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Normative Dimensionen des Rechts

Moderation: Laura Affolter, Hamburger Institut für Sozialforschung

Why we should (still) ask about Youth Diversion

Leonie Thies, University of Oxford

Youth diversion is commonly understood as desirable, a way to go forward. Especially in cross-country discussions on the existence and extent of the ‘punitive turn’ in Western youth justice systems, high youth diversion rates tend to be used as a proxy for non-punitiveness. This contribution argues that such an uncritical equation of diversion with non-punitiveness sidelines three crucial aspects: 1) early and contemporary radical critiques of diversion, 2) national, political, legal and local differences and 3) the complexity of practices on the ground. Leonie Thies will show this by demonstrating how looking closer at the origins of German youth diversion legislation and contemporary practices forces us to tell a more complex story about a comparatively ‘non-punitive’ youth justice system. Further, she argues that a critical engagement with diversion practices can help learn more about the possibilities and limits of non-punitive reactions to ‘crime’ from within state institutions that are in the realm of criminal law.

Politische Gleichheit und pluralisierte Gesellschaft

Sabrina Ellebrecht, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht

Vor dem Gesetz sind alle Bürger:innen gleich, ohne Ansehen von Stand; Geschlecht und gesellschaftlicher Position. Dies ist die große Errungenschaft der modernen Gesellschaft und der Grundgedanke der öffentlichen Verwaltung. Die Einzelnen sind als Rechtssubjekte in der politischen Gemeinschaft gleich, auch wenn sie sozial ungleich sind. 

Die Pluralisierung der Gesellschaft bringt nicht nur mehr Vielfalt, sondern verändert auch das Verhältnis zwischen politischen Subjekten und dem Staat. Der Vortrag wird die These vorstellen, was die pluralisierte Gesellschaft ausmacht und worin ihre Unterschiede zur modernen Gesellschaft liegen.

Isolde Charim beschreibt die neue Pluralisierung als Begegnungszone, in der die Differenz das Miteinander strukturiert. Der Umgang mit Unterschieden kennzeichnet eine pluralisierte Gesellschaft. Charim nennt das ein „negatives Gemeinwesen“ und erläutert: „Die Verbindung besteht nur darin, dass die Partikularismen sich aneinander relativieren.“ (Charim 2018, 212). In diesem Relativieren liegt Sabrina Ellebrechts Erachtens nach die entscheidende Herausforderung für die Verfasstheit einer pluralisierten Gesellschaft.

Die Idee politischer Gleichheit basiert auf der Abstraktion von Unterschieden. In einer pluralistischen Gesellschaft werden diese Unterschiede jedoch relativiert, was das Verhältnis zwischen politischem Subjekt und Staat verändert. Der Vortrag behandelt drei idealtypische Gesellschaftsqualitäten und diskutiert die Bedeutung von Diskriminierungsschutz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Die Rolle von Neutralität und Objektivität im Selbstverständnis von Richter:innen

Elisabeth Faltimat, Universität Bielefeld

Die Grundsätze der Neutralität und Objektivität werden als Kernelemente der Rechtsstaatlichkeit beschrieben und werden, neben weiteren relevanten verfassungsrechtlichen Vorschriften, auch beim Gleichbehandlungsgrundsatz in Art. 3 GG verortet. Das BVerfG verwendet sogar die Formulierung einer „unbedingte[n] Neutralität“ (BVerfG, Beschluss vom 8.2.1967, 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139 (146)). Aus verfassungsrechtlicher Perspektive sollten die beiden Prinzipien daher Grundlage für das tägliche richterliche Handeln sein und dürften zusammen mit den juristischen Methoden einen starken Einfluss auf die deutsche Rechtsprechung ausüben. Gleichwohl sind Richter:innen von gesellschaftlich wirkvollen Strukturen und Diskursen geprägt (Iyiola Solanke, Where are the Black Lawyers in Germany?, in: Egger, Maureen/Kilomba, Grada/Piesche, Peggy/Arndt, Susan (Hrsg.), Mythen, Masken und Subjekte, 2005, 179 (183)). 

Das Projekt untersucht die Prinzipien der Neutralität und Objektivität in der richterlichen Tätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtswirklichkeit, insbesondere im Kontext des Gleichheits- und Antidiskriminierungsrechts. Zudem ergänzt es dogmatische Beiträge zu Richter:innen im deutschen Rechtssystem unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Wirkungen. Es befasst sich mit ihrer Rolle und Selbstwahrnehmung. Richter:innen haben Einfluss durch persönliches Wissen, Erfahrungen und gesellschaftliche Positionierung in der Justiz. In welchem Verhältnis stehen also gesellschaftlich wirkungsvolle Ordnungsstrukturen und Diskurse sowie (nicht-)rechtliche Faktoren zu diesen beiden grundsätzlichen Prinzipien? 

Qualitative Forschung bietet sich dann als Forschungsansatz an, wenn Aussagen gemacht werden sollen, wie Individuen soziale Wirklichkeit interpretieren. Hierzu werden Interviews mit Richter:innen und Prozessbeobachtungen durchgeführt. Unter Heranziehung des iterativ-zyklischen Forschungsprogramms der Grounded Theory geht es darum, den empirischen Daten ergebnisoffen zu begegnen und die interpretativen Realitäten der Akteur:innen Daten nah zu identifizieren. Dabei findet das Vorhaben im Spannungsfeld der methodologischen Auseinandersetzung von Forschungs- und Erkenntnisinteressen qualitativer empirischer Sozialforschung statt. Wie lassen sich die unterschiedlichen Methoden, Erkenntnisinteressen in einer Arbeit zusammenbringen und auch erkenntnisgewinnend auch für die Rechtswissenschaft sein? Das Narrativ der "objektiven" und "neutralen" Entscheidungsfindung soll dabei einer kritischen Betrachtung unterzogen und Faktoren beleuchtet werden, die ihren Ursprung vor allem in strukturellen und institutionellen Diskursen haben und nicht allein Ausdruck in individuellen Haltungen finden. Vor dem Hintergrund des gewählten, sozialwissenschaftlich geprägten, Forschungsdesigns, der Verortung des Vorhabens in der Rechtssoziologie – wo die Interaktion an der Schnittstelle von Rechtsdogmatik und (Rechts-)Soziologie weiterhin herausfordernd bleibt (eindrücklich dazu Alfons Bora, Responsive Rechtssoziologie, Zeitschrift für Rechtssoziologie 36(2), 2016, 261 f.) – sollen methodische Komplexitäten als auch erste empirische Zwischenergebnisse einem Publikum kritisch zur Diskussion gestellt werden.