24.05.2024 Nachruf auf Prof. Dr. Martin Kuester (1958-2024)

Die Kolleg*innen des Instituts für Anglistik und Amerikanistik trauern um Prof. Dr. Martin Kuester, der am 1. April 2024 im Alter von 66 Jahren nach längerem Leiden verstorben ist. Wir haben mit ihm einen äußerst kollegialen und immer einsatzfreudigen Menschen verloren, dem soziale Gerechtigkeit, politische Teilhabe, interkulturelle Begegnung sowie Unterstützung der Studierenden und Promovierenden zentrale Anliegen waren. 

Martin Kuester studierte an den Universitäten in Aachen, Caen, British Columbia und Trier und legte das erste Staatsexamen in den Fächern Englisch und Französisch 1984 ab. Er vertiefte sein erwachtes Interesse an Kanada und den Kanadastudien an der University of Manitoba, wo er 1990 mit einer Arbeit zu Framing Truths: Parodic Structures in Contemporary English-Canadian Historical Novels (Toronto: U of Toronto P, 1992) promovierte. Nach Deutschland zurückgekehrt fand er zunächst in Augsburg seine akademische Heimat als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent, habilitierte sich dort 1998 mit einer Arbeit zu “Prudent Ambiguities”: Zur Problematik von Sprache und Bedeutung im Werk John Miltons (Trier: WVT, 1999; übers. Milton’s Prudent Ambiguities: Words and Signs in His Poetry and Prose [Lanham, MD: UP of America, 2009]) und erhielt 1999 den Ruf an die Philipps-Universität für moderne Anglistik, ein Fach, das für ihn immer auch die Kanadistik einschloss. Schon kurz nach seiner Ernennung gründete er das Marburger Zentrum für Kanada-Studien, das aus der Interdisziplinären Arbeitsgruppe zu Kanada der Philipps-Universität entstand, die 1989 gegründet worden war und sich schon damals auf seit langem existierende Forschungsinteressen von Marburger Wissenschaftler*innen an kanadischen Themen stützen konnte. Martin Kuester war von 2001 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2022 Geschäftsführender Direktor dieses Zentrums. 

Bereits in den 1980er Jahren war er der Gesellschaft für Kanada-Studien im deutschsprachigen Raum (GKS) als Mitglied beigetreten. Er kümmerte sich intensiv um die Belange dieser Gesellschaft, deren Entwicklung er maßgeblich mitgestaltete. Von 2003 bis 2009 leitete er die Sektion Englisch-kanadische Sprache und Literatur, wurde 2009 zum Vizepräsidenten und schließlich 2011 (bis 2013) zu deren Präsidenten gewählt. Bis 2023 war er in jedem Jahr eine feste Größe der Jahrestagungen in Grainau (http://www.kanada-studien.org/7805/trauer-um-prof-dr-martin-kuester/). Kanada bildete auch einen Schwerpunkt seines Lehrens und Forschens. Er vernetzte die Gesellschaft und das Marburger Zentrum international, ermöglichte Studierenden Exkursionen nach Kanada, brachte kanadische Themen in seine Lehrveranstaltungen ein und pflegte enge Kontakte zu kanadischen Wissenschaftler*innen und Autor*innen, die er zu Gastprofessuren an die Uni Marburg und Lesungen in seine Kurse einlud, um mit den Studierenden zu diskutieren. Diese Veranstaltungen, die international und interdisziplinär geprägt waren, waren für viele – Studierende und Kolleg*innen – Highlights des akademischen Lebens. Bis zuletzt verbanden ihn enge Freundschaften mit Schriftsteller*innen und Wissenschaftler*innen in Kanada, wie z.B. mit Henry Beissel, Aritha van Herk, Drew Hayden Taylor, George Elliott Clarke, Guillermo Verdecchia, Rudy Wiebe, David Chariandy, Tomson Highway, Larissa Lai, Joan Clark, Patricia Cano, Rita Wong, Christl Verdyun, Walter Hildebrandt, Hans-Jürgen Greif, Eleanor Ty, David Staines, David Williams und vielen anderen, darunter auch die Organisation eines Interviews mit der kanadischen Krimiautorin Gail Bowen, deren Lesung bis heute online nachzuhören ist (Lesung). 

Martin Kuesters breite Ausbildung – mit einer Promotion zum zeitgenössischen kanadischen historischen Roman und einer Habilitation zur britischen Literatur des 17. Jahrhunderts – und sein Interesse an literarischen, kulturellen und politischen Themen Nordamerikas machten ihn zu einem gelehrten Wissenschaftler und engagierten Lehrer. Er brachte didaktische Projekte wie Teaching Canada – Enseigner le Canada auf den Weg, arbeitete eng mit Schulen der Umgebung zusammen, organisierte in jedem Jahr einen Canada Day und äußerte durchaus seinen Frust, als Programme und Grants (Understanding Canada, Faculty Research Grant, Faculty Enrichment Grant) von der kanadischen Regierung beendet wurden. Doch das hielt ihn nicht davon ab, weiterhin begeistert Kanadastudien zu betreiben. 

In der modernen Anglistik beeindruckte Martin Kuester durch eine thematische Breite in Lehre und Forschung, wie sie heute kaum mehr bei Kolleg*innen zu finden ist. Über die bereits oben genannten Titel hinaus veröffentlichte er unter anderem (zusammen mit seiner Ehefrau Hildegard Kuester) Terminologie der Literaturwissenschaft: Ein Handbuch für das Anglistikstudium (1998), neu aufgelegt als Basislexikon anglistische Literaturwissenschaft (München: UTB/Fink, 2007), sowie ungezählte Aufsätze in renommierten Fachzeitschriften. In der Lehre bot er den Marburger Studierenden ein weites Spektrum von Themen an, von John Miltons Epos Paradise Lost (1667) über britische Romane, Dramen und Gedichte des 19., 20. und 21. Jahrhunderts, bis hin zu “Brexit and All That”.

Ein solcher Nachruf, der Leben und Werk eines äußerst aktiven Lehrers und Wissenschaftlers würdigen soll, kann nur wenige Facetten seines Wirkens beleuchten. Alle, die ihn kannten, können ihre eigenen Geschichten über das erzählen, was sie mit ihm erlebt, und was sie ihm zu verdanken haben. Seine Promovierenden hat er tatkräftig unterstützt (siehe den Nachruf von Kirsten Sandrock und Anca-Raluca Radu auf der Webseite des Anglistikverbandes), seine Studierenden durften ihn als motivierenden Lehrer und fairen Prüfer erleben, und seine Kolleg*innen fanden bei ihm immer ein offenes Ohr für persönlichen und fachlichen Austausch und die Bereitschaft, sich in der Gremienarbeit zu engagieren, nicht zuletzt bei der Entwicklung, Akkreditierung und Re-Akkreditierung der BA-Studiengänge und vor allem des MA Studiengangs North American Studies des Instituts. 

Martin Kuesters Tod hinterlässt eine große Lücke, die niemand füllen wird. Sein Humor, seine Kollegialität und seine Freundschaft werden uns fehlen. Wir denken an ihn mit großem Respekt und tief empfundener Dankbarkeit. 

Prof. Dr. Carmen Birkle

Für das Institut für Anglistik und Amerikanistik 

Traueranzeige

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