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Juwelen für eine Heilige der Armen

Gipsabdruck des Kameo der hl. Elisabeth
Foto: Hartmut Meyer
Gipsabguss des Pariser Kameo mit zwei Köpfen (1810 vom Schrein geraubt), der in die leere Fassung über dem Haupt der Muttergottes am Elisabethschrein angepasst wurde.

Die neue Ausstellung im Mineralogischen Museum zeigt Gemmen vom Schrein der Heiligen Elisabeth. Im Mittelpunkt steht ein kostbarer Kameo, der den Giebel über dem Haupt der Muttergottes zierte. Der seit 1810 als verschollen geltende Stein wurde kürzlich in Paris wiederentdeckt und ist nun für kurze Zeit nach Marburg zurückgekehrt.

Der mit seiner Hülle aus Gold und Edelsteinen strahlende Schrein der hl. Elisabeth steht im Zentrum der neuen Ausstellung im Mineralogischen Museum, das sich am Firmaneiplatz in Sichtweite der Sakristei der Elisabethkirche, in der der Schrein bis heute verwahrt wird, befindet. Fototafeln mit neuen Aufnahmen zeigen den Schrein in Originalgröße und erlauben es, ihn von allen Seiten aus der Nähe zu betrachten. Einige Details werden noch genauer unter die Lupe genommen, denn viele Edelsteine Schrein der hl. Elisabeth sind zu Perlen verarbeitet oder mit Reliefs verziert. Die meisten dieser Steine waren schon mehrere Jahrhunderte vor ihrer Verwendung in Marburg bearbeitet worden. Die Gemmenbilder führen auf die Spur internationaler Beziehungen, die nötig waren, um den reichen Schmuck des Schreines zusammenzutragen. Kaiser Friedrich II. und andere Adelige, Kreuzfahrer und Pilger brachten sie wohl 1236 anlässlich der Erhebung der Gebeine der hl. Elisabeth aus ihren Schatzkammern oder von ihren Reisen nach Marburg mit. Die Rohmaterialien stammen zum Teil vom Hindukusch, aus Indien und Sri Lanka. Bearbeitet wurden die Steine in Werkstätten im prähistorischen Kreta oder im römischen Reich, in Persien unter sassanidischer Herrschaft oder von arabischen Gemmenschneidern im Auftrag von Kreuzfahrern in der Levante. 
Doch die Geschichte des Schreines der hl. Elisabeth ist auch eine Geschichte von Verschleppung und Beraubung. Viele der wertvollsten Steine wurden im Laufe der Jahrhunderte aus ihren Fassungen gebrochen und verschwanden. Ein kostbarer Kameo, der den Giebel über dem Haupt der Muttergottes zierte und der seit 1810 als verschollen galt, konnte kürzlich in Paris wiederentdeckt werden. Nach fast 200 Jahren kehrt er nun für kurze Zeit nach Marburg zurück.

 

Sassanidische Gemme mit Fasan, in Persien im 5. bis 6. Jahrhundert nach Christus gearbeitet

  • Hintergrund

    Der größte Schatz mittelalterlicher Kirchen waren die heiligen Reliquien, die von den Gläubigen verehrt wurden. Für Reliquienbehälter verwendete man darum die kostbarsten Materialien, derer man habhaft werden konnte, Gold und Silber, Perlen und Edelsteine. Das gilt auch für den Elisabethschrein, der bis heute in der Elisabethkirche in Marburg steht. Er wurde in Auftrag gegeben, als Marburg für einen Moment im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit stand: Am 1. Mai 1236 wurden die Gebeine der heiligen Elisabeth aus ihrem Grab gehoben, um als Reliquien verehrt zu werden. Zu dieser Zeremonie versammelte sich in Marburg eine unübersehbar große Menschenmenge, darunter Kaiser Friedrich II., Vertreter des hohen Klerus, des Deutschen Ritterordens und des europäischen Hochadels, zu dem Elisabeth als Tochter des ungarischen Königs und Landgräfin von Thüringen gehörte.
    Elisabeth war als Witwe nach Marburg gekommen, nachdem ihr Gemahl Ludwig IV. auf dem Weg ins Heilige Land gestorben war. In Marburg verbrachte sie die letzten Jahre ihres kurzen Lebens in selbst gewählter Armut als Hospitalschwester. Sie starb dort 1231 und wurde in der bescheidenen Kapelle ihres Hospitals begraben, die dem heiligen Franz von Assisi geweiht war. Wegen ihrer Frömmigkeit, wegen ihrer aufopfernden Arbeit für Arme und Kranke und wegen der Wunder, die sich an ihrem Grab ereigneten, wurde Elisabeth auf Drängen mächtiger Fürsprecher schon 1235 von Papst Gregor IX. heiliggesprochen.
    Es heißt, daß Friedrich II. bei der Erhebung der Gebeine selbst Hand anlegte und eine Krone auf das Haupt der Heiligen setzte. Dies blieb nicht die einzige fromme Stiftung, denn in Marburg gab es noch keine würdige Stätte für den Kult der heiligen Elisabeth. Doch nun sollte für die Verehrung der Heiligen ein prachtvoller Rahmen geschaffen werden. Die Sorge dafür wurde den Rittern des Deutschen Ordens übertragen, die sich in Marburg niedergelassen hatten. Sie bauten mit Unterstützung der Landgrafen von Thüringen eine Kirche im damals ganz neuen gotischen Stil, in der der 1249 fertiggestellte, golden glänzende Reliquienschrein mit reichem Figurenschmuck aufgestellt wurde.
    Den Elisabethschrein zierten ursprünglich über 850 Edelsteine, viele davon stammten von älteren Schmuckstücken. Noch heute gibt es über den Schrein verteilt zahlreiche blaue Schmucksteine, die der Länge nach durchbohrt sind, also wohl ursprünglich zu einer Kette aufgefädelt waren. Andere Steine dienten vor ihrer Anbringung am Elisabethschrein als Siegelsteine; überliefert sind etwa drei dutzend Gemmen mit Reliefs, die vertieft eingraviert sind. Privatleute mögen einzelne Schmuckstücke aus ihrem Besitz beigesteuert haben, aber um eine solche Menge von Edelsteinen an einem Reliquiar zusammenzubringen, mussten fürstliche und kirchliche Schatzkammern ihre Truhen öffnen.
    Die meisten Gemmen waren schon mehrere Jahrhunderte alt, bevor sie nach Marburg kamen. In der römischen Kaiserzeit entstanden Siegelsteine mit Reliefs antiker Gottheiten, darunter Jupiter, Mars, Apollo, Hercules, Roma und Fortuna, außerdem Fabelwesen und Tiere. Einige Steine tragen Inschriften mit griechischen und arabischen Buchstaben, ein Indiz dafür, daß ein großer Teil der Edelsteine am Elisabethschrein aus dem östlichen Mittelmeerraum und dem Nahen Osten kommt. Das unterscheidet den Gemmenschmuck des Elisabethschreines von dem anderer Reliquiare dieser Epoche, wo überwiegend Steine angebracht wurden, die in den nordwestlichen Provinzen des römischen Reiches zu finden waren. Schon in der Antike hatten viele Steine eine weite Reise hinter sich, bevor sie die Werkstatt eines Steinschleifers erreichten, denn die besonders geschätzten Mineralien kamen in den Ländern rings ums Mittelmeer nicht oder nur in kleinen Stücken vor. Einige der schönsten und größten Edelsteine stammten aus Indien.
    Mit der Beute der Kreuzzüge kamen in der Entstehungszeit des Elisabethschreines zahlreiche Gemmen aus dem Orient nach Westeuropa. Der größte Schatz fiel den Kreuzrittern 1204 nach der Eroberung von Konstantinopel in die Hände. Die Ritter des Deutschen Ordens und Friedrich II. waren auch in der Zeit danach noch als Kreuzfahrer im Heiligen Land unterwegs. Diplomatische Geschenke waren eine weitere Möglichkeit, Kostbarkeiten aus dem Orient zu erwerben. Historische Quellen berichten von Gaben, die Friedrich II. mit arabischen Fürsten austauschte, und von einer großen Gemmensammlung des Kaisers.
    Wertvolle Materialien, wie sie am Elisabethschrein verarbeitet wurden, wechselten oft gewaltsam die Besitzer, und so weckte das Reliquiar in der Elisabethkirche immer wieder Begehrlichkeiten. Mehrfach wurden Reliquien entnommen, bis Landgraf Philipp der Großmütige im Jahr 1529 die restlichen Gebeine seiner Ahnin an einem unbekannten Ort bestatten ließ, um, ganz im Geist der Reformation, den Heiligenkult zu unterbinden. An der Außenseite des Schreines wurden im Lauf der Jahrhunderte einzelne Teile aus Edelmetall abgerissen und Steine aus ihren Fassungen gebrochen.
    Eine größere Beraubung, die gut dokumentiert ist, fand in napoleonischer Zeit statt. Jerôme, König von Westphalen und Bruder Napoleons, ließ den Schrein 1810 an seinen Hof in Kassel bringen. Kurz vor dem Abtransport nahm Johann Christoph Ullmann, Marburger Professor für Mineralogie, Siegellackabdrücke der Gemmenreliefs. Der wachsende Unmut der Marburger Bevölkerung gegen die Entführung des Elisabethschreins führte dazu, daß die napoleonischen Kommissäre zur Eile drängten. Das erklärt, warum Ullmann einige Gemmen entgingen, und daß er auch das Material der abgeformten Steine nicht notierte. Seine Befürchtung, daß dies die letzte Gelegenheit sein könnte, die Gemmen in Marburg zu sehen, bewahrheitete sich: Als der Schrein nach dem Ende der napoleonischen Zeit an seinen Platz in der Elisabethkirche zurückkehrte, fehlten die meisten. Heute sind noch neun Gemmen am Schrein vorhanden, weitere 27 sind nur von Stichen bekannt, die nach Ullmanns Siegellackabdrücken angefertigt und 1834 von Friedrich Creuzer publiziert wurden.
    Doch die größte und wertvollste Gemme vom Elisabethschrein ist nicht dabei, ein Kameo, der über dem Kopf der Muttergottesfigur angebracht war und von Ullmann nicht abgeformt wurde. Heute ist nur noch die leere Fassung zu sehen. Außerdem gibt es eine Beschreibung, die Carl Justi 1824 aus seiner Erinnerung niederschrieb. Darin heißt es, daß der Kameo drei Schichten hatte; dargestellt waren zwei einander berührende Köpfe, wobei die mittlere helle Schicht für die Gesichter, die beiden dunklen Schichten für die Haare und den Hintergrund genutzt wurden. Diese Angaben genügten für eine Suche nach dem verschwundenen Juwel. Nur wenige antike Kameen von hoher Qualität blieben bis heute erhalten – und der Kameo am Elisabethschrein war so vorzüglich, daß ein Kurfürst von Mainz dafür das ganze Amt Amöneburg geboten haben soll, wie Justi schreibt.
    Und tatsächlich gibt es einen Kameo, dessen Form und Darstellung mit der Fassung am Elisabethschrein und mit der Beschreibung Justis übereinstimmen. Er wurde, ohne Angabe eines Herkunftsortes, 1830 vom Cabinet des médailles in Paris erworben, tauchte also erst nach dem Ende der napoleonischen Zeit in Frankreich auf. Der Umriß des Reliefs bildet ein Oval, von dem rechts unten ein Segment mit geradem Schnitt abgetrennt ist. Mit dieser charakteristischen Form paßt er genau in die leere Fassung am Elisabethschrein, wie ein Versuch mit einem vom Cabinet des médailles großzügig zur Verfügung gestellten Abguß bestätigte.
    Das Relief zeigt zwei hintereinander gestaffelte Köpfe. Justi nannte sie Kastor und Pollux, die Zwillingssöhne des Zeus, offenbar weil er die beiden bartlosen, von Helmen bedeckten Köpfe für jugendliche Krieger hielt. Spätere Archäologen, die den Kameo in Paris aus der Nähe sahen, erkannten, daß die vordere Büste die Göttin Athena darstellen muß; denn sie trägt als Brustpanzer die charakteristische, mit Schlangen besetzte Ägis. Der hintere Kopf wurde als Porträt Alexanders des Großen identifiziert. Einem neueren Benennungsvorschlag zufolge stellen die beiden Büsten die römische Kaiserin Agrippina und ihre Mutter, die ältere Agrippina, dar, als Porträts in Göttinnengestalt. Doch zeigt keiner der Köpfe wirklich Ähnlichkeit mit den Gesichtern und Frisuren der bekannten Porträts des Makedonenkönigs oder der beiden römischen Damen. Sicher ist nur die Identifizierung der vorderen Büste als Athena; zum besseren Verständnis des Reliefs werden weitere Untersuchungen nötig sein.
    Es stellt sich die Frage nach der  Bedeutung des Kameo für die Menschen des 13. Jahrhunderts. In Italien wurde damals im Umkreis Friedrichs II. die Technik des Kameenschnitts nach antiken Vorbildern wiederbelebt. Einige staufische Kameen zeigen Doppelbildnisse in der Art des Kameo vom Elisabethschrein; es ist also möglich, daß er eines dieser antiken Vorbilder in kaiserlichem Besitz war. Gleichzeitig bestaunten die Menschen nördlich der Alpen die Perfektion antiker Gemmen, die für Menschen unerreichbar schien. In Köln schrieb Albertus Magnus, der seinen Zeitgenossen als Universalgelehrter galt, daß Steine mit Menschenbildern von der Erde selbst erzeugt wurden, wenn die Sterne dafür günstig standen. Auch der Kameo am  Elisabethschrein galt als ein solches Wunder der Natur.
    Genaue Betrachtung zeigt, dass der Kameo vor seiner Anbringung am Schrein überarbeitet wurde: Die antike Göttin Athene trägt eine Ägis, einen Brustpanzer, der mit Schuppen und Schlangen besetzt ist. Diese Schlangen wurden offenbar im Mittelalter abgeschliffen, nur die Umrisse blieben und die Oberfläche ist an diesen Stellen rauh. Dieser Eingriff ist ein Indiz dafür, dass die Planer des Schreines den Büsten auf dem Kameo eine christliche Deutung gaben – und für die Figuren von Heiligen wären Schlangen am Busen ganz unpassend! Antike Kameen wurden im Mittelalter oft als Darstellungen von Heiligen verstanden, ein ähnlicher großer Kameo galt als Darstellung der hl. Drei Könige und war an ihrem Schrein in Köln angebracht, andere hielt man für Bilder Mariens. Eine Deutung der beiden Frauenköpfe, die sich gut in das Bildprogramm des Schreines einfügt, wäre ihre mittelalterliche Benennung als Bildnisse der Muttergottes und Elisabeths. So wäre Elisabeth auf allen vier Seiten des Schreines dargestellt, auch auf der besonders prächtig ausgestalteten Marienseite.
    Der Elisabethschrein hat die Jahrhunderte zwar nicht unbeschadet überdauert, aber er zählt noch heute zu den eindrucksvollsten Werken mittelalterlicher Goldschmiedekunst. Mit dem wiederentdeckten Kameo, einem Meisterwerk antiker Glyptik, gewinnt er einen Teil seines reichen Bildschmucks zurück.