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Das Privatorchester des Schnupftabakfabrikanten Peter Bernard in Offenbach
Von Sabine Henze-Döhring
Profi-Orchester in privater Trägerschaft waren im 18. Jahrhundert eine Rarität. Sie setzten kunstsinnige Mäzene oder prosperierende Unternehmen als deren Finanziers voraus, was in Verhältnissen, die einst das Territorium des heutigen Hessen bot, kaum vorkommen konnte. In Offenbach allerdings, seinerzeit Residenzstadt der Grafschaft Isenburg-Birstein, ereignete sich ein Glücksfall. Dort gründete der Geiger Peter Bernard (1755–1805) ein aus rund 20 Musikern bestehendes Orchester, dessen Existenz sich der Tatsache verdankte, dass er einerseits ein begeisterter und fähiger Musiker war, andererseits Miteigentümer der Fürstlich Isenburgschen privilegierten Schnupftabakfabrik.
Dieses ungewöhnlich prosperierende Unternehmen wurde vom damaligen Regenten Graf Wolfgang-Ernst III. zu Isenburg-Birstein (seit 1744 Fürst Wolfgang Ernst I. zu Isenburg-Birstein) als Meilenstein des Offenbacher Wirtschaftsaufbaus gefördert und privilegiert.1 1733 von Peters Onkel Johann Nikolaus Bernard als erste Schnupftabakfabrik Deutschlands gegründet, stand das Unternehmen, dem einige Jahre später Peters Vater Johann Heinrich als Teilhaber beitrat, in hohem Ansehen. Nach einem Modernisierungsschub und dem Rückzug des alten Onkels setzten Peter und sein Schwager Jean Georg d’Orville (1747–1811) in zweiter Generation die Schnupftabakproduktion erfolgreich fort. Um 1775 konnten sie es sich leisten, auf dem Firmengelände an der Herrnstraße ein herrschaftliches Haus zu errichten, das über einen Festsaal verfügte. Zwischen 1795 und 1802 fanden dort den Winter über Orchesterkonzerte mit hochangesehenen Musikern statt. Im Sommer gab es öffentliche Gartenkonzerte.
Peters Bestreben, in Offenbach auf professionellem Niveau zeitgenössische Orchestermusik aufzuführen, setzte die feste Beschäftigung eines entsprechenden Ensembles voraus. Bernards Plänen kam entgegen, dass es Ende des 18. Jahrhunderts an den Höfen als bislang Hauptarbeitgeber von Spitzenmusikern massive Sparzwänge, auch politische Umstände gab, die bis zur Auflösung der Hofmusik führen konnten. Davon betroffen war eine Reihe von Hoforchestern, wodurch dem Markt hochqualifizierte Instrumentalisten zur Verfügung standen.
An erster Stelle zu nennen ist der Violinist Ferdinand Fränzl (1767–1833)2, Sohn des angesehenen Mannheimer Konzertmeisters Ignaz Fränzl. Nach altem Herkommen wäre der hochbegabte Sohn in die Mannheimer Hofkapelle hineingewachsen und später ihr Mitglied geworden. Nachdem jedoch 1778 der kurpfälzische Hof von Mannheim nach München verlegt worden war, konnte daraus nichts werden. Der junge Fränzl orientierte sich anders. Er unternahm Bildungs- und Konzertreisen durch ganz Europa. 1792 nahm er eine Stelle als Violinist in dem von einer Aktiengesellschaft getragenen Orchester des Frankfurter Nationaltheaters an, dessen Direktion Bernard seit 1796 angehörte. 1795 hatte Bernard dem schon damals angesehenen Fränzl die Direktion seines neugegründeten Offenbacher Orchesters angetragen. Seit einem wirtschaftlichen Krisenjahr (1799), das Bernard Sparmaßnahmen auferlegte, schließlich nach Auflösung des großen Orchesters (1802) begab sich Fränzl wiederum auf Konzertreisen, war drei Jahre in St. Petersburg und Moskau, ehe er sich 1806 als Hofmusikdirektor in München niederließ.
Als Bratscher stellte Bernard 1797 den aus Mainz stammenden Philipp Carl Hoffmann (1769–1842) ein. Hoffmann war als Hofmusiker in spe ebenfalls vom Wandel der politischen Verhältnisse in seiner Heimatstadt betroffen. Zwar war ihm noch im Januar 1797 mittels kurfürstlichen Dekrets eine Stelle bei der Kurfürstlichen Hofmusik in Mainz zugesichert worden, doch wurde der „Dienstesantritt“ im seinerzeit belagerten Mainz „bis zu erfolgendem Frieden“ festgesetzt.3 Von dieser Option konnte Hoffmann nicht profitieren, da das Kurfürstentum Mainz zum Jahresende 1797 seine Existenz einbüßte und an Frankreich fiel. Hoffmann bereicherte bis 1802 Bernards Orchester, wobei auch er im Krisenjahr 1799 eine ausgedehnte Konzertreise durch Europa unternahm. Nach Auflösung des Orchesters wirkte er unter anderem als Konzertpianist, Komponist und Musikpädagoge in Offenbach, machte sich als Naturwissenschaftler einen Namen und siedelte 1810 für über ein Jahrzehnt nach St. Petersburg über.
Ein ebenfalls renommierter Musiker war der aus Niedernhall (Hohenlohe) stammende Cellist Johann Gottfried Arnold (1773–1806), der – ebenso wie Fränzl, der Flötist Schwind oder der Hornist Peter Wack – im Offenbacher Einwohnerverzeichnis 1794/95 in der Gruppe der „Musici bei Hr Bernard“ gelistet ist.4 Schwind und Wack sind um 1800 im Orchester des Frankfurter Nationaltheaters nachweisbar und gehörten offenbar zu jenen Musikern Bernards, die zum eklatanten Aufschwung des Frankfurter Orchesters beigetragen haben sollen.5
Weiß man auch nicht im Einzelnen, wer zu den rund 20 Mitgliedern in der Blütezeit des Offenbacher Orchesters zählte, so lässt sich immerhin sagen, dass Fränzl, Hoffmann und Arnold Künstler waren, die europaweit konzertierten. Ihr Ansehen lässt sich auch daran ermessen, dass der Offenbacher Musikverleger Johann Anton André, ein Freund Bernards, seit 1800 einige ihrer Kompositionen druckte.6
Bernards Orchester genoss weit über Offenbachs Grenzen hinaus einen ausgezeichneten Ruf: „Das Orchester des Herrn Bernard darf, in Absicht seiner Virtuosen, mit jedem in Deutschland bekannten wetteifern; denn es besteht aus Künstlern, welche vor der Revoluzion die Kammermusiken mancher fürstlichen Höfe zierten, die theils gar nicht mehr, theils nur noch dürftig existiren“.7 1798 hatte Bernard für seine Musiker ein eigenes Haus in der Kanalstraße (später Kaiserstraße) errichtet, in dem diese wohnten und wohl auch arbeiteten. Bernards unternehmerische Krise infolge einer misslungenen Spekulation zwang ihn 1799, an seinem Orchester zu sparen, das ihn im Übrigen „jährlich achtzehn bis zwanzigtausend Gulden gekostet haben soll“.8
Über die Programme, den Rahmen oder die Dramaturgie der Konzerte kann man leider nichts Belegbares in Erfahrung bringen. Programme wurden Ende des 18. Jahrhunderts in der Regel nur dann publik, wenn Konzerte in Zeitungen öffentlich beworben wurden. Die Bedeutung und der künstlerische Rang des Bernardschen Orchesters wurde einer breiteren Öffentlichkeit allerdings bekannt: „Seit beynahe zwanzig Jahren“, so heißt es in einem Nachruf auf ihn in der auflagenstarken National-Zeitung der Teutschen, „unterhielt er auf eigene Kosten eine musikalische Kapelle von Virtuosen; und es ist nicht zu viel gesagt, wenn man bemerkt, daß die Bernardische Kapelle nicht nur in ganz Teutschland als vortrefflich bekannt geworden, sondern selbst im Ausland einen Glanz von Zelebrität auf unsere kleine Stadt geworfen hat. Seine Konzerte standen dem Publikum jederzeit offen, welches sich oft, um solche zu hören, an Sommerabenden in seinem englischen Garten zahlreich zu versammeln pflegte. Er selbst exzellirte als Dilettant auf der Violine. Reisende Tonkünstler und Kenner, Reisende vom höchsten Stande, besuchten mit Beyfall dieses auserlesene musikalische Institut eines Privatmannes, worin sich Männer, wie Fränzl, Hof[f]mann u.s.w. befanden.“9
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[1] Vgl. Emil Pirazzi, Bilder und Geschichten aus Offenbachs Vergangenheit, Offenbach 1879, S. 189.
[2] Zur Biographie vgl. Roland Würtz, Der Virtuose Ferdinand Fränzl (1767–1833), in: Musik in Baden-Württemberg. Jahrbuch 2017/2018. Bd. 24: Jubiläumsband, hrsg. Gesellschaft für Musikgeschichte in Baden-Württemberg, Stuttgart 2018, S. 69–83 (aktualisierte Fassung von Würtz‘ Aufsatz „Ferdinand Fränzl“, in: Mannheimer Hefte 1967, H. 2, S. 43–48).
[3] Vgl. Wolfgang Finn, Dr. Wolfgang Heinemann, Zur Geschichte der Wetterauischen Gesellschaft für die gesamte Naturkunde zu Hanau. Gegr. 1808. Lebensläufe der Gründungsmitglieder, Hanau 2010, S. 42f., hier zitiert und dargestellt nach Egmont Michels, Philipp Carl Hoffmann (1769–1842). Musicus, Privatgelehrter und Pianoforte-Kenner (=Beiträge zur mittelrheinischen Musikgeschichte, Bd. 45), Mainz 2016, S. 12f.
[4] Vgl. Josef Wingenfeld, und alle kamen nach Offenbach. Aufstieg zur Stadt vor 200 Jahren, Offenbach 21975, S. 60 (dort Abdruck der entsprechenden Seite aus dem Einwohnerverzeichnis im Faksimile).
[5] Vgl. Carl Gollmick, Auto-Biographie. Nebst einigen Momenten aus der Geschichte des Frankfurter Theaters, Frankfurt am Main 1866, S. 65–68.
[6] Vgl. Britta Constapel, Der Musikverlag Johann André in Offenbach am Main. Studien zur Verlagstätigkeit von Johann Anton André und Verzeichnis der Musikalien von 1800 bis 1840 (=Würzburger musikhistorische Beiträge, Bd. 21), Tutzing 1998 („Register Komponisten“ und – zur Ermittlung der Erscheinungsdaten – „Vollständiger Katalog nach Verlagsnummern sortiert“).
[7] Zeitung für die elegante Welt, Nr. 7, 15. Januar 1801, Sp. 52f.: 52.
[8] Ebd.
[9] Buri [=Carl Ernst Wilhelm von Buri], Merkwürdige Todesfälle, National-Zeitung der Teutschen, Jahrgang 1805, Nr. 17 (25. April 1805), Sp. 313ff.: 314.