Hauptinhalt

Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft

Wer sich für den Schwerpunkt Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft entscheidet, begibt sich auf die Spuren der historischen Entwicklung der indogermanischen Sprachen. Damit sind diejenigen Sprachen zwischen Indien (indo-) und Island (-germanisch) gemeint, die einander in Wortschatz, Sprachbau und Funktionsweise so ähnlich sind, dass wir eine genetische Verwandtschaft annehmen und von einer gemeinsamen Mutter-Sprache ausgehen: dem Ur-Indogermanischen.

Wir beschäftigen uns mit den ältesten greifbaren Textzeugnissen vieler, z.T. schon vor langer Zeit untergegangener Kulturen und studieren z.B. anhand der hethitischen Orakeltexte, der altgriechischen Epen oder der vedischen Gebetshymnen die einstige Gestalt verschiedener indogermanischer Einzelsprachen. Davon ausgehend können wir die zahlreichen Veränderungen nachvollziehen, die sie während ihrer weiteren Entwicklung durchlaufen haben. Da diese Veränderungen alle Bereiche einer Sprache betreffen, die Laute, die grammatischen Bauelemente und den Satzbau, sind eine gute linguistische Grundausbildung und das Interesse an derartigen Fragestellungen sehr wichtig. Wer sich z.B. schon einmal gefragt hat, warum es im Englischen pipe aber im Deutschen Pfeife, tide aber Zeit, dollar aber Taler heißt und wie die beiden Sprachen zusammen hängen, der kann mit uns bis zur Zeit der so genannten hochdeutschen Lautverschiebung zurückblicken und herausfinden, dass es sich dabei um eine systematische Verschiebung des Konsonantensystems handelt, die das Deutsche von seinen engen Verwandten Englisch und auch Niederländisch getrennt hat, so dass die drei heute eigene, voneinander verschiedene Sprachen sind.

Solche „trennenden“ Veränderungen haben auch schon viel früher stattgefunden und letztendlich dazu geführt, dass sich unsere indogermanische Ur-Sprache in so viele verschiedene Zweige aufgefächert hat:

Ein weiteres Ziel unseres Faches ist es, den Weg dieser Auffächerung in die Einzelsprachen so weit in Vergangenheit zurückzuverfolgen, dass wir bis zu dem Punkt des gemeinsamen Ursprungs gelangen. Weil dieser Zustand lange vor dem Einsetzen der schriftlichen Überlieferung liegt, wenden wir die Methode des Sprachvergleichs auf die ältesten Zeugnisse der Einzelsprachen an, um die gemeinsame Quelle durch Rekonstruktion zu erschließen.

Wem schon einmal aufgefallen ist, dass das Wort für Vater in vielen Sprachen Europas und z.T. auch Asiens ganz ähnlich lautet: deutsch Vater, englisch father, lateinisch pater, altirisch athir, griechisch πατήρ, altindisch pitā (etc.), der wird es sicher spannend finden, die gemeinsame Urform dieses Wortes zu erschließen, die wir als Rekonstrukt *ph2tēr ansetzen. Auf diesem Weg können wir auch herausfinden, welche Wörter und Konzepte schon im vierten Jahrtausend vor Christus existierten und sich manchmal bis heute fortgesetzt haben.

Neben den Einsichten in rein sprachliche Phänomene führt die Erforschung ältester Schriftzeugnisse gewissermaßen „nebenbei“ zu Erkenntnissen über den kulturellen Hintergrund der jeweiligen Sprecher-Gemeinschaften, also über ihre Geschichte, Gesellschaftsstruktur, Religion, Philosophie, Dichtkunst usw.

Hier geht es zum Webauftritt der Historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft.