07.07.2023 Jetzt online: Zusammenfassung des Vortrags "Zur historischen Prekarität von Recht im Verhältnis zu Geschlecht und 'Rasse'"

Foto: Rolf K. Wegst

Am 05. Juli lud das ICWC zum letzten Mal zur interdisziplinären Ringvorlesung „Gender im Völkerstrafrecht“ ein. Dafür konnten wir die Politikwissenschaftlerin Matti Traußneck (Philipps-Universität Marburg) gewinnen. Unter dem Titel „Zur historischen Prekarität von Recht im Verhältnis zu Geschlecht und ‚Rasse‘“ widmete sich Frau Traußneck der Frage, was wir verstehen und sichtbar machen können, wenn wir die Verflechtung von ‚Rasse‘, Recht und Geschlecht verstehen.

Der Vortrag von Matti Traußneck auf YouTube

Unter diesem Link haben wir den vollständigen Vortrag "Zur historischen Prekarität von Recht im Verhältnis zu Geschlecht und ‚Rasse‘" von Matti Traußneck im Rahmen der Ringvorlesung "Gender im Völkerstrafrecht" auf YouTube hinterlegt.

Foto: ICWC

Beginnend wies Frau Traußneck auf die begriffliche Schwierigkeit des Wortes ‚Rasse‘ hin und skizzierte dieses als eine soziale, kulturelle und ökonomische Idee. Anschließend näherte sie sich mit einem tagesaktuellen Beispiel der Thematik, um die Ambivalenz von Recht aufzuzeigen. Exemplarisch hierfür stehe die Asylrechtsreform der EU, so Traußneck, ziele diese doch auf die Aussetzung des Rechts auf Rettung ab. Diese Ambivalenz von Recht sei seiner historischen Prekarität geschuldet und heute aktueller denn je.

Anhand von drei historischen Fallbeispielen von ‚Rassegesetzen‘ zeigte Matti Traußneck Kontinuitätslinien innerhalb der Geschichte auf und wies auf die Bedeutung von ‚Rasse‘ und Geschlecht in der Rechtspraxis hin. Mit ihrer Auswahl legte sie die praktische Umsetzung einer Vorstellung von ‚Reinheit‘ dar. Dabei charakterisierte sie ‚Rasse‘, Recht und Geschlecht als antagonistische Triangulation, wobei sich die drei Kategorien gegenseitig konstituieren, legitimieren und anerkennen.

Bereits im Rahmen der im Zuge der Reconquista eingeführten Gesetzgebung auf der Iberischen Halbinsel sowie im damit verbundenen Konzept der „Limpieza de sangre“ ließe sich eine Rechtspraxis erkennen, welche eine protorassistische Vererbungs- und Sexualpolitik verfolgte, wobei die Vererbung geschlechtlich konnotiert sei. Hier zeige sich das Exklusionspotenzial des Rechts insbesondere im diskriminierenden Umgang mit Jüd:innen.

Als zweites Beispiel führte Traußneck den französischen „Code Noir“ an, der die Sklaverei zwar reglementieren sollte, dadurch jedoch ihre Rechtsgrundlage schuf und sie legitimierte. Die europäische Kolonialgeschichte und deren Rechtspraxis formten eine kodifizierte Form der Sexualpolitik und die Schaffung einer rassischen Ordnung rechtlicher Ungleichheit, so Matti Traußneck. Dabei bedurfte es keiner Begründungsnotwendigkeit. Das Ergebnis dieser Rechtsprechung sowie Vererbungs- und Sexualpolitik war, dass fortlaufend die Hautfarbe den Status anzeigte.

Schließlich verwies Traußneck auf die Implementierung der NS-‚Rassegesetze‘, die legitimiert wurden durch die übergeordnete Idee des ‚Rassekampfes‘, die in die Logik des Rechts eingeschrieben wurde. Hier zeige sich, wie das Recht seinem eigenen Anspruch, Widersprüche seiner eigenen Inhalte aufzulösen, widerspreche.

Foto: ICWC

Anhand der gewählten Beispiele demonstrierte Matti Traußneck die Kontinuitäten von Kolonialismus und Nationalsozialismus. Die Gemeinsamkeiten lägen insbesondere in der Verrechtlichung des Unrechts der Ungleichheit, sowie in der Kodifizierung von Gewalt. ‚Rassegesetze‘ erschufen konsolidierte Strukturen, die darauf abzielten, Ressourcen auszubeuten sowie Betroffene aus dem Sozialleben auszuschließen.

Zum Ende ihres Vortrages kam Frau Traußneck noch einmal auf den Vergleich zwischen der aktuellen EU-Außenpolitik und ihren historischen Beispielen zurück. Sie analysierte, dass ‚Rasse‘ und Recht sich durch die Moderne konstituiert haben, und bezeichnete Recht als Ermöglichungsinstanz von ‚Rasse‘. Deshalb kam Traußneck zu der Konklusion, man müsse sich vielmehr mit der Frage beschäftigen, wie eine strukturelle Rechtspraxis geschaffen werden könnte, die statt der Verrechtlichung des Unrechts der Ungleichheit die Verrechtlichung von Gleichheit garantiere.

Nach dem aufschlussreichen Vortrag wurde der Raum für Fragen geöffnet und es folgte eine wie gewohnt rege, spannende Diskussion.

Wir bedanken uns herzlich bei Matti Traußneck und dem interessierten Publikum und schauen auf eine gelungene Ringvorlesung zurück, welche durch ihren interdisziplinären Charakter für uns alle sehr gewinnbringend war!

Die Zusammenfassungen aller Beiträge finden Sie auf der Website der Ringvorlesung, wo wir in Kürze auch Videoaufzeichnungen ausgewählter Vorträge bereitstellen.

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