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Maria Domenica Polon

Das Engagement der aus Venedig stammenden Sängerin und Violinistin Maria Domenica Polon nach Arolsen steht am Anfang des Aufbaus der Hofkultur im Fürstentum Waldeck-Pyrmont. Ehrgeiziges Ziel des Fürsten Friedrich Anton Ulrich (reg. 1712 – 1728) war der Aufbau einer Hofmusik, wie sie in den Residenzen des Heiligen Römischen Reichs (deutscher Nation) Mode war. Der Fürst war demnach bestrebt, italienische Sängerinnen, Sänger sowie Instrumentalvirtuosen nach Arolsen zu holen. Seinen ambitionierten Plänen setzten die finanziellen Gegebenheiten allerdings Grenzen. Dennoch: 1715/16 oder 1719, als er sich in Venedig aufhielt, wurde die Sängerin und Violinistin Maria Domenica (Zahlungen für „Dominica“ [!] für Jan. 1719 belegt [1]) in den fürstlichen Dienst genommen. 1720 heiratete sie in Arolsen (im 1725 abgerissenen Schloss Luisenthal) den Geiger und Cembalisten Leonhard Polon, der seit 1716 in Arolsen Haushofmeister und Kammermusiker war.[2]

Ospedale della Pietà in Venedig
Foto: Wikipedia
Ospedale della Pietà in Venedig

Maria Domenica Polons Ausbildung zur Musikerin erfolgte am Venezianischen Ospedale della Pietà, eine der renommierten Ausbildungsstätten für begabte Waisenkinder. Ihre Lehrer waren mit großer Wahrscheinlichkeit Francesco Gasparini und Antonio Vivaldi, die dort als Chormeister bzw. Violinlehrer tätig waren.

In Arolsen war Maria Domenica an den Kammerkonzerten im Schloss beteiligt. Berichte über Ankäufe von Musikalien aus Venedig (vermittelt über den Arolser Hofrat und Geheimsekretär Joachim Christoph Nemeitz bzw. über den Librettisten Domenico Lalli) sowie Libretti von Arolser Hoffesten aus dem Zeitraum 1715 bis 1739, Serenate oder Cantate (z. B. Il genio festiggiante di Arolsen; Text: Domenico Lalli; 1730[3]), als deren Autor vielfach Leonhard Polon ausgewiesen ist, sind Zeugen einer Hofmusik[4], die an einer aufstrebenden Residenz wie das Fürstentum Waldeck-Pyrmont üblich war. Dokumente über die Anmahnung ausbleibenden Lohns aus den Jahren 1724/25 deuten darauf hin, dass beim Aufbau der Arolser Hofmusik Wunsch und Wirklichkeit nicht immer in Einklang zu bringen waren.[5] So wurde das Ehepaar Polon im Sommer 1724 zu Engagements andernorts beurlaubt.

Georg Friedrich Händel: Julius Caesar in Ägypten, Erstausgabe von Bezaleel Creake, 1724.
Foto: Wikipedia
Georg Friedrich Händel: Julius Caesar in Ägypten, Erstausgabe von Bezaleel Creake, 1724.

In den Jahren 1724 bis 1728 wirkte Maria Domenica als Sopranistin am Hamburger Opernhaus am Gänsemarkt (Debüt im August 1724 als Octavia in Giuseppe Maria Orlandinis Nerone; zahlreiche weitere Aufführungen in Serenate [1724 und 1726] sowie in Opern Antonio Caldaras, Gasparinis, Georg Friedrich Händels, Reinhard Keisers, Johann Paul Kuntzens, Nicolò Porporas, Giovanni Portas und Georg Philipp Telemanns).[6] Auch ihre Mitwirkung als Violinistin in einem Konzert (29. Dez. 1724) ist belegt. Derartige Beurlaubungen in Verbindung mit auswärtigen Engagements waren üblich und dienten aus Sicht der Höfe, von der finanziellen Entlastung abgesehen, als „Visitenkarte“, als Ausweis der Qualität der fürstlichen Hofmusik. Vom 1. Mai 1729 bis 30. April 1730 lassen sich an Maria Domenica Polon nochmals Zahlungen aus Arolsen nachweisen.[7] Polons Rückkehr nach Arolsen Ende April 1729 belegt nachfolgendes Schreiben Telemanns an Joachim Christoph Nemeitz:

Wohlgebohrner Herr,

insonders hochzuehrender Herr!

Der.o Wohlgeb.n hierbey etwas von meiner Music überliefern zu lassen, dazu veranlasset mich die gegenwärtige Gelegenheit durch Ma.me Polone, welche dessfalls Ihre Dienste mir anerbieten lässt. Ich vermeine indessen nicht übel gethan zu haben, daß, da Ew. Wohlgeb. bisher an allen meinen heraus-gegebenen Werken Antheil genommen, ich auch das gegenwärtige Journal Denenselben übersende, und hoffe, dass solches nicht aussfällig seyn werde, wobey ich zugleich melde, daß jede Lection davon 3. ggl. kostet, und daß ich vor erst gesonnen sey, solche bis auf 24. zu continuiren; sonst ist auch vor kurzem die Helden=Music [Helden=Music: unterstrichen], oder 24. Marches für verschiedene Instrumente, ans Licht getreten, und nächstens dürfte auch ein Choral-Buch erscheinen, worin ich die alten Original-Melodien wieder herstelle, solchen aber auch [auch: durchgestrichen] einen großen Theil der bisherigen Abweichungen beyfüge, und welche mit 4.ter Stimme also eingerichtet, daß auch ein halb-erfahrener solche herausbringen kann. Ich erwarte sonst Befehl, ob ich die künftigen Lectionen des Music-Meister [Music-Meister: unterstrichen] ebenmäßig einsenden solle, der ich in vollkommenem Respect verharre

Ew. Wohlgeb.

meines insonders hochzuehrenden Herrn

ergebenster Diener,

Telemann.

Hamb. d. 25. April,

1729.

(Handschreiben des Komponisten [Georg Philipp] Telemann, datiert Hamburg 25.4.1729, HStAM 121 Nr. 8008: Waldeckische Regierung, Abrechnung des Hofrates Joachim Christoph Nemeitz über die erhobenen Hofbibliotheks-Gelder, Laufzeit 1726-1730; übertragen von Sabine Henze-Döhring [nicht enthalten in: Georg Philipp Telemann. Briefwechsel, hrsg. v. Hans Grosse und Hans Rudolf Jung, Leipzig 1972]; Faksimile-Abdruck in: Friedhelm Brusniak, Grundzüge einer Musikgeschichte Waldecks, in: Musik in Waldeck-Frankenberg. Musikgeschichte des Landkreises, Korbach 1997, S. 15–92: 36)

Im Winter 1729/30 kehrte Polon nochmals nach Hamburg zurück (als Flavius in Telemanns gleichnamiger Oper, Auff. am 23. Nov. 1729, sowie als Europa in einer Serenata, Auff.am 11. Febr. 1730). Nach 1730 verlieren sich Maria Domenica Polons Spuren als Arolser Hofmusikerin. Es ist nicht auszuschließen, dass sie noch 1739 in der „Traur=Cantata“ („Felsen! weinet Thränen Güsse“) aus Anlass des Todes Prinz Ludwig Franz Antons, eines Sohns des 1728 verstorbenen Fürsten Anton Ulrichs, mitwirkte. 1739 soll sie mit ihrer Tochter Louisa Friederica nach Warburg übergesiedelt sein. Ihre Ehe mit Leonhard Polon wurde spätestens 1743 geschieden. [8]

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[1] Hermann Langkabel, Die waldeckischen Rechnungen als musikgeschichtliche Quelle. In: Geschichtsblätter für Waldeck 85 (1997), S. 78-84: 80.

[2] Diether Rouvel, Zur Geschichte der Musik am Fürstlich Waldeckschen Hofe zu Arolsen (= Kölner Beiträge zur Musikforschung 22), Regensburg 1962, S. 17.

[3] Libretto im Hessischen Staatsarchiv Marburg (HStAM), Bestand 118 a, Nr. 1641.

[4] Die Libretti sind im HStAM überliefert (Bestand 118 a).

[5] Vgl. Langkabel, Die waldeckischen Rechnungen (wie Fußnote 1), S. 81.

[6] Erstmals zusammengestellt von Willi Maertens, Marginalien zu Georg Philipp Telemanns Kapitänsmusiken, in: Auf der gezeigten Spur. Beiträge zur Telemannforschung. Festgabe Martin Ruhnke zum 70. Geburtstag am 14. Juni 1791, hrsg. von Wolfgang Hirschmann, Wolf Hobohm und Carsten Lange (=Magdeburger Telemannstudien XIII), Magdeburg 1994, S. 13–25. Die vollständigsten Angaben in: Hans Joachim Marx, Dorothea Schröder, Die Hamburger Gänsemarkt-Oper. Katalog der Textbücher (1678–1748), Laaber 1995, passim.

[7] Vgl. Langkabel, Die waldeckischen Rechnungen (wie Fußnote 1), S. 81.

[8] Vgl. das Dokument HStAM 123 Nr. 2117.