09.10.2019 Neue Wirkstoffe aus den Regenwäldern Borneos

Prof. Grünweller aus dem Institut für Pharmazeutische Chemie besucht das Sarawak Biodiversity Center

Bilderquelle: SBC, Borneo
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Neue Wirkstoffe aus den Regenwäldern Borneos

Die Regenwälder Borneos besitzen einen immensen Schatz an bisher nicht identifizierten Pflanzenstoffen, die möglicherweise von großer medizinischer Relevanz für uns alle sein könnten. Diese Stoffe in der enormen Artenvielfalt des Regenwaldes aufzuspüren stellt eine große Herausforderung dar. Für das gezielte Erkennen und Auffinden von Heilpflanzen in den riesigen Wäldern Borneos ist das Einbinden des traditionellen Wissens der dort ansässigen indigenen Volksstämme von entscheidender Bedeutung. Dabei ist es wichtig, dass die indigenen Gemeinschaften in die entsprechenden Wertschöpfungsprozesse auf allen Ebenen mit einbezogen werden. Genau dieses Konzept verfolgt das Sarawak Biodiversity Center (SBC) im Norden Borneos seit nunmehr 22 Jahren. Die Nutzung und die Erhaltung des traditionellen Wissens der indigenen Gemeinschaften über die einheimische Pflanzen- und Tierwelt führte bisher zu einer beeindruckenden Sammlung von mehr als 25.000 Pflanzenextrakten sowie über 28.000 Extrakten aus Mikroorganismen (SBC Natural Product Library). Aus diesen Extrakten isoliert das SBC Wirkstoffe, die gegen verschiedene Erkrankungen, wie z.B. Krebs oder Infektionen, getestet werden können.

Eine besonders interessante Pflanze, die nur in Borneo endemisch ist und die traditionell von der indigenen Gemeinschaft der Kelabit als Heilpflanze genutzt wird, ist die zu den Mahagonigewächsen gehörende Pflanze Aglaia stellatopilosa. Das Volk der Kelabit nutzt ihre Blätter und Rinde, um Magen-Darm-Erkrankungen, Fieber, Entzündungen und Hauterkrankungen zu behandeln. Unter anderem enthält die Pflanze Stoffe, die als Rocaglate bezeichnet werden. Zwei Vertreter dieser Wirkstoffklasse sind RocA und Silvestrol, die starke inhibierende Wirkungen auf das Wachstum menschlicher Krebszellen und auf das Tumorwachstum in Mäusen zeigen, ohne bei den verwendeten Konzentrationen gesunde Zellen zu schädigen. Silvestrol inhibiert spezifisch ein zelluläres Enzym, das für den Start der Proteinsynthese insbesondere in Krebszellen benötigt wird. Dieses Enzym, die RNA Helikase eIF4A, wird aber auch von sehr vielen hochgefährlichen, human-pathogenen Viren für die virale Proteinsynthese benötigt, wie Prof. Grünweller und Kolleg(in)en aus den Universitäten Marburg und Gießen, dem Paul-Ehrlich Institut in Langen sowie dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg in mehreren Publikationen zeigen konnten. Interessanterweise zeigt Silvestrol bisher eine sehr potente antivirale Breitbandwirkung gegen Ebola-, Corona-, Rhino-, Polio-, Zika-, Chikungunya-, Hepatitis E-, Lassa- und Krim-Kongo-Fieber Viren, ohne dass es auf gesunde Zellen toxisch wirkt. Das verwendete Silvestrol wird dabei vom SBC aus Aglaia stellatopilosa aufgereinigt und von Prof. Grünweller direkt aus Borneo für antivirale Testungen und Zytotoxizitätsmessungen bezogen.

Prof. Grünweller wurde nun im Rahmen erster Sondierungs- und Kooperationsgespräche von Dr. Charlie Yeo (CEO, SBC) zu einem öffentlichen Vortrag nach Kuching, der Haupstadt des malayischen Nordteils von Borneo, eingeladen. Die vielversprechenden Ergebnisse der mittelhessischen Forscherteams waren Anlass für dieses erste informelle Treffen. Im SBC wurden die Anlagen zur Aufzucht der Pflanzen, die hochmodernen Laborräume (Durchführung präparativer und analytischer Methoden zur Gewinnung der Extrakte und zur Qualitätskontrolle, sowie biochemische und molekularbiologische Laborbereiche) besichtigt und Herr Grünweller konnte einen ausführlichen Blick in das Herzstück, die Natural Product Library, des SBCs werfen. Ein wichtiger Teil des SBC beschäftigt sich mit der Produktion von Wirkstoffen durch pflanzliche Gewebekulturen und eine bioinformatische Plattform ermöglicht die Durchführung von Transkriptom- und Genomanalysen der kartierten Heilpflanzen, sodass gezielt neue Wirkstoffe identifiziert und charakterisiert werden können. Herr Grünweller konnte zudem die Aglaia stellatopilosa Pflanzen in Augenschein nehmen und somit die Originalquelle zur Extraktion von Silvestrol persönlich kennen lernen.

Während seines Aufenthaltes am SBC hielt Herr Grünweller einen öffentlichen Vortrag über die antiviralen Breitbandwirkungen von Silvestrol und über die molekularen Mechanismen, die zu einer hochspezifischen Inhibition der Helikase eIF4A durch Silvestrol führen. Als Zuhörer waren auch zwei Vertreterinnen des Sarawak Health Department Office anwesend, mit denen eine erste Kontaktaufnahme erfolgte. Geplant sind nun Experimente, die das präklinische Potenzial von Silvestrol im Kontext viraler Infektionen klären und somit den Weg für eine klinische Anwendung ebnen sollen.

Prof. Grünweller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Prof. Roland K. Hartmann am Institut für Pharmazeutische Chemie an der Philipps-Universität Marburg.

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