01.12.2021 Urteil des OLG Frankfurt im Strafverfahren gegen Tahar Al-J.
Der 5. Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) hat am 30.11.2021 das Urteil im Strafverfahren gegen Taha Al-J. gesprochen.
Der 29-jährige Iraker wurde wegen Völkermord in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge, einem Kriegsverbrechen gegen Personen mit Todesfolge, Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen in zwei tateinheitlichen Fällen sowie Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen und wurde deshalb zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Überdies muss Al-J. 50.000,00 € an die Nebenklägerin Nora B. für den ihr entstandenen immateriellen Schaden zahlen.
Laut der Aussage des Vorsitzenden Richters Christoph Koller handele es sich um das weltweit erste Urteil wegen der Verbrechen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ an der Minderheit der Jesid:innen.
Seit dem 24.04.2020 wurde an insgesamt 58 Verhandlungstagen der Strafprozess gegen den Angeklagten geführt. Pandemiebedingt konnte das Marburger Trial-Monitoring Projekt nicht wie unter gewöhnlichen Umständen an jedem Prozesstag, sondern nur bei der Eröffnung des Hauptverfahrens und der Urteilsverkündung mit einer kleinen Gruppe anwesend sein.
Mit dem Ziel, die überwiegend im Sindjar-Gebiet im nördlichen Irak ansässige religiöse Minderheit der Jesid:innen zu vernichten, führte der „IS“ im August 2014 in diesem Gebiet einen zentral geplanten, organisierten und koordinierten Angriff unter Beteiligung von hunderten Kämpfern mit Waffengewalt durch. In der Folge gerieten tausende Jesid:innen in die Gewalt des „IS“, wobei die verschiedenen Opfergruppen unterschiedlich behandelt wurden. So wurden beispielsweise ältere Mädchen und jüngere Frauen von „IS“-Mitgliedern als Sexsklavinnen, ältere Frauen als Haushaltssklavinnen gehalten und gehandelt. In kurzer Zeit entwickelte sich insbesondere in Raqqa (Syrien) ein florierender Handel mit jesidischen Mädchen und Frauen. Im Zuge dieses Angriffs wurden auch die Nebenklägerin und ihre Tochter gefangen genommen.
Al-J. habe sich dem „IS“ angeschlossen und sich mindestens seit März 2015 in Raqqa aufgehalten, wo er als Leiter des „IS“-Büros für „Ruqia“, einer religiösen Praxis zur Geisteraustreibung zum Zwecke der Heilung von verschiedenen Leiden, tätig gewesen sei.
Im Juni 2015 habe er die Zeugin Jennifer W. nach islamischem Ritus vor einem „IS“-Gericht geheiratet und die der Gruppe der Jesid:innen zugehörige Nebenklägerin Nora B. und ihre fünfjährige Tochter Reda als Sklavinnen gekauft. Jennifer W. wurde am 25.10.2021 vor dem Oberlandesgericht München zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Gegen das Urteil legte die Generalbundesanwaltschaft kurz darauf Revision ein.
Der Angeklagte habe die Nebenklägerin und ihre Tochter nach Falludscha im Irak verbracht, wo diese sich mehrere Wochen im gemeinsamen Haushalt von Taha Al-J. und Jennifer W. aufhalten haben. Während dieser Zeit habe Al-J. über ihr Leben bestimmt. Neben dem Verbot, das Anwesen ohne Zustimmung des Angeklagten zu verlassen, seien Nora B. und ihre Tochter zum Gebet nach muslimischen Regeln gezwungen worden. Darüber hinaus habe die Nebenklägerin unentgeltlich die gesamte Hausarbeit verrichten müssen. Die Tochter der Nebenklägerin sei von Al-J. in „Rania“ umbenannt und über Nacht einem männlichen Bekannten des Angeklagten „verliehen“ worden. Der Angeklagte habe die Nebenklägerin und Reda zu verschiedenen Gelegenheiten insbesondere durch körperliche Züchtigungen „bestraft“.
An einem nicht näher zu bestimmenden Tag habe der Angeklagte die Nebenklägerin erneut „bestraft“, indem er sie aufforderte, sich unter extremer Wärmebelastung barfuß auf den Steinboden des Hofes in die Sonne zu stellen. Auch Reda habe der Angeklagte an diesem Tag dafür „bestraft“, dass sie krankheitsbedingt auf eine Matratze uriniert habe. Daraufhin habe Al-J. das Mädchen an ein Außengitter des Wohnzimmerfensters gefesselt, wo sie direkter Sonneneinstrahlung und ohne Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr der daraus resultierenden extremen Hitze ausgesetzt gewesen sei. Das Mädchen habe daraufhin einen Hitzschlag erlitten, an dessen Folgen sie verstorben sei.
Taha Al-J. sei 2018 aus der Türkei nach Griechenland geflüchtet, wo er am 16.05.2019 festgenommen worden sei. Er befinde sich, seit er im Oktober 2019 an die Bundesrepublik Deutschland überstellt worden sei, ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Insgesamt habe es sich um ein sehr aufwändiges Verfahren gehandelt. Allein die Befragung der Nebenklägerin Nora B. habe sieben Hauptverhandlungstage gedauert. Auch die Anreise zweier Zeuginnen aus dem Irak sei pandemiebedingt erschwert gewesen.
Mehr Informationen zu dem Urteil finden Sie auf den Seiten der Ordentlichen Gerichtsbarkeit Hessen.