24.10.2024 Erfolgreicher Kick-Off der Ringvorlesung "Grenzen und Grenzüberschreitungen militärischer Gewalt"

Ein leeres Klassenzimmer mit Holztischen und -stühlen sowie einer Tafel
Foto: Colourbox.de

Am 22. Oktober 2024 eröffnete  Dr. Henning de Vries, Geschäftsführer des ICWC, die interdisziplinäre Ringvorlesung „Grenzen und Grenzüberschreitungen militärischer Gewalt“ mit einem eigenen Eröffnungsvortrag. Der Titel des Vortrags „Grenzen und Grenzüberschreitungen militärischer Gewalt – eine Einführung in den Forschungsschwerpunkt“ gab sowohl die Richtung als auch das Ziel von Herrn de Vries' Arbeit vor:  Wie viel sind Grenzen militärischer Gewalt eigentlich noch wert, wenn sie immer wieder überschritten werden und wie gehen wir mit den Grenzüberschreitungen militärischer Gewalt gerade an diesen Stellen eigentlich um? Henning de Vries betonte die Dringlichkeit und Notwendigkeit dieser Frage mit Hinblick auf  den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dem Konflikt im Nahen Osten, aber auch mit Perspektive der Interventionspolitik des Westens in den letzten 30 Jahren. Damit verbunden seien nicht nur die Konflikte selbst, die wir womöglich als Grenzüberschreitungen wahrnähmen, sondern auch die militärischen Möglichkeiten, so de Vries.

ICWC

Er argumentierte, dass sich die internationale Ordnung möglicherweise von einer liberalen, völkerrechtlich geprägten Struktur hin zu einem realistischen, machtzentrierten System verschiebe, in dem die Dichotomie zwischen Recht und Macht eine zentrale Rolle spiele. De Vries schlug einen Perspektivwechsel vor: Anstatt sich ausschließlich auf das „Was“ – also auf spezifische Grenzüberschreitungen – zu konzentrieren, beabsichtigte er, das „Wie“ zu analysieren. Er hinterfragte, auf welche Weise Grenzen militärischer Gewalt entstehen und wie Regelungen durch diese Überschreitungen transformiert werden. De Vries zentrale These lautete, dass dieser Prozess lediglich im Widerspruch, jedoch unter der Voraussetzung von Verbindlichkeit operiere. Er argumentierte, dass der Diskurs über Grenzüberschreitungen, selbst wenn er an den objektiven Fakten vorbeigehe, eine kommunikative Selbstbindung herstelle. Henning de Vries' Vortrag bot eine nuancierte Perspektive auf die Grenzen militärischer Gewalt. Er überwand die strikte Dichotomie zwischen realistischen und liberalen Ansätzen in den internationalen Beziehungen und stellte die realistische Perspektive kritisch in Frage. Dabei formulierte er die Frage, ob wir uns tatsächlich am „Ende der Geschichte“ im realistischen Sinne befinden, in dem Macht immer über Recht triumphiert. De Vries argumentierte, dass die ontologische Perspektive des Realismus problematisch sei, da sie schwer zu quantifizieren oder zu beweisen ist.

Als Alternative schlug er eine konstruktivistische Wende vor, die eine Epistemologisierung anstelle einer Ontologisierung anstrebt. Er betonte, dass man nicht Macht als inhärente Eigenschaft betrachten sollte, sondern vielmehr untersuchen müsse, wie Macht und Recht in der Kommunikation konstruiert werden. In diesem Zusammenhang stellte de Vries klar, dass der Fokus auf kommunikative Prozesse entscheidend sei, da die Art und Weise, wie über Grenzen und deren Überschreitungen kommuniziert werde, maßgeblich für deren Wirksamkeit sei. Darüber hinaus argumentierte er, dass selbst wenn Grenzen überschritten würden, der Diskurs über diese Überschreitungen eine Bindungswirkung erzeugte und somit zur Aufrechterhaltung einer internationalen Ordnung beitrug. Er hob hervor, dass die Bedeutung des Völkerrechts nicht als direkt durchsetzbares Regelwerk, sondern als ein Rahmen zu verstehen sei, der die Kommunikation über internationale Konflikte strukturiere. Durch die Analyse des Wandels von Prinzipien wie der militärischen Notwendigkeit zeigte de Vries auf, wie dynamisch die Grenzen militärischer Gewalt sind und sich durch Praxis und Diskurs verändern.

Diese Perspektive ermöglicht ein differenzierteres Verständnis internationaler Konflikte und der Rolle des Völkerrechts, das weder in naiven Optimismus noch in völligen Pessimismus verfiel. Sie eröffnet neue Wege, um die komplexen Dynamiken von Macht und Recht in den internationalen Beziehungen zu verstehen und zu analysieren. Henning de Vries erklärte, dass diese Herangehensweise es ermögliche, die Zusammenhänge klarer zu erfassen und die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen rechtlichen und machtpolitischen Aspekten zu beleuchten.

Wir freuen uns über einen sehr gelungenen Kick-off unserer Vorlesungsreihe „Grenzen und Grenzüberschreitungen militärischer Gewalt“ und bedanken uns herzlich bei Henning de Vries sowie dem diskussionsfreudigen Publikum.

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