14.07.2017 Potentiale historischer Arzneipflanzenforschung

Symposium im Institut für Geschichte der Pharmazie

Am 29. Juni 2017 fand im Institut für Geschichte der Pharmazie ein Symposium zum Thema „Potentiale historischer Arzneipflanzenforschung“ statt. Das Symposium war auf Anregung von der Pharmazeutischen Technologin Frau Prof. Dr. Cornelia Keck organisiert worden, die empfahl, die in den letzten Jahren am Institut durchgeführten Studien zur Geschichte von Arzneidrogen den Kollegen des Fachbereiches vorzustellen, damit diese Pflanzen mit interessanten Wirkstoffen oder solche, die sich für Extraktherstellung eignen, auswählen können und sie einer weiteren naturwissenschaftlichen Forschung zuzuführen.

Nach der Begrüßung durch den Dekan des Fachbereiches, Professor Dr. Michael Keusgen, der auf die Bedeutung des Institutes und der dort durchgeführten historischen Untersuchungen zu Arzneipflanzen hinwies, gab der geschäftsführende Direktor des Institutes für Geschichte der Pharmazie, Professor Dr. Christoph Friedrich, eine kurze Einführung. Darin betonte er, dass Untersuchungen zur Geschichte von Arzneidrogen am Institut schon eine lange Tradition besitzen und bereits unter dem Institutsgründer Professor Dr. Rudolf Schmitz seit 1965 durchgeführt wurden.

Eine neue Dimension erlebte die historische Arzneipflanzenforschung mit der Beschäftigung von Frau Prof. Dr. Sabine Anagnostou, die von 2004 bis 2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut tätig war und danach bis 2013 als Projektmitarbeiterin. Frau Anagnostou hat neue Forschungsmethoden zur Untersuchung der Tradition von Arzneidrogen entwickelt und diese im Rahmen von Forschungsprojekten und Dissertationen durchgeführt. Im Kontext des Wahlobligatorischen Unterrichts wurden bereits Studierende mit Erfolg an diese Forschungsmethode herangeführt. Inzwischen konnten vier Promotionsarbeiten im Institut zu diesem Thema fertiggestellt werden. Die von ihr entwickelte Methode, wie eine über Jahrhunderte nachgewiesene Tradition des Einsatzes einer Arzneidroge in bestimmten Indikationsgebieten auf tatsächliche Wirkungen schließen lässt, führte zu Untersuchungen von Arzneidrogen, vor allem auf der Grundlage von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen. Dabei werden die Indikationsgebiete aus den Quellen rekonstruiert, wozu neben sprachlichen Voraussetzungen umfangreiche Kenntnisse der Terminologie, der historischen Krankheitslehre und der Drogengeschichte erforderlich sind. Die Anwendung der Drogen wird dann jeweils bis heute analysiert und im Hinblick auf deren potentielle Verwendung als Wirkstofflieferanten oder Arzneimittel evaluiert.

Die Schlüssigkeit dieses Konzeptes überzeugte einen Sponsor, der am Institut 2011 ein Projekt zur Untersuchung von „Heilpflanzen der traditionell arabischen Medizin als potentielle Wirkstofflieferanten“ ins Leben rief und dafür eine halbe Million Euro zur Verfügung stellte. Im Rahmen des Projektes konnten eine Dissertation fertiggestellt und weitere Untersuchungen durchgeführt werden, die inzwischen in einem Schweizer Pharmaunternehmen fortgesetzt werden, in dem Frau Prof. Dr. Anagnostou zunächst als Forschungsdirektorin und nunmehr als Direktorin tätig ist.

Die historische Arzneipflanzenforschung ist bis heute ein wichtiges Forschungsgebiet am Institut und soll auch nach Friedrichs Pensionierung fortgesetzt werden. Gerade dieses Gebiet ermöglicht eine enge Zusammenarbeit der Pharmaziehistoriker mit den naturwissenschaftlichen Fächern des Fachbereiches und damit eine bessere Vernetzung der Pharmaziegeschichte. Dieser innovative Ansatz ist in Deutschland bisher kaum vertreten, wird aber in anderen Ländern durchaus gepflegt und bietet die Chance, dass auch das Brückenfach Pharmaziegeschichte Beiträge zur Arzneimittelforschung leisten kann. Am Fachbereich Pharmazie ist es möglich, ausgehend von den historischen Studien, die gesamte Entwicklung der Arzneimittelforschung mit Ausnahme der klinischen Studien zu betreiben, aufgrund der Fächerstruktur und der Größe des Fachbereiches bestehen gerade in Marburg hierfür beste Voraussetzungen.

Die Vorträge boten einen ersten Einblick in die Ergebnisse der historischen Arzneipflanzenforschung und wurden lebhaft diskutiert. Dr. Johannes Müller, dessen Dissertation bereits 2013 in der institutseigenen Reihe „Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie“ in der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Stuttgart erschienen ist, widmete sich den Pflanzen zur Wundbehandlung der arabischen Heilkunde in der europäischen Tradition. Vorgestellt wurden Granatapfel, Schachtelhalm, Schwarzkümmel und Myrte, bei denen ein wundheilungsförderndes Potential nachgewiesen ist.

Dipl.-pharm. Maximilian Haars, der sich am Institut im Rahmen seiner Doktorarbeit mit Arzneipflanzen bei dem römischen Arzt Galen von Pergamon beschäftigt, machte auf drei Pflanzen aufmerksam, die pharmazeutisch bislang wenig erforscht wurden: eine wilde Mohnart, die als natürlicher Vorläufer des Kulturmohns diskutiert wird, einen Doldenblütler, den manche für das Silphium aus Kyrene halten und einen in der Antike in Ägypten kultivierten Baum, den Galen als Student in Alexandria mit eigenen Augen gesehen hat und dessen Blätter der in der Wundmedizin erfahrene Gladiatorenarzt als Hämostyptikum empfahl.

Apothekerin und Promotionsstipendiatin Kerstin Grothusheitkamp berichtete über Heilpflanzen in der Krebstherapie des 18. bis 20. Jahrhunderts und ging dabei exemplarisch auf die traditionelle Anwendung des Gefleckten Schierlings (Conium maculatum L.) und der Kanadischen Gelbwurz (Hydrastis canadensis L.) unter Berücksichtigung aktueller Studien ein. Für die in Nordamerika heimische Kanadische Gelbwurz liegen bereits mehrere Studien vor, die ein antikarzinogenes Potential belegen.

Mit ihrem Vortrag „Dinkel und Weizen – zwei traditionelle Heilpflanzen“ stellte Dr. Marina Bisping Perspektiven und Verwendungsmöglichkeiten der beiden Getreidesorten in der modernen Phytotherapie vor. In diesem Zusammenhang sprach sie auch über Zöliakie und andere mit dem Konsum von Getreide assoziierte Krankheiten.

Dr. Nicole Schuster befasste sich mit traditionellen pflanzlichen Febrifuga und deren Potential für die moderne Phytotherapie. Für die heimischen Heilpflanzen Echte und Römische Kamille (Matricaria recutita L., Chamaemelum nobile [L.] All.), Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea Rafn.), Wermut (Artemisia absinthium L.) und Breitwegerich (Plantago major L.) konnte sie jahrhundertelange Traditionen als Fiebermittel nachweisen, die bereits durch aktuelle Studien gestützt werden. Die Ergebnisse stammen aus ihrer in diesem Jahr in der Institutsreihe „Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie“ veröffentlichten Dissertation „Gegen Fieber ist ein Kraut gewachsen. Traditionellen pflanzlichen Fiebermitteln auf der Spur“.

Apothekerin Mada Chahoud, die sich in ihrer Doktorarbeit mit traditionellen pflanzlichen Gynäkologika aus der arabischen Medizin befasst, erläuterte das Potential von Steinklee und Myrrhe für die moderne Phytotherapie. Ihre wichtigste Quelle ist das um 1280 von einem Sultan verfasste „verlässliche Buch der einfachen Heilmittel“, das heute noch im Jemen volksmedizinisch verwendet wird. Der Steinklee zeigte nach ersten Studien ein antitumor- und antiinflammatorisches Potential, während die Myrrhe u. a. bei Geburts- und Menstruationsschmerzen angewendet werden könnte.

Dr. André Schön sprach zum Thema „Medizinalpflanzen und Gifte aus den ehemaligen deutschen Kolonien West- und Südwestafrikas als potentielle Quellen neuer Arzneistoffe“. Vorgestellt wurden unter anderem der in Westafrika als „candlewood“ bekannte Strauch Fagara xanthoxyloides, dessen Wurzeldekokt traditionell bei entzündlichen Erkrankungen angewendet wird, sowie Holarrhena africana, die ein Alkaloid enthält, das jüngst erfolgreich gegen therapieresistente Malariastämme getestet wurde.

Kontakt