24.10.2019 Europameister-Titel für deutsche Herren-Goalballnationalmannschaft Sensationsbronze für die deutschen Damen - Marburger Sportwissenschaftler maßgeblich beteiligt
Einen tollen Verlauf nahm die Heim-Europameisterschaft vom 08. bis 13. Oktober in Rostock für die deutschen Athleten. Nach Vize-Europameistertitel in 2017 in Lathi und Vize-Weltmeistertitel 2018 in Malmö gelang der Herrennationalmannschaft unter Führung des Trainerteams Johannes Günter, Stephan Weil (ehemalige Lehramtsstudenten der Marburger Sportwissenschaft) und Tobias Vestweber (Studentische Hilfskraft im Bereich Goalballforschung der Abteilung Medizin Training und Gesundheit) diesmal der ganz große Wurf. Mit 6:2 bezwang das Team im Finale die Ukraine, die sie bis dahin bei einem offiziellen internationalen Turnier noch nie besiegen konnte. Nach einer souveränen Gruppenphase zogen die Herren als Gruppensieger und Favorit in die Finalrunde ein. Doch im Viertelfinale gegen Griechenland machten sie es richtig spannend und lagen zwischenzeitlich sogar zurück. Dann kam der Einsatz des Marburger Top-Spielers Michael Feistle, der aufgrund einer Oberschenkelverletzung, die er sich in der Vorrunde zuzog, erst einmal auf der Bank saß, in der zweiten Halbzeit dann seine Mannschaft aber auf die Siegesstraße führte. War das Viertelfinale für die Zuschauer schon Nerven aufreibend, so kam es im Halbfinale gegen Litauen (den Paralympics-Sieger von 2016 und Europameister von 2017) zu noch mehr Stress. Unmittelbar vor Ende der regulären Spielzeit erzielte Litauen den Ausgleich und rettete sich in die Verlängerung. Mit einem sicher verwandelten Penalty (dem Golden Goal) gleich zu Beginn der Verlängerung, machte Feistle jedoch den Finaleinzug perfekt.
Das Team wurde vor Ort in Rostock durch Prof. Dr. Ralph Beneke und Dr. Renate Leithäuser vom Bereich Medizin, Training und Gesundheit sowohl medizinisch als auch im Rahmen des vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft-geförderten Service-Forschungsprojekts „Goalball Paralympics Tokyo“ unterstützt. Es ist die dritte vom Innenministerium geförderte forschungsbasierte Unterstützungsmaßnahme für die Goalballnationalmannschaft. Nachdem die früheren Projekte mit den Zielen Rio 2016, Lathi 2017, Malmö 2018 speziell der Steigerung der Wurfeffizienz durch individualisierte Technik, und konditionelle Voraussetzungen sowie angriffs- und abwehrtaktischem Verhalten unter spezieller Berücksichtigung spezieller Bodenbeschaffenheiten dienten, konzentriert sich das Marburger Forscherteam aktuell auf die Entwicklung, Etablierung und Erprobung spielplanabhängiger, individualisierter und kollektiver Wettkampfvor- und Nachbereitungsroutinen für internationale Turniere. Internationale Titelkämpfe sind durch eine sehr hohe Wettkampfdichte gekennzeichnet. Dabei wird an direkt aufeinander folgenden Wettkampftagen gespielt wobei auch mehrere Spiele an einem Tag keine Ausnahme darstellen. Deshalb kommt neben der langfristigen sportartspezifischen Vorbereitung auf einen Saisonhöhepunkt auch der Optimierung der individuellen Regeneration zum Erhalt der physischen und psychischen Gesundheit zur Aufrechterhaltung einer optimalen Leistungsfähigkeit während der Titelkämpfe sehr große Bedeutung zu. Die Forschung dient(e) somit nicht nur der Unterstützung der Mannschaft während der Titelkämpfe, sondern auch der Reflektion von Erfahrungen mit den bei der Europameisterschaft genutzten individuellen und kollektiven Wettkampfvor- und Nachbereitungsroutinen und deren Revision. Beachtung finden hierbei eine kritische Aufwand/Nutzen-Analyse sowie mit Perspektive auf Tokyo zusätzliche Faktoren voraussichtlich unterschiedlicher Turnierbedingungen wie Klima, Zeitumstellung, Transportbedingungen etc. bei den Paralympics.
Fokussierten die bisher benannten Arbeitsinhalte direkt auf Befunde der deutschen Mannschaft, so liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Vor-/Nachbereitung sowie der Spielanlage (Technik, Taktik) der Gegner. Dieses basiert zum einen auf direkter Beobachtung und Dokumentation zum anderen auf retrospektiver Analyse von Videodokumentation (z.B. Goalscout und -view). Eine solche systematische Analyse des Turniers in Rostock bez. neuer Tendenzen im internationalen Spitzengoalball sowie der Leistungsentwicklung der Deutschen Mannschaft dient dem Trainerteam der Herrennationalmannschaft mit Unterstützung durch den Arbeitsbereich Medizin, Training und Gesundheit, Universität Marburg zur Anpassung von Trainingsschwerpunkten und entsprechender Routinen für die paralympischen Spiele Tokyo 2020.
Den Heimvorteil in Rostock konnten auch die Goalball-Damen für sich nutzen. Angetreten mit dem Ziel im A-Pool, d.h. im Pool der besten Mannschaften Europas zu bleiben, trafen sie nach zwei Siegen in der Gruppenphase im Viertelfinale ebenfalls auf Griechenland. Dort gelang ihnen nach einem 0:3 Rückstand noch ein 4:3-Erfolg und damit der Einzug ins Halbfinale. Auch wenn sie dieses gegen die späteren Titelgewinnerinnen aus der Türkei klar verloren haben, konnten die Damen das Spiel um Platz 3 bei toller Stimmung in der Rostocker Stadthalle sensationell für sich entscheiden. Interessant dabei: alle Spielerinnen der Damennationalmannschaft kommen aus Marburg und Trainer Dr. Thomas Prokein promovierte 2019, betreut durch Prof. Beneke, mit dem Thema: „Angriffstaktik im Goalball – eine paralympische Sportart für Menschen mit Sehschädigung“.