03.03.2025 Martin Giese ist neuer Professor für Bewegungs- und Sportpädagogik

„No barriers?“ Martin Gieses Forschung zur Inklusion im Sport

Martin Giese hat gerade eine außergewöhnliche Skitour hinter sich, die ihn körperlich und mental an seine Grenzen brachte. Der Marburger Professor für Bewegungs- und Sportpädagogik war in den Osttiroler Alpen unterwegs – allerdings nicht aus Leidenschaft für den Sport, sondern im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts. An seiner Seite: der blinde Extrembergsteiger Andy Holzer.

Giese selbst ist ein erfahrener Tennisspieler, Mountainbiker, Sportkletterer und Skifahrer, doch Holzer beeindruckte und übertrunpfte ihn mit seiner enormen Leistungsfähigkeit und Ausdauer. Wie schafft es ein blinder Mensch, solch anspruchsvolle Touren mit bemerkenswerter Sicherheit zu bewältigen?

Ein Forschungsprojekt für mehr Teilhabe

Mit „No Barriers?“ untersucht Giese, wie Barrieren für blinde und sehbehinderte Menschen im Sport abgebaut werden können. Ziel ist es, Teilhabe an Bewegung und sportlichen Aktivitäten zu ermöglichen. Andy Holzer ist dabei ein Paradebeispiel, denn für ihn scheinen Grenzen nicht zu existieren: Neben extremen Skitouren hat er als einer von nur zwei blinden Menschen den Mount Everest bestiegen.

Die Forschung findet dabei nicht in sterilen Büros statt, sondern in der natürlichen Umgebung des Sports. Giese setzt auf partizipative und multisensorische Forschung, bei der Daten direkt während der Aktivitäten erhoben werden. So entstanden während der Skitour Videomitschnitte per GoPro, in denen Giese und Holzer sich direkt beim Aufstieg austauschen. Dadurch erhält Giese authentische Einblicke – sowohl in Holzers Bewegungsmuster als auch in seine Wahrnehmung der Umwelt.

Ein zentrales Anliegen des Professors ist es, Menschen mit Behinderungen eine Stimme zu geben. Das gilt nicht nur für seine wissenschaftlichen Arbeiten, sondern auch für seinen öffentlichen Auftritt: Neben Veröffentlichungen in Fachzeitschriften vermittelt er seine Forschung auch über YouTube, Instagram oder Vorträge. So gewann er einen Science Slam mit dem provokativen Titel „Bildung für Blinde? Ist doch behindert!“ – ein bewusster Denkanstoß, um Barrieren in den Köpfen der Menschen abzubauen.

Von der Schule zurück an die Universität

Seit Oktober lehrt Giese an der Universität Marburg. Für ihn bedeutet das nicht nur eine berufliche, sondern auch eine persönliche Rückkehr, denn bereits in den frühen 2000er Jahren zog es den gebürtigen Koblenzer zum Sportstudium in die Universitätsstadt. Heute schätzt er Marburg besonders wegen seiner familiären Atmosphäre – ein wichtiger Aspekt für den zweifachen Vater. Sein Interesse für Inklusionsforschung begann bereits während des Studiums, als er mit der Marburger Blindenstudienanstalt (Blista) in Kontakt kam. Nach seinem Abschluss arbeitete er zehn Jahre als Lehrer an der Blista und unterrichtete unter anderem Quereinsteiger, die erst zur Oberstufe an die spezialisierte Schule wechselten. Während seiner Zeit als Lehrer vertiefte er seine Forschung zur Gestaltung eines barrierefreien und sozial gerechteren Sportunterrichts. Über wissenschaftliche Stationen an der Humboldt-Universität Berlin und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg führte ihn sein Weg nun zurück nach Marburg.

Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe

Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Bewegung und Sport in inklusiven Settings. Doch für Giese geht es um mehr als nur die sportliche Betätigung: „Wir bilden Menschen aus, die andere in Bewegung bringen.“ Es geht ihm darum, nicht nur Sportlehrkräfte auszubilden, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Die Entwicklung maßgeschneiderter Sportangebote für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen ist dabei essenziell. Im Vordergrund steht nicht der Leistungssport, sondern die persönliche Entwicklung und die Förderung sozialer Teilhabe. Denn Sport ist mehr als körperliche Bewegung – er kann ein Schlüssel zu mehr Selbstständigkeit, Selbstvertrauen und Inklusion sein.