29.11.2016 Bundesgerichtshof: Auschwitz-Urteil (Fall „Gröning“) rechtskräftig
Höchstrichterlich bestätigte Verurteilung dürfte Weg für weitere Verfahren öffnen
Das im Juli 2015 ergangene Urteil des Landgerichts Lüneburg im international hoch beachteten Prozess gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning ist rechtskräftig. Gegen das Urteil aus dem letzten Jahr hatten sowohl Gröning als auch mehrere Nebenkläger Revision eingelegt. Diese hat der BGH nun mit Beschluss vom 20. November 2016 verworfen und somit die Rechtsauffassung des Landgerichts bestätigt, was ausgesprochene rechtshistorische Bedeutung hat: Das Landgericht hatte in seinem Urteil eine vierjährige Freiheitsstrafe ausgesprochen und Gröning wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen verurteilt. Dies war nicht nur wegen des späten Zeitpunkts, etwa sieben Jahrzehnte nach den Taten, und des hohen Alters des Angeklagten bemerkenswert, sondern vor allem auch in rechtlicher Hinsicht. Gröning nämlich war an den Ermordungen der Lagerinsassen nicht unmittelbar eigenhändig beteiligt, vielmehr war seine Aufgabe die einer Art „Buchhalters“, so hatte er insbesondere Geld eingesperrter Juden verwaltet und an der Beaufsichtigung der eintreffenden Transporte mitgewirkt. Dies aber, so das Landgericht, das in dieser Rechtsauffassung nun höchstrichterlich gestützt worden ist, sei bereits ausreichend für Mordbeihilfe gewesen, da es sich bei dem Konzentrationslager in Auschwitz um eine reine Tötungsmaschinerie gehandelt habe. Diese Begründung widerspricht der in früheren Jahrzehnten herrschenden Rechtsmeinung, aufgrund derer viele in ähnlicher Weise beteiligte Personen straffrei blieben. Zwar wurde sie in ähnlicher Weise gerichtlich auch schon im bekannten „Demjanjuk“-Urteil gerichtlich manifestiert, doch wurde dieses Urteil nie rechtskräftig, weil der Angeklagte Demjanjuk verstarb, ehe der BGH entscheiden konnte. Dies zeigt auch deutlich ein Problem der skizzierten Entwicklung: Zwar ermöglicht die nun höchstrichterlich bestätigte Bewertung solcher Tätigkeiten in Konzentrationslagern nun auch endlich klar weitere Verfahren und auch Verurteilungen gegen andere damals Beteiligte, doch befinden diese sich sämtlich bereits in einem sehr hohen Lebensalter. Das immer wieder kritisierte späte Einlenken der deutschen Justiz auf diesem Feld macht die noch verbliebenen möglichen Strafverfolgungen somit nun zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Es ist auch noch unklar, ob Gröning aufgrund seines seinem Alter entsprechenden Gesundheitszustandes die Haft letztlich wird antreten müssen. Während des Prozesses war besonders deutlich geworden, wie wichtig das Urteil besonders für die verbliebenen Opfer und ihre Angehörigen ist, vor allem nachdem über Jahrzehnte keine konsequente Strafverfolgung solcher NS-Täter in Deutschland stattgefunden hatte.
Im Rahmen der kürzlich vom ICWC veranstalteten Ringvorlesung „70 Jahre Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess“ wurde auch in Marburg das Gröning-Verfahren und seine Vorgeschichte eingehend beleuchtet, vor allem durch einen Vortrag des Kölner Strafrechtslehrers Professor Cornelius Nestler, der im Lüneburger Verfahren als Nebenklagevertreter involviert war
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