscher Rundfunk – zusammen und spielten unter dem Motto »Woche der Neuen Musik« in Frankfurt am Main ein umfangreiches Programm, das auch übertragen wurde. Organisiert wurde das Festival von Radio Frankfurt und der Neuen Gesellschaft für Musik. Außer den beiden Rundfunkorchestern aus Baden-Baden und Hamburg, folgten auch einige kleinere Ensembles sowie Solisten und Komponisten, wie O. Messiaen und E. Britten der Einladung. Das Programm umfasste u. a. Werke von B. Bartók, B. Blacher, E. Britten, A. Copland, L. Dallapiccola, W. Egk, W. Fortner, H. W. Henze, P. Hindemith, E. Krenek, N. Lockwood, O. Messiaen, M. Peragallo, W. Pijper, S. Prokofieff, A. Roussel, A. Schönberg, H. Searle, I. Strawinsky und M. Tippet. Die Frankfurter »Woche der Neuen Musik« eröffnete die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt.

In der Auseinandersetzung mit und der Gewöhnung an zeitgenössische Musik bescheinigte Helm den Deutschen 1949 einen langen Weg, denn auch wenn diejenigen, die sich professionell mit Musik befassten, durchaus Fortschritte im Umgang mit ihren zeitgenössischen Formen zeigten, die Mehrheit der Deutschen blieb weit hinter den Erwartungen der US-Amerikaner zurück. Die Werke, die von den Radiosendern nur selten übertragen wurden, gelangten nun in die Konzerthallen. Laut Helm wurden P. Tschaikowsky und R. Strauss von den Deutschen akzeptiert, I. Strawinsky dagegen sei ihnen weitgehend ein Gräuel. Die Ankündigung eines Werkes von P. Hindemith reiche aus, um die Öffentlichkeit in Scharen abzuhalten, sogar wenn sie mit J. Brahms und R. Wagner gelockt würde. M. Ravel werde von den meisten Deutschen als fortschrittlich genug angesehen. Der Garant für ausverkaufte Häuser war nach wie vor L. v. Beethoven.

Am Beispiel des Musiklebens der Universitätsstadt Marburg lässt sich der tatsächliche Einfluss der US-amerikanischen Kulturpolitik verdeutlichen. Da die US-Militärregierung nicht gegen demokratische Prinzipien verstoßen wollte, ihren kulturpolitischen Demokratisierungsversuchen keinen Nachdruck verlieh und die Lizenzträger mehr oder weniger gewähren ließ, kehrte die deutsche Öffentlichkeit relativ rasch zu ihren gewohnten musikalischen Vorlieben zurück. In dieser Hinsicht vertrat die Universitätsstadt Marburg keinesfalls eine Sonderstellung. Auch in anderen Teilen Hessens waren ähnliche Tendenzen zu beobachten.