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Behrings nachgelassene Manuskripte und Tagebücher

Zum Nachlassbestand "Werke" im Behring-Archiv

Der Bestand "Werke" (in der Signatur gekennzeichnet durch den Buchstaben W) mit den Unterabteilungen "Versuche", "Manuskripte, Arbeiten und Studien" sowie "Vorlesungen (Manuskripte und Studien)" enthält eine äußerst heterogene Sammlung von Dokumenten: großformatige gebundene Kladden, schmale Hefte, lose Blätter, Kalender. So vielfältig wie die überlieferten Papiere sind auch deren Inhalte.

Die Aufzeichnungen betreffen, was nicht überrascht, Untersuchungen zu Infektionskrankheiten wie Tetanus, Pocken, Tuberkulose, Cholera, Pferderotz und Diphtherie, aber auch allgemeine Fragen der Immunität; sie können zum Teil als Stoffsammlungen für Vorträge oder Vorarbeiten zu späteren Veröffentlichungen, beispielsweise zu Behrings 1894 bei Thieme in Leipzig erschienenen Monographie "Bekämpfung der Infektionskrankheiten: Infection und Desinfection" gesehen werden. Druckfahnen zu Aufsätzen mit Korrekturen aus Behrings Hand befinden sich jedoch nicht im Nachlass, sondern sind eingegliedert in den gebundenen Bestand "Sonderdrucke", gehören also nicht zum Bestand "Werke".
Die wissenschaftlichen Aufzeichnungen lassen sich nicht von persönlichen Notizen trennen. Es scheint, als habe Behring das, was ihn gerade bewegte und gedanklich beschäftigte, auf dem gerade vorliegende Blatt Papier festgehalten. So werden die wissenschaftlichen Aufzeichnungen auch zu persönlichen Tagebüchern - bedauerlicherweise aber folgen die Eintragungen selten einer ohne weiteres nachvollziehbaren Chronologie. Eine Ordnung der Bestände und der Eintragungen nach dem Muster der von Angelika Reimann und Robert Steiger herausgegebenen Chronik "Goethes Leben von Tag zu Tag"  wäre ein Forschungsdesiderat, das helfen würde, einen systematisch-chronologischen Zugriff zu Behrings unpublizierten wissenschaftlichen Äußerungen zu erhalten.

Auch die thematische Ordnung des Bestandes stellt die Bearbeiter vor einige Herausforderungen. Der Nachlass ist durch viele Hände gegangen, eine Rekonstruktion der ursprünglichen inhaltlichen bzw. chronologischen Ordnung ist in den meisten Fällen nicht mehr möglich. Dies betrifft in erster Linie die vermutlich erst nach Behrings Tod angelegten Ordner oder Mappen mit Lose-Blatt-Sammlungen. Aber auch bei den von ihm selbst beschrifteten gebundenen Heften und Kladden ist nur selten nachvollziehbar, nach welchen Kriterien Behring seine Aufzeichnungen anfertigte, eine gewisse Beliebigkeit und Willkür ist nicht auszuschließen. Es handelt sich also nicht um abgeschlossene, in sich schlüssige Sammlungen von Daten, deren Sinn sich ohne Weiteres erschließt, sondern um Wissensbruchstücke (te Heesen, Spary), die in Heften, auf Blättern oder in Kalendern und Büchern notiert und zusammengetragen wurden.

Tagebuchaufzeichnungen und Notizen

Ein Beispiel: Ein im September 1883 begonnenes und zunächst konventionell geführten Büchlein von knapp 100 Seiten Umfang wird am 29. September eröffnet mit Notizen zu Krämpfen und Chloroformnarkose. Aber nach etwa der Mitte folgen Notizen und Literaturhinweise zu verschiedensten Themen, die Seiten folgen nicht der Chronologie. So sind auf dem Vorsatzblatt mit Datum 8. Januar 1887 in wenigen Worten Jodoformversuche mit einem weißen und einem schwarzen Kaninchen notiert; auf der fünften Seite mit Datum vom 16.11.1883 liest man: "Olga Klose, 8 J. seit 2 J. Epilepsie ohne alle Ursachen -". Es finden sich weiterhin die Beschreibung einer Geburt, einen Auszug aus Max Nordaus "Pariser Briefen", daneben Bemerkungen zu Mythologie und antiker Geschichte. Neben chemischen Formeln und Notizen zu Desinfektionsmaßnahmen bei Infektionskrankheiten gibt es Übertragungen aus Eduard von Hartmanns Philosophie vom Unbewussten. Am 18. Februar 1887 wird notiert: "Über Desinfektion (im Anschluß an Koch's Vortrag)", auf der gegenüberliegenden Seite folgen in französischer Sprache Exzerpte aus "La société de Berlin. Paris Nouvelle Revue", zum einen über die königliche Familie in Berlin ("La famille royale"), zum anderen über den deutschen Reichstag ("Le Parlement"). Eine Bücherliste verzeichnet Schriftsteller wie Jokai, Börne, Mauthner und Dickens und belletristische Titel wie die Edda und das Nibelungenlied. Mit "Combiniertes Heilverfahren" auf dem hinteren Buchdeckel enden die gemischten Einträge (siehe Bild, vgl. Evb/W 30).

(Ulrike Enke, 05/2012)

Literatur zum Zusammentragen von Daten und Wissen:

Anke te Heesen, E. C. Spary: Sammeln als Wissen, in: Dies. (Hg.) Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung. Göttingen: Wallstein, 2001, S. 7-21.