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Behrings Bibliothek

Behrings Bibliothek enthält Bücher verschiedener Wissensgebiete aus Deutschland, Frankreich und England, dazu belletristische Romane aus Deutschland, Frankreich, England, Skandinavien und Russland. Den Schwerpunkt bildet die zeitgenössische (Fach-)Literatur der Jahre 1880 bis 1910. Meyers Kleines Konversationslexikon von 1908 und Julius Pagels Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte ist ebenso vertreten wie Gesamtausgaben der Werke Goethes und Darwins, ein französisches Wörterbuch, der Petit Larousse illustré von 1912 findet sich ebenso wie zahlreiche Schriften zeitgenössischer Philosophen von Friedrich Nietzsche bis Eduard von Hartmann. Kunst- und Bildbände fehlen, dafür gibt es Bäder- und Reiseführer für Deutschland und südliche und südöstliche Reiseziele, Alexander von Humboldts Kosmos in vier Bänden wie Bertha von Suttners Roman Die Waffen nieder!

Nicht unerwähnt bleiben sollen Kuriosa wie Das Personen- und Familienrecht der Suaheli von Richard Niese (Berlin 1902) oder Leopold Sacher-Masochs Der kleine Adam (Berlin und Stuttgart, o. J.).

Über ein Drittel der Sammlung nehmen medizinische Werke mit den Nachbardisziplinen Biochemie und Zytologie ein. Erwähnenswert ist die umfangreiche Sammlung von Schriften zur Diphtherie und insbesondere zur Tuberkulose. Neben zeitgenössischen Werken finden sich die Opera universa medica von Thomas Sydenham in der von Karl Gottlob Kühn besorgten Ausgabe Leipzig 1827 oder die lateinische Ausgabe von Edward Jenners klassischem Werk Disquisitio de Caussis et Effectibus Variolarum Vaccinarum über die Kuhpockenimpfung (Wien 1799). Für die Behring-Forschung von unschätzbarem Wert sind die eigenhändigen Eintragungen und Anmerkungen Behrings (Beispiel), die gelegentlich ergänzt werden durch Notizen auf eingelegten Blättern. Es finden sich darüber hinaus Bücher mit persönlichen Widmungen der jeweiligen Verfasser.

Die im Behring-Gedächtniszimmer in den ehemaligen Behringwerken in Marburg-Marbach aufgestellte Bibliothek wird in den Original-Soennecken-Bücherschränken mit Glastüren aufbewahrt. Leider ist die Bibliothek nicht komplett erhalten. Eine Revision im Jahr 1977, die nur bruchstückhaft und auf den Buchkarteikarten dokumentiert ist, verzeichnet einige Bücher als fehlend; auch bei einer 2008 durch Dr. Kornelia Grundmann und Dipl.-Bibliothekarin Barbara Günzel vorgenommenen Bestandaufnahme mussten 26 Bände aus der Privatbibliothek und 44 aus der Werkbibliothek als vermisst registriert werden, darunter zwei im Zusammenhang mit Behrings Forschungen und philosophischen Interessen wertvolle Bücher von Il’ja Mečnikov, wahrscheinlich handelt es sich hierbei um Widmungsexemplare Mečnikovs mit Annotationen Behrings. Auch Maxim Gorkis Roman „Verlorene Leute“, über den sich Behring ausführlich in einem Brief an Mečnikov äußert, fehlt. Andere Bände wurden aus dem ursprünglichen Bestand entfernt und sind wohl der Werkbibliothek einverleibt worden.

In einigen Bänden befindet sich Behrings Exlibris, das einen mit einer Schlange ringenden Mann zeigt. Es wurde von dem damals in Goßfelden bei Marburg lebenden Maler Otto Ubbelohde (Signatur "O. U." unten rechts im Bild) entworfen. Einige wenige Bücher tragen den Stempel "Professor E. v. Behring / Marburg/ Lahn / Villa Behring" oder eine handschriftliche Kennzeichnung durch den Nachnamen. Die Buchrücken sind nicht signiert.

Auf den Erwerb der Bücher kann nur indirekt geschlossen werden – entweder durch die persönliche Widmung des Autors, die das Buch als Geschenk ausweist, oder durch handschriftliche Ortsangaben bzw. den Titel als Namenszusatz („Behring, Bojanowo“, „Dr. Behring“, „E. v. Behring“ etc.). Aber dies sind vage und letztlich unzuverlässige Hinweise, da nicht auszuschließen ist, dass Behring schon früher gekaufte Bücher nachträglich gezeichnet oder mit seinem Exlibris versehen hat.

Die Bücher sind fortlaufend von 1 bis 1327 durchnummeriert. Im vorderen Buchdeckel befinden sich kleine, blau umrandete Etiketten, die per Hand mit blauer Tinte beschriftet wurden (siehe Abbildung unten). Zu welchem Zeitpunkt dies gemacht wurde und wer der Schreiber ist, wurde nicht überliefert; fest steht, dass es sich nicht um die Handschrift Behrings handelt. Eventuell könnte seine Ehefrau Else von Behring die Sortierung vorgenommen haben.

Wie aus einer historischen Aufnahme von Behrings Arbeitszimmer in seinem Haus Roserstraße 2 zu schließen ist (siehe Bild oben, dort Schrank 2 von links), entspricht die jetzige Ordnung der Bücher nicht der Originalaufstellung. Aufgestellt sind die Bände heute nach der fortlaufenden Nummerierung, die inhaltlichen Gruppen folgt. Es sind dies im Einzelnen: Geschichte und Politik, philosophische Schriften, Reiseliteratur und Reiseführer, Memoiren und Erinnerungen, Briefausgaben, Klassiker (Goethe, Schiller, Grillparzer, Hebbel), Kunst und Kunstgeschichte, Musik- und Musikgeschichte (Wagners Musikdramen, Briefe Mendelsohn-Bartholdys), Christentum und Religion, Pädagogik und Unterrichtswesen, Bücher über die Stadt Marburg, Ökonomie, Naturgeschichte, Naturwissenschaften und Biologie inklusive Biologie des Menschen, Biographien und Autobiographien, ein etwa 500 Bände umfassendes Konvolut von medizinischer Literatur und ihren Grenzgebieten, russische Schriftsteller wie Dostojewski, Gogol, Gorki und Tolstoi und Turgenjew, englische Literatur von Byron, Dickens, Fielding, Scott, Oscar Wilde und Shakespeare. Die französische Literatur mit Autoren wie Paul Bourget und Alphonse Daudet, Flaubert, Victor Hugo, Zola und Choderlos de Laclos liegt in französischsprachigen Ausgaben vor.

Es folgen zahlreiche Werke, die sich den von Behring verehrten Persönlichkeiten Bismarck, Napoleon und Friedrich dem Großen widmen. Das Ende bilden deutsche und skandinavische Autoren von Eichendorff bis Henrik Ibsen und Selma Lagerlöf und die Übertragungen der Klassiker Homer und Vergil.

Eine spätere Stempelung weist zahlreiche Bücher dem Behring-Archiv Marburg zu; dort laufen die dergestalt katalogisierten Bücher unter dem Verzeichnis „Behring-Archiv / Liste 01-02“. Die hier vorgenommene Nummerierung weicht von der früheren ab.

Behrings Nachlass, zu dem auch die Bibliothek und die Einrichtungsgegenstände (Möbel, Vorhänge, Bilder, Kleinstatuen, Schreibmappe) gehören, wurde 1937, ein Jahr nach dem Tod Else von Behrings, per testamentarischer Verfügung den Behringwerken übergeben. Der damalige Zustand des Arbeitszimmers mit seiner Bibliothek wurde in einem Bericht festgehalten. Er ist undatiert und stammt vermutlich aus dem Jahr 1937 oder 1938, Verfasser ist der damalige Archivar der Behringwerke, Dr. Alexander von Engelhardt.

Verfügbarkeit

Das Behring-Gedächtniszimmer mit Behrings Bibliothek ist nicht frei zugänglich. Sämtliche Bände, die handschriftliche Eintragungen enthalten, werden seit Februar 2012 durch die Universitätsbibliothek Marburg digitalisiert und sind dann Ende des Jahres über den OPAC der Universitätsbibliothek Marburg abrufbar. Dank einer Förderung der Deutschen Forswchungsgemeinschaft ist es nun möglich, die mit Marginalien versehenen Bücher zu erschließen. Die Förderung beginnt im März 2013.

(Ulrike Enke, Februar 2013)