27.08.2018 Vom Bibergeil zum Aspirin
Interdisziplinäres Forscherteam untersucht Geschichte von Arzneimittelrezepten, um Einblick in Umbrüche des deutschen Gesundheitswesens zu bekommen
Ein neues Projekt am Institut für Geschichte der Pharmazie der Philipps-Universität Marburg widmet sich der Geschichte von Arzneimittelrezepten. Ziel des Projektes ist, das Arzneimittelrezept als kulturstiftendes Objekt zu erschließen und damit zugleich Einblicke in die historischen Ursprünge des deutschen Gesundheitswesens zu gewinnen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Vorhaben mit über einer Million Euro, wovon 344.000 Euro an das Marburger Institut gehen. Kooperationspartner sind die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die Westfälische Wilhelms-Universität Münster sowie das Deutsche Apotheken-Museum Heidelberg. Projektbeginn ist im September 2018. Die Laufzeit beträgt vier Jahre.
Am Projekt „Durch das Artefakt zur infra structura – das Arzneimittelrezept als Zugang zur Gestaltung gesellschaftlicher Infrastrukturen“ ist ein interdisziplinäres Team aus Wirtschaftshistorikerinnen, Wirtschaftsinformatikern, einer Kunsthistorikerin und Archäologin sowie Pharmaziehistorikerinnen und Pharmaziehistorikern beteiligt. „In Marburg und Heidelberg beginnen wir mit der Analyse der ältesten vorhandenen Arzneimittelrezepten aus dem Spätmittelalter beziehungsweise der Frühen Neuzeit“, sagt Prof. Dr. Christoph Friedrich, Direktor des Instituts für Geschichte der Pharmazie. „Natürlich haben sich diese im Zeitverlauf in Form, Sprache und Inhalt verändert. Als Rezept verstehen wir die formelle, schriftliche Aufforderung eines Arztes an einen Apotheker zur Abgabe eines Arzneimittels, beispielsweise das historische Arzneimittel Bibergeil, an eine Patientin oder einen Patienten.“
Im Fokus der Analyse steht die Biografie des Artefaktes Arzneimittelrezept. Das Projekt verfolgt damit die Idee der „biography of things“, mit der eine enge Verbindung zwischen Artefakt und gesellschaftlichem Kontext aufgezeigt wird. Mit Hilfe des Artefaktes soll menschliches Handeln und Verhalten beschrieben und verstanden werden. „Das Artefakt wird zum Zugangsschlüssel für das Unsichtbare, die infra structura, unserer Gesellschaft. Wir bewegen uns in der Triade zwischen Arzt, Apotheker und Patient“, sagt Friedrich. „Im Wandel der Materialität des Rezepts lassen sich Innovationen des Gesundheitswesens ausgehend von spätmittelalterlichen Medizinal- und Apothekenordnungen bis in die Gegenwart erfassen.“ Die Analyse ziele dabei zum einen auf die Innovationen und Gestaltungsentscheidungen der Vergangenheit und zum anderen auf das Nachvollziehen der Entwicklung der Informationsinfrastruktur, die diese Entwicklung begleitet. Es sollen Einsichten über die historischen Ursprünge unseres Gesundheitswesens, zugleich aber auch Erkenntnisse gewonnen werden, die helfen, aktuellen Herausforderungen im Gesundheitswesen mit neuen Ideen für die Zukunft zu begegnen.
Die zu erschließenden Rezepte, von denen sich zahlreiche im Deutschen Apotheken Museum Heidelberg befinden, werden digitalisiert, transkribiert, inhaltlich erschlossen und analysiert. Weiterhin erfolgt eine Zuordnung zu pharmazeutischen Systemen. „In Marburg werden wir die Indikationsgebiete analysieren und eine Einordnung des Rezepts hinsichtlich therapeutischer Systeme vornehmen. Auch eine Plausibilitätsprüfung bezüglich einer tatsächlichen Wirkung ist geplant“, sagt Friedrich.
Das Projekt wird im Rahmen des Förderprogrammes „Die Sprache der Projekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.