27.04.2023 Erfolgreicher Kick-off der Ringvorlesung "Gender im Völkerstrafrecht"
Am 25. April 2023 fand der Auftakt der interdisziplinären Ringvorlesung „Gender im Völkerstrafrecht“ unter der Leitung von Prof. Dr. Stefanie Bock, geschäftsführende Direktorin des ICWC, mit einem Eröffnungsvortrag von Dr.in Inga Nüthen und Dr.in Mariel Reiss (beide Philipps-Universität Marburg) statt. Ziel des Vortrags „Sexualities und Gender: Konzepte internationaler (Macht-)Politik“ war es, eine Einführung in das Thema „Gender“ zu geben. Nachdem Inga Nüthen die verschiedenen Facetten der Frage „Was ist Gender?“ beantwortet hatte, bettete Mariel Reiss die Ausführungen in einen internationalen Kontext mit Fokus auf Afrika ein, indem sie sich mit der Frage „Wie wirkt Gender in der internationalen (Macht-)Politik?“ auseinandersetzte.
Politikwissenschaftlerin Inga Nüthen argumentierte aus einer feministisch-gesellschaftskritischen Position heraus, dass Wissenschaft kein neutrales Wissen hervorbringe, sondern immer mit der Position der Forscher:innen verbunden sei. Sie erklärte, dass aus der Perspektive der feministischen Wissenschaft Geschlecht und Sexualität keine natürlichen, sondern politische Kategorien seien, welche in der Konstruktion von „Normalität“ Körper, Lebensweisen und Begehrensstrukturen regulierten. Hierbei würden Geschlecht und Sexualität als gesellschaftliche Konstruktionen verstanden, die dazu dienten, Hierarchien und damit auch Ungleichheit zu legitimieren. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Heteronormativität und eine binäre Geschlechterordnung als soziale Normen postuliert seien, folgten intersektional wirkende Kategorisierungen zur Legitimierung von Ungleichheiten in „normal“ (zweigeschlechtlich, weiß, ohne Behinderung…) und „abweichend“ (divers, nicht-weiß, mit Behinderung…).
Hieran anschließend ging Politologin Mariel Reiss zunächst auf den Aspekt der kolonialen Kontinuität ein, welche sich darin zeige, dass in den Verfassungen einiger afrikanischer Staaten bis heute Gesetze enthalten seien, die auf die Kolonialzeit zurückgingen. Diese Gesetze seien stark heteronormativ ausgerichtet und kriminalisierten gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen, meist zwischen Männern. Darauf aufbauend erläuterte sie, dass sich bis heute das Narrativ der „Unafrican-ness“ hielte, welches LGBTQ+ Personen das Afrikanischsein und damit einen Teil ihrer Identität abspreche. Des Weiteren erklärte Mariel Reiss, wie sich die Governancestrukturen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene mit ihren verschiedenen Akteur:innen, Strukturen und Gruppen (u.a. AU, NGOs) gegenseitig beeinflussen. Die Räume für Menschenrechte und konkrete Aspekte der LGBTQ+ Gesetzgebung seien nicht in jeder Struktur enthalten und somit hochumkämpft. Abschließend ging Mariel Reiss auf konkrete Gesetze wie die African Union Resolution 275 ein, die ihre Mitgliedstaaten dazu anhält, Personen aufgrund ihrer angenommenen oder selbst zugeschriebenen sexuellen Orientierung und Genderidentität nicht zu diskriminieren und zu verfolgen, sondern stattdessen vor Gewalt zu schützen. Gleichzeitig hochaktuell sei jedoch die Debatte um das geplante ugandischen Anti-Homosexuellen-Gesetzes, welches nicht nur wie bisher unter Strafe gestellte gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen verbiete, sondern für „Wiederholungstäter:innen“ die Todesstrafe vorsehe. Mit diesem Beispiel verdeutlichte Mariel Reiss den Zuhörenden, wie stark umkämpft die hochpolitisierten Räume der Anti- und Pro-LGBTQ+ Gesetzgebungen und entsprechende Normdiskurse sind.
Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine interessante Diskussion, in der u.a. die Rolle des Völkerstrafrechts für die Verbesserung der Lebensbedingungen für LGBTQ+ Personen auf dem afrikanischen Kontinent zur Debatte stand. Auch wurde diskutiert, inwieweit Transitional Justice-Mechanismen Veränderungen kolonialer Verhältnisse möglich machten und Konstruktionen und Reproduktionsmechanismen verändert werden könnten. Schließlich waren sich die Referentinnen darin einig, dass es nicht den einen „Returningpoint“ geben werde, weshalb Veränderungsprozesse in der Governancestruktur nur im Kleinen möglich seien. Wichtig hierfür sei es, sich nicht auf rechtliche Diskurse zu beschränken, sondern die „alltäglichen gesellschaftlichen Kämpfe überall auf der Straße, im Seminarraum, in der Küche und in der Bar“ zu sehen und sich daran zu beteiligen.
Wir freuen uns über einen sehr gelungenen Kick-off unserer Vorlesungsreihe „Gender im Völkerstrafrecht“ und bedanken uns herzlich bei den Referentinnen sowie dem diskussionsfreudigen Publikum.