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Der Todesmarsch nach Palmnicken
Ein wenig beachtetes Massenverbrechen der Nationalsozialisten in der heutigen Oblast Kaliningrad
Der Todesmarsch von Palmnicken ist eines der größten Endphaseverbrechen des Nationalsozialismus, das im damaligen Ostpreußen im Januar 1945 verübt wurde. Die genaue Anzahl der Opfer ist schwer festzustellen und wird mit 5.000 bis 12.000 Getöteten beziffert. Der Direktor der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ Neumärker bezeichnete den am Ende des Todesmarsches verübten Massenmord am Ostseestrand Palmnickens, als „das größte Massaker auf deutschem Boden“ (Neumärker in Blitz 2013: 10). Diese Bewertung steht in starkem Kontrast zur begrenzten Aufmerksamkeit, welche dieses Kriegsverbrechen durch Gesellschaft, Wissenschaft und Strafverfolgung bislang erfahren hat.
Das am ICWC angesiedelte und in Kooperation mit dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung realisierte Forschungsprojekt „Der Todesmarsch nach Palmnicken“ befasst sich mit der Genese, den Folgen und der strafrechtlichen Aufarbeitung dieses Verbrechens. Im Zentrum des Projekts steht die Frage, warum trotz jahrelanger Ermittlungsarbeit und der Vernehmung dutzender Zeug:innen der Todesmarsch nach Palmnicken weitgehend ungesühnt blieb. Das Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Stefanie Bock analysiert nationales und internationales Aktenmaterial aus den Beständen der Zentralstelle Ludwigsburg, des Niedersächsischen Landesarchivs sowie der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem, um so Beweislagen und Ermittlungsabläufe rekonstruieren zu können.
Zum Hintergrund: Der Todesmarsch nach Palmnicken
Unter dem Druck sich nähernder sowjetischer Truppen und infolge der Auflösung der östlichen Außenlager des Konzentrationslagers Stutthof wurden im Januar 1945 mehrere tausend, hauptsächlich weibliche jüdische Gefangene nach Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, getrieben. Von dort aus mussten sie bei hohen Minusgraden und mit unzulänglicher Ausrüstung in das direkt an der Ostseeküste gelegene Palmnicken (heute: Jantarny) marschieren. Auf dem Weg starben ca. 2.000 Menschen an Kälte, Erschöpfung oder durch willkürliche Erschießungen. In Palmnicken angekommen wurden die Gefangenen auf dem Gelände des örtlichen Bernsteinwerks eingesperrt. Der ursprüngliche Plan, sie in einem Bergwerksschacht zu töten, scheiterte am Widerstand mehrerer Bürger Palmnickens. So setzte sich beispielsweise der Kommandant des Palmnicker Volkssturms, Hans Feyerabend, für die Gefangenen ein und ließ Nahrungsmittel verteilen. Wenige Tage später wurde er jedoch vom Königsberger SS-Sicherheitsdienst an die Front abberufen, wo Feyerabend unter ungeklärten Umständen ums Leben kam.
Zeitgleich erreichte der Todesmarsch seinen grausamen Höhepunkt in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1945: Die Gefangenen wurden von SS-Angehörigen gewaltsam auf die gefrorene Ostsee getrieben. Etwa 3.000 Personen wurden erschossen, ertranken oder erfroren in der Ostsee. Diejenigen, die fliehen konnten, wurden auf Geheiß des Bürgermeisters Palmnickens, Kurt Friedrichs, von Mitgliedern der Hitlerjugend gejagt und zur Erschießung ausgeliefert. Vermutlich überlebten nur 16 Personen das Massaker. Trotz der großen Zahl an Opfern gerieten die Geschehnisse an der Bernsteinküste in der Nachkriegszeit in Vergessenheit. Erst 2011, mehr als 60 Jahre nach der Tat, wurde ein großes Denkmal am Ostseestrand Jantarnys enthüllt, mit dem den vielen Opfern des Todesmarsches von 1945 gedacht wird.