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Die Diphtherie und Behrings Diphtherieheilserum

Bei der Diphtherie handelt es sich um eine Infektionskrankheit, die durch eine Infektion der oberen Atemwege mit dem Corynebacterium diphtheriae hervorgerufen wird. Das Bakterium wurde 1884 von dem Arzt und Bakteriologen Friedrich Löffler (1852-1915) im Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin entdeckt.

In Preußen starben von 1875 bis 1887 im Jahresdurchschnitt etwa 45.000 Menschen an der ansteckenden und häufig tödlich verlaufenden Erkrankung, davon waren zu 98 % Kinder und Jugendliche unter fünfzehn Jahren betroffen. Gegen die Krankheit, die nach den im Hals befindlichen lederartigen Ablagerungen aus abgestorbener Schleimhaut und Blut auch „häutige Bräune“ oder Halsbräune genannt wurde, gab es bislang kein medizinisch wirksames Heilmittel, die betroffenen Kinder wurden durch Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) kurzzeitig vor dem Ersticken bewahrt, eine Überlebensgarantie war mit dem chirurgischen Eingriff jedoch nicht verbunden.

1888 gelang den Franzosen Émilie Roux (1853-1933) und Alexandre Yersin (1863-1943) der Toxinnachweis, doch es war Behring, der in diesen Jahren gemeinsam mit dem Japaner Shibasaburo Kitasato (1853–1935) und mit Unterstützung seines Freundes und Kollegen Erich Wernicke (1859-1928) im Berliner Labor Robert Kochs (1843–1901) ein Heilmittel gegen die Diphtherie entwickelte, mit dem erkrankte Kinder geimpft und geheilt werden konnten. Das von Behring, Kitasato und Wernicke entwickelte Verfahren beruht auf dem Prinzip der passiven Immunisierung. Dabei werden Abwehrstoffe, die aus dem Serum der mit dem Bakterium immunisierten Tiere gewonnen werden, in den erkrankten Körper gespritzt. Eine Milderung des Krankheitsverlaufs tritt rasch ein, weil die Abwehrstoffe oder Antitoxine (heute: Immunglobuline oder Gammaglobuline) sofort zur Verfügung stehen und nicht erst vom Körper gebildet werden müssen.

Die Kindersterblichkeit an Diphtherie konnte dank Behrings Therapie um die Hälfte reduziert werden, Behring wurde der Ehrentitel Retter der Kinder verliehen. Für das im Tierversuch entwickelte Verfahren der Serumtherapie erhielt er 1901 den erstmals vergebenen Nobelpreis für Medizin, im gleichen Jahr wurde er geadelt. Zahlreiche Preise, Ehrenmitgliedschaften und sonstige Auszeichnungen auf internationaler Ebene folgten.

Das Behring-Archiv besitzt etwa 60 Briefe dankbarer Eltern, deren Kinder dank des Diphtherieheilserums gerettet wurden.

(Ulrike Enke, 05/2012)

[Emil von Behring:] Die Geschichte der Diphtherie. Mit besonderer Berücksichtigung der Immunitätslehre. Von Stabsarzt Prof. Dr. Behring. Leipzig: Georg Thieme, 1893 [Unveränderter Nachdruck: Sändig Reprint Verlag, Vaduz, Liechtenstein, 1986].

Carola Throm: Das Diphtherieserum. Ein neues Therapieprinzip, seine Entwicklung und Markteinführung (= Heidelberger Schriften zur Pharmazie- und Naturwissenschaftsgeschichte 13). Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1995.

Anne I. Hardy: Paul Ehrlich und die Serumproduzenten: Zur Kontrolle des Diphtherieserums in Labor und Fabrik. In: Medizinhistorisches Journal 41, 2006, S. 51-84.

Ulrike Klöppel: Enacting Cultural Boundaries in French and Greman Diphtheria Serum Research. In: Science in Context 21 (2), 2008, 161-180.