17.04.2020 Genau vermessen: Wie Papiertabletten wirken

Terahertz-Spektroskopie hilft bei Prüfung der Wirksamkeit innovativer Medikamente

Foto der Papiertabletten
Foto: Florian Stumpf/Cornelia Keck
So sehen fertige Papiertabletten aus: Sie unterscheiden sich optisch kaum von üblichen Tabletten, ermöglichen aber eine schnellere Auflösung der Wirkstoffe im Körper.

Prof. Dr. Cornelia Keck vom Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität Marburg ist für ihre Forschung zu innovativen Arzneimitteln bekannt. Zuletzt erhielt sie den Marburger Förderpreis für Bio- und Nanotechnologie (MarBiNa) für die Entwicklung von Tabletten aus Papier. Keck konnte nachweisen, dass Papier als Wirkstoffträger aufgrund seiner Porengrößen im Nanometer-Bereich den Wirkstoff sehr gut und lange binden kann und sogar die Geschwindigkeit der Wirkstoffauflösung im Körper erhöht. Gemeinsam mit Prof. Dr. Martin Koch vom Fachbereich Physik entwickelte sie nun ein neues Prüfverfahren für innovative Medikamente mittels Terahertz-Spektroskopie, das einen weiteren wichtigen Beitrag für die Entwicklung innovativer Arzneimittel darstellt. Die ersten Ergebnisse veröffentlichte die Forschungsgruppe im „International Journal of Pharmaceutics“.

Damit Medikamente helfen können, muss der Wirkstoff gezielt an den Ort im Körper transportiert werden, an dem er wirken soll. „Bildlich gesehen kann der Wirkort im Körper mit der Mitte einer Schießscheibe verglichen werden. Nur wenn die Wirkstoffmoleküle wirklich dort ankommen, kann eine optimale Wirksamkeit erzielt werden“, erklärt Keck. Erreicht der Wirkstoff dagegen die Peripherie, also andere Stellen im Körper, kommt es zu unerwünschten Wirkungen. „Für die Entwicklung innovativer Arzneimittel heißt das konkret: Auch der potenziell beste Wirkstoff kann nicht für die Therapie eingesetzt werden, wenn er nicht am Zielort ankommt“, sagt Keck. Das betreffe bis zu 90 Prozent der neuen Wirkstoffkandidaten, die zwar hocheffektiv sind, aber – formuliert mit herkömmlichen Strategien – nicht im Körper ankommen. „Wichtig ist es daher, neue Strategien zu finden, die den Transport dieser Substanzen in den Körper ermöglichen, da nur so neue, innovative Wirkstoffe für den Menschen verfügbar gemacht werden können“, sagt Keck.

Mit der Entwicklung der Papiertabletten hat die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Cornelia Keck eine solche Technologie entwickelt. Doch um diese für die Therapie an Menschen anwendbar zu machen, müssen neben der Wirksamkeit auch hohe Qualitätsstandards eingehalten werden. Im Falle der Papiertabletten gab es bis dato jedoch noch keine ausreichend geeigneten Methoden zur Prüfung der Arzneimittelqualität. „Hier kam uns die langjährige Erfahrung von Prof. Dr. Martin Koch und seiner Arbeitsgruppe im Bereich der Terahertz-Spektroskopie zugute“, sagt Keck.

Terahertz-Wellen können entweder als hochfrequente Mikrowellen oder als sehr langwelliges Licht bzw. sanfte Wärmestrahlung angesehen werden. Ihr Frequenzfenster reicht von 100 GHz bis zu 10 Terahertz (THz). Derzeit wird eine Vielzahl von Anwendungsbereichen für THz-Systeme diskutiert, die von der medizinischen Diagnostik über Sicherheitsanwendungen bis hin zur Kontrolle industrieller Prozesse reichen. Auch das WLAN von übermorgen soll mit THz- Wellen arbeiten. Die Erzeugung von Terahertz-(THz)-Wellen und vor allem ihr sensitiver Nachweis stellen jedoch nach wie vor eine Herausforderung dar. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Koch forscht unter anderem an der Weiterentwicklung von THz-Messsystemen, der industriellen Anwendung der THz-Messtechnik und an der THz-Spektroskopie an organischen Substanzen.

Innerhalb eines Jahres intensiver Zusammenarbeit beider Arbeitsgruppen gelang es, innovative Arzneiformen im Originalzustand, also ohne vorherige Probenaufbereitung und damit verbundene Veränderungen der Probe sowie Messartefakte, zu vermessen. „Die neue Methode ermöglicht präzise und ortsauflösende Messungen zur Verteilung von Wirkstoff und möglichen Wirkstoffmodifikationen in der Arzneiform. Mit herkömmlichen Methoden war dies nicht möglich“, sagt Keck. Weiterführende Arbeiten erfolgen mit dem Ziel, die Methode weiter zu optimieren, zu validieren und für weitere Systeme anwendbar zu machen.

Die fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit wurde durch das Projekt „UMR 2027“ finanziell unterstützt. UMR 2027 wird finanziert aus Mitteln des Innovations- und Strukturentwicklungsbudgets des Landes Hessen und fördert die Interaktion in Forschung und Lehre an der Philipps-Universität Marburg.

Originalpublikation: „Terahertz-spectroscopy for non-destructive determination of crystallinity of L-tartaric acid in smartFilms® and tablets made from paper”, https://doi.org/10.1016/j.ijpharm.2020.119253

Ansprechpersonen:  

Prof. Dr. Cornelia M. Keck
Pharmazeutische Technologie
Fachbereich Pharmazie
Philipps-Universität Marburg
Tel.: 06421 28-25885
E-Mail:

Prof. Dr. Martin Koch
Experimentelle Halbleiterphysik
Fachbereich Physik
Philipps-Universität Marburg
Tel.: 06421 28-22270
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