21.11.2024 Jetzt online: Zusammenfassung des Vortrags "Militär darf Gewalt! Über Grenzen, Grenzverschiebungen und Grenzüberschreitung kollektiver Gewaltsamkeiten"
Für den dritten Vortrag unserer Ringvorlesung „Grenzen und Grenzüberschreitungen militärischer Gewalt“ am 19. November 2024 konnten wir den Historiker Dr. Frank Reichherzer vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam gewinnen. Sein Vortrag mit dem Titel „Militär darf (nicht) Gewalt! Über Grenzen, Grenzverschiebungen und Grenzüberschreitungen kollektiver Gewaltsamkeiten“ beleuchtete aus militärhistorischer Perspektive die Frage, ob und in welchem Umfang Militär Gewalt ausüben darf und wo deren Grenzen verlaufen.
Im ersten Abschnitt, den Frank Reichherzer als „Gewaltverständnis“ bezeichnete, erläuterte er, dass sich dieses Verständnis seit den 1990er-Jahren stark verändert habe. Dies begründe das derzeit ambivalente Bild von Gewalt, das sinnbildlich als Spiegel für die vielfältigen Erscheinungsformen und Schattierungen der Gewalt stehe. Weiterhin führte er aus, dass der Versuch, Gewalt präzise zu definieren, das Wesen der Gewalt verschleiere. Dies sei insbesondere in Deutschland relevant, wo eine absichtlich vage Definition eine „produktive Unschärfe“ erzeuge.
Anschließend ging Frank Reichherzer auf die historische Semantik des Gewaltverständnisses ein, die eng mit Begriffen wie ‚Macht‘ und ‚Governance‘ verwoben sei. Obwohl diese Aspekte für das Zusammenspiel von Gewalt entscheidend seien, fänden sie in der Forschung oft nur wenig Beachtung. Zudem beleuchtete Herr Reichherzer die unterschiedlichen Interpretationen und Kontexte von Gewalt. Er erklärte, dass Gewalt im Prozess der Produktion und Reproduktion zu einem politischen Instrument werde. In diesem Kontext würden Gewalt ausgehandelt, Sanktionen geschaffen und Entscheidungen getroffen, was als legitime Gewalt gelte.
Der zweite thematische Abschnitt widmete sich der Frage, „Was ist das Militär?“
Frank Reichherzer argumentierte, dass das Militär als Dispositiv verstanden werden könne – als ein zeit- und kontextspezifisches Ensemble aus Wissen, Akteuren, Infrastrukturen und Ressourcen. Es sei dauerhaft organisiert und übe keine spontane Gewalt aus. Gleichzeitig sei das Militär verbindlich an Strukturen wie Hierarchien (nach innen) und an Regeln (nach außen) gebunden.
Reichherzer griff zudem den Begriff des Gewaltmonopols nach Max Weber auf, erörterte jedoch dessen Begriffsschwierigkeiten, da dieser die historischen Realitäten der Frühen Neuzeit nicht hinreichend beschreibe. Dennoch könne man diesen Begriff nicht ignorieren, da die Konzentration von Gewalt im Gewaltmonopol eine wichtige Rolle spiele. Dieser Begriff umfasse auch die Bündelung und Entprivatisierung von Akteuren sowie die Ermächtigung zur Ausübung von Gewalt. Mit dem Militär entstehe laut Reichherzer eine besondere Form des Gewaltdispositivs, das die beim Staat liegenden Gewaltpotenziale ausübe. Diese könnten als Ausdruck von Souveränität betrachtet werden und sich in Traditionen wie Paraden oder dem Spalierstehen widerspiegeln.
Im dritten Teil seines Vortrags stellte Reichherzer die Frage: „Wie ist die Gewalt des Militärs geregelt?“
Hierbei argumentierte er, dass Normen immer Grenzen ziehen würden. Durch diese Grenzziehung würden zugleich die beiden Seiten der Grenze sichtbar. In diesem Zusammenhang zitierte er den deutschen Publizisten Jan Philipp Reemtsma, der behauptete, Gewalt könne geboten, verboten oder erlaubt sein. Diese Grenzen seien jedoch fließend. Frank Reichherzer nahm Reemtsmas These auf, dass die Praxis der Grenzziehung gefährlich werden könne, wenn sie Aspekte wie männliche Ehre integriere. Solche Elemente fänden auch in zeitgenössischen Werken wie dem von ihm erwähnten „The Law of War Manual“ (2023) Platz.
Reichherzer schloss seinen Vortrag mit den zentralen Fragen: „Wie regeln Militärorganisationen Gewalt und Gewaltpotenziale?“, die im Anschluss zu einer lebhaften Diskussion führten.
Wir bedanken uns sehr herzlich bei Dr. Frank Reichherzer und dem interessierten Publikum!
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Dr. Frank Reichherzer