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Dissertationsprojekte

 

Christine Becker: Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht

Die Aussage, dass Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht behandelt werden sollte, ist in der aktuellen Literaturdidaktik nicht mehr umstritten. Vor diesem Hintergrund mag es verwundern, dass - nimmt man die tatsächliche Unterrichtspraxis empirisch in den Blick - scheinbar nur wenige der in den vergangenen zwei Jahrzehnten publizierten literarischen Werke dauerhaft Eingang in den gymnasialen Deutschunterricht gefunden haben.

Schulische Lektüreauswahl ist ein komplexer Prozess, der sich zwischen den Entwicklungen im literarischen Gegenstandsfeld auf der einen Seite und den Polen fachdidaktischer Konzepte, institutioneller Vorgaben, personaler Bedingungen, Lernmittelverfügbarkeit und textimmanenter Merkmale (Umfang, Sprache, thematische Anknüpfungspunkte und methodisch-didaktische Flexibilität eines Textes) auf der anderen Seite konstituiert.

Ziel meiner Arbeit ist es, die genannten Kriterien schulischer Lektüreauswahl im historischen Längsschnitt wissenschafts- und unterrichtsgeschichtlich sowie mit Blick auf die Gegenwart theoretisch und empirisch zu untersuchen. Im Zentrum stehen insbesondere die Bedingungen, unter denen sich schulische Kanones für die Gegenwartsliteratur öffnen, um so die Frage nach den Einsatzmöglichkeiten und dem faktischem Einsatz sowie nach der Funktion und Relevanz von Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht wissenschaftlich fundiert beantworten zu können. Zudem sollen Ausblicke auf ein didaktisches Konzept gegeben werden, das die Position gegenwartsliterarischer Texte im Unterrichtsalltag zu stärken und zu erweitern sucht und so auf eine gelungene Integration von Gegenwartsliteratur in den Unterrichtsalltag zielt.

Kontakt: christine.becker79@web.de

Lara Binnenkade: Im Zeichen der Reinheit. Zur Produktivität eines Denkmotivs in der deutschsprachigen Literatur um 1800 (Jean Paul, Goethe, F. Schlegel, von Wolzogen, die Geschwister Brentano)

Das Denkmotiv der Reinheit hat in literarischen und außerliterarischen Texten des ausgehenden 18. Jahrhunderts Konjunktur. Diese Polypräsenz von Reinheit kann, folgt man der Sozialanthropologin Mary Douglas und neueren, an ihre Forschungen anschließenden Studien (zuletzt: Burschel 2011), im Zusammenhang mit zeitgenössischen Umbruchprozessen gesehen werden, wie sie sich im deutschsprachigen Raum um 1800 in politischer, sozialgeschichtlicher, epistemischer und kultureller Hinsicht ereignen.

Das Promotionsprojekt nimmt sich zum Ziel, Konfigurationen von Reinheit in der Literatur um 1800 in textnahen Analysen zu erforschen. Darüber hinaus sollen die in den literarischen Fallstudien gewonnenen Ergebnisse innerhalb des zeitgenössischen Reinheitsdiskurses verortet werden, wie er sich in den unterschiedlichsten, um 1800 erschienenen kulturhistorischen Texten zeigt.
Untersucht wird konkret, inwiefern literarische Texte sich auf je spezifische Art und Weise des Denkmotivs der Reinheit bedienen, sich dessen Implikationen (Homogenität, Authentizität, Alterität und Abgeschlossenheit) innerhalb des Textspiels zunutze machen, das (gefährliche) Potential der Reinheitsmetapher auf spezifisch literarische Weise reflektieren, Denken und Schreiben im Zeichen der Reinheit subversiv aufbrechen oder gar explizit dekonstruieren. 

Kontakt: larabinnenkade@yahoo.de

Malte Dreyer: Literarizität als Praxis. Eine Rekonstruktion aktueller Textepistemologien

Nach der Konjunktur hermeneutischer Ansätze in den 1960er und 1970er Jahren wird die Beantwortung der Frage, was Literatur sei, zunehmend an empirisch und naturwissenschaftlich operierende Disziplinen wie die Evolutionsbiologie und die Neurowissenschaften delegiert. Diese rekonstruieren das Literarische der Literatur als ein ausschließlich im Kontext naturwissenschaftlicher Theoriebildung beschreibbares Epiphänomen übergeordneter Kausalprozesse. Literarizität als eine spezifische Redepraxis zu rekonstruieren, eröffnet dagegen die Möglichkeit, das literarische Sprechen als spezifische Kommunikationsleistung auszuzeichnen, die nicht nur an ein technisches Dispositiv oder bestimmte Institutionen gebunden ist, sondern gewisse konstitutive Funktionen auch innerhalb derjenigen naturalistischen Wissenschaften erfüllt, die Literarizität bislang ausschließlich auf der Objektebene verorten. Zur Entwicklung dieses Ansatzes wird auf das vergessene hermeneutische Konzept von Josef König zurückgegriffen. In einem dritten Schritt wird der Vorschlag, Literatur als eine erkenntnisrelevante Praxis auch im theoretischen Sinne zu verstehen, in der exemplarischen Analyse einer Debatte über die Darstellungsgrenzen literarischen Sprechens erprobt.

Kontakt: dreyer.malte@googlemail.com

Sigrun Galter: Von der frühromantischen "Neuen Mythologie" zum Trivialmythos. Kultursemiotische Aspekte der Darstellung Albrecht Dürers in Erzähltexten von der Romantik bis heute

„Wird Albrecht Dürer jemals sterben? Nein, kein großer Künstler verlässt uns ganz; er kann es nicht, sein Geist, seine Kunst bleibt freundlich unter uns wohnen.“ Voll Emphase beschreibt so die Hauptfigur von Ludwig Tiecks Künstlerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“ (1798) das Nachwirken des berühmtesten deutschen Künstlers. Damit ist der erste Höhepunkt und zugleich der entscheidende Ausgangspunkt einer bis heute währenden literarischen Mythisierung dieser Figur markiert.

Diese Untersuchung widmet sich der Entwicklung des Dürer-Mythos in der erzählenden Literatur von der Frühromantik bis heute. Dabei ist ein interdisziplinärer Ansatz unerlässlich: Traditionell einzelnen Fächern zugeordnete Bereiche (Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte, Kulturgeschichte) werden hier im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Herangehensweise verknüpft. Ziel der Arbeit ist es, bisherige Forschungen zum Dürer-Kult in der bildenden Kunst, im Kunstgewerbe wie auch im Handlungssystem der Kunst (z.B. Dürer-Feiern) durch eine systematische Aufarbeitung literarischer Mythisierungen dieser Figur zu ergänzen.

Kontakt: sigrun.galter@staff.uni-marburg.de

Sandra Hint: Produktive Melancholie. Versuch einer Theorie anhand ausgewählter Romane des 20. Jahrhunderts 

Der Begriff „Melancholie“ hat mindestens so viele Bedeutungen, wie verschiedene Wissenschaften sich mit ihm auseinandergesetzt haben. Seit der antiken Humoralpathologie, der theologisch-kosmologischen Melancholie des Mittelalters und den Auseinandersetzungen der Psychoanalyse mit Melancholie und Trauer, die mittlerweile veraltet oder neu definiert worden sind, bleibt der Begriff für die Literaturwissenschaft weiterhin aktuell. Autoren des 20. Jahrhunderts wie z.B. Gottfried Benn, Günter Grass, Heinrich Böll, Thomas Mann, Franz Kafka oder Robert Musil redeten über die Melancholie, sprachen jedoch oft im Umgang mit literaturtheoretischen Aspekten über die oben erwähnten, veralteten Formen, obwohl in ihren Werken ein anderer, fortgeschrittenerer Typus von Melancholie angelegt ist, der noch näher zu untersuchen ist.

In meiner Arbeit möchte ich für einen Melancholiebegriff argumentieren, der die Melancholie in der Literatur als produktives Phänomen und Werkzeug des Autors darstellt. Mittels einer systematischen Beschreibung der Entwicklungen im Melancholiediskurs möchte ich unterschiedliche Formen der Melancholie im Zusammenhang mit den entsprechenden Veränderungen und Strömungen in unterschiedlichen Wissenschaften analysieren und darüber hinaus neue Perspektiven für den literaturwissenschaftlichen Umgang mit diesem Begriff eröffnen. Der Begriff der produktiven Melancholie wird dabei theoretisch fundiert und  anhand von drei exemplarischen literarischen Texten erläutert: „Der Zauberberg“ von Thomas Mann, „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil und „Die Blechtrommel“ von Günter Grass.

Kontakt: sandraliisa@gmail.com

Anne-Sophie Kahnt: Dekonstruktive Lektüren Walter Benjamins. Ein rezeptionsgeschichtlicher Überblick

Unter den zahlreichen Aneignungen und Weiterführungen der Gedanken Walter Benjamins sticht die Rezeption durch dekonstruktiv orientierte Autoren seit den 1980er Jahren wegen ihrer unkonventionellen Neuperspektivierung hervor. Trotz der großen Bedeutung der dekonstruktiven Rezeption in der internationalen Benjamin-Forschung ist eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Forschungsrichtung jedoch bislang Desiderat geblieben. Das Projekt Dekonstruktive Lektüren Walter Benjamins soll nun einen rezeptionsgeschichtlich ausgerichteten Überblick mit Handbuchcharakter über diesen, insbesondere in der angloamerikanischen Benjamin-Rezeption wichtigen, Teilbereich der akademischen Rezeption der Schriften Walter Benjamins geben. Anhand einer philosophisch orientierten Darstellung zentraler Benjamin-Lektüren im deutschen, französischen und angloamerikanischen Dekonstruktivismus, Texten also von Paul de Man, Jacques Derrida und Carol Jacobs, aber auch Peter Fenves, Davis Ferris, Werner Hamacher, Bettine Menke, Rainer Nägele, Gerhard Richter, Samuel Weber u.a., sollen die Hauptlinien und Konstellationen jener Auseinandersetzungen mit den Texten Walter Benjamins nachgezeichnet werden.

Ziel der Arbeit ist es, diesen von der deutschsprachigen Benjamin-Forschung bislang nur selektiv wahrgenommenen Teilbereich der akademischen Rezeption der Schriften Walter Benjamins sowohl für die Benjamin-Forschung im Speziellen als auch für die hiesigen Geisteswissenschaften allgemein zugänglicher zu machen. Zugleich wird eine auf Methodenreflexion ausgerichtete Behandlung der Spezifika dekonstruktiver Lektüren Walter Benjamins diese methodologisch und geistesgeschichtlich nicht nur innerhalb der Benjamin-Forschung, sondern auch in der Wissenschaftsgeschichte der Geisteswissenschaften zu verorten suchen.

Kontakt: askahnt@gmx.de

Sonja Kersten: „Wendeliteratur“ im 21. Jahrhundert. Literarische Erinnerungen junger deutschsprachiger Autorinnen und Autoren, die mit dem Mauerfall erwachsen wurden

Auf den „Wenderoman“ wartet heute niemand mehr. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – haben in der aktuellen Literatur jene Werke Konjunktur, die sich der deutschen Zweistaatlichkeit und ihrem Ende widmen. Mehr denn je prägt den literarischen Diskurs zur „Wende“ eine Polyphonie thematischer wie ästhetischer Erinnerungsweisen, an der seit Beginn des 21. Jahrhunderts vermehrt auch junge AutorInnen partizipieren, die 1989/90 noch Kinder und Jugendliche waren.

Das Dissertationsprojekt hat vor diesem Hintergrund eine – in der literaturwissenschaftlichen Forschung bislang noch immer fehlende – möglichst umfassende und differenzierte Gesamtdarstellung der Literatur junger ost- und westdeutscher AutorInnen zum Ziel, die die „Wende“, ihr historisch-gesellschaftliches Umfeld und ihre Auswirkungen thematisiert. Wegweisend ist die These, dass das genannte Textkorpus das Potential bietet, einen neuen Punkt in der literarischen Verarbeitung der „Wendeereignisse“ zu markieren. Da das Wissen dieser AutorInnen über die DDR nicht primär auf eigenen Erfahrungen beruht, können sie der Thematik unbefangener begegnen und sie freier literarisch nutzen. Die „Wende“ fungiert in diesen Texten als Thema, das nicht mehr (wie etwa noch in JANA HENSELS Zonenkinder) nach dokumentarischen Erzählweisen, authentischer Nachformung und Geschichtstreue verlangt. Als Teil der gesamtdeutschen Erinnerungskultur ermöglichen diese Werke damit neue Sichtweisen und Deutungsperspektiven und leisten so einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit.

Kontakt: hauptmannl@staff.uni-marburg.de

Philipp Leson: Reisereportagen der Neuen Sachlichkeit. Eine Untersuchung am Beispiel von Joseph Roths feuilletonistischem Werk

Die „Neue Sachlichkeit“ steht stellvertretend für eine Phase, in der sich Dichtung – auch unter den Eindrücken des Ersten Weltkriegs – vermehrt einer objektiven, beschreibenden Darstellung bedient. Reportagen, Berichte, Biographien und ähnliche Textformen dominieren den literarischen Markt. Das deutsche Feuilleton erlebt unter diesen Voraussetzungen eine vielleicht einmalige Blüte.

In diesem besonderen Kontext entstehen die Reisereportagen Joseph Roths. Er zählt mit seinen Berichten aus Frankreich, Russland und weiteren europäischen Ländern zu den bekanntesten Feuilletonisten der 1920er Jahre. Seine journalistischen Arbeiten bieten sich daher an, der Frage nachzugehen, warum es zu Zeiten der Weimarer Republik zu einer vermehrten Produktion und Rezeption von Reisereportagen gekommen ist. Das Ziel ist die Bestätigung der These, dass sich die journalistische Kleinform der Reisereportage aufgrund ihrer Struktur und Inhalte besonders gut für den Transport der Autorintention eignete und dass der Erfolg nur dank der besonderen Umstände in der Weimarer Republik (Ausbildung des Reisewesen, breite Bildungsbürgerschicht, Expansion der Presselandschaft) möglich gewesen ist. Ferner soll im Rahmen dieses Dissertationsprojekts gezeigt werden, welche Motive (z.B. Politik, Gesellschaft, Geografie) das Genre der Reisereportagen im Kontext der literarischen Epoche der Neuen Sachlichkeit bestimmen.

Kontakt: philipp.leson@t-online.de


Wiebke Lundius: Autorinnen der Gruppe 47

Bei der Ausprägung der (west)deutschen Literatur der Nachkriegszeit nimmt die Gruppe 47 einen zentralen Platz ein. In ihrem Kontext entwickelten sich ein politisches Selbstverständnis von Autorschaft und eine unmittelbare und umfassende Vermarktung von Literatur, die den Literaturbetrieb nachhaltig geprägt haben. Mit dem hier skizzierten Promotionsvorhaben soll die Bedeutung herausgearbeitet werden, die Autorinnen in der Gruppe 47 hatten. Dabei werden die Entstehung der Gruppe, der Prozess der Institutionalisierung und die nachfolgende Entwicklung, in der die Gruppe 47 zur wichtigsten literarischen Instanz in Deutschland wurde, beleuchtet. Im vorfindlichen Bildgedächtnis zur Gruppe 47 nehmen Frauen einen festen Platz ein, eine systematische Einordnung im literaturgeschichtlichen Diskurs steht hingegen noch aus. Um die komplexe Bedeutung der Gruppe 47 abzubilden, liegt dieser Arbeit ein kulturwissenschaftlicher Ansatz mit zeitgeschichtlichen und soziokulturellen Bezügen zugrunde. So können die Geschlechterkonstellationen und  geschlechterdifferenter Zuschreibungspraxen präzise rekonstruiert werden.

Juliane Moschell: Lyrik jenseits der Schrift. Gedichte im 21. Jahrhundert: vertont, verfilmt, performt

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird über den Poetry Film als genuines Genre innerhalb der Literaturverfilmung diskutiert. Der Film ist aber nicht das erste Medium, das ein Auge auf die Poesie geworfen hat. Gedichte bieten seit jeher eine beliebte literarische Folie im Zusammenspiel mit anderen Medien und Künsten. So wird die Dissertation ein erstes wissenschaftliches Panorama der 'Versinnlichung von Gedichten' entwerfen. Dieser Rundblick erfasst einerseits das historische Spektrum der gesprochenen und musikalisch untermalten sowie der (audio-)visualisierten Literatur und veranschaulicht andererseits an aktuellen Präsentationsformen von Gedichten - wie dem Poetryfilm oder auch dem Poetry Slam - den Aufschwung poetischer Texte jenseits der Buchform. Dabei werden die drei Phänomene Vertonung, Verfilmung und Performance vor einem intermedialen Hintergrund theoretisch beleuchtet und exemplarisch analysiert.

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