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Rechtsmobilisierung und Rechtsbewusstsein

Moderation: Henning de Vries, Philipps-Universität Marburg

„in und um das Recht herum“ – Arbeitskämpfe von Reinigungskräften in Marseille“

Anna Steenblock, Hamburger Institut für Sozialforschung

In den Vorträgen von Anna Steenblock und Francesca Barp erfolgt eine Überprüfung, wie und wann in Arbeitskämpfen das Recht (nicht) eingesetzt wird. Die Referentinnen untersuchen die Selbstorganisation vom prekarisierten Care Sektor in Europa (Frankreich und Deutschland) und den USA, konkret um Kinderbetreuerinnen, Putzkräfte und Pfleger:innen. Dabei geraten Übersetzungsmomente zwischen Politik bzw. politischen Forderungen und Recht bzw. rechtlichen Forderungen in den Blick (Buckel et al. 2024), wie Recht als Strategie auch jenseits strategischer Prozessführungen eingesetzt wird und wie der Gebrauch von ‚rechtlicher Sprache‘ funktioniert, ohne tatsächlich das Recht anzurufen. 

Anna Steenblock untersucht Arbeitskämpfe von Reinigungskräften in Marseille und einer kleinen Richtungsgewerkschaft. Die Gewerkschaft verfolgt eine bestimmte doppelte Strategie (Doumenc 2019): einerseits setzt sie auf direkte Aktionen in Form von Streiks, andererseits führt sie regelmäßig Klagen vor dem Arbeitsgericht durch, um die Arbeiter:innen bei Verstößen gegen das Arbeitsrecht juristisch zu vertreten. Für die Gewerkschaft ist der Gang zum Gericht ein zentrales Moment in der politischen Sozialisation ihrer Mitglieder. Hier wird deutlich, wie die „strategische Hinwendung zum Recht“ (Buckel et al. 2024: 25; Übers. A.S.) zu einer „Taktik“ (ebd.) im Rahmen einer breiteren Mobilisierung dieses Klassen- Arbeitskampfes wird. Anhand des empirischen Beispiels erkennt man individuelle und kollektive Praktiken des sozialen Kampfes „in und um das Recht herum“ (ebd.: 29). Das juridische Feld wird politisiert, indem die politischen Forderungen der prekarisierten Reinigungskräften in juristische Forderungen umgesetzt werden.

Arbeitsrecht als Hebel, Heilsversprechen oder Hoax? Vom Rechtsverständnis von irregulären migrantischen Hausangestellten in New York City

Francesca Barp, Hamburger Institut für Sozialforschung

Francesca Barp fragt, wann und wie das Recht von prekär Beschäftigten mobilisiert werden kann. Um das „wie“ zu beantworten, untersucht sie die diskursiven Rahmen, welche bei der rechtlichen und politischen Mobilisierung in Arbeitskämpfe von Hausangestellten rekurriert werden. Erste Ergebnisse zeigen verschiedene übergreifende Rahmen: In Deutschland geht es in seltenen Fällen um Ausbeutung, Menschenhandel und Arbeitsmigration (Schwenken 2003). In Argentinien prägt eine Dualität zwischen Informalität und Formalität und Konzepte rund um 'Formalisierung' und 'Entwicklung' den Diskurs (Poblete 2020, Perez 2015). In den USA ist die Theorie der sozialen Reproduktion zentral sowie Ausbeutung und die Gesundheit der Arbeiter:innen selbst. 

Um zu klären, „wann“ das Recht mobilisiert wird, verknüpft Francesca Barp rechtliche und politische Gelegenheitsstrukturen mit Theorie der industrial relations, um herauszufinden, wie die Repräsentation von in_formellen Arbeiter:innen in (Kleinst-) Gewerkschaften etc. die Repertoires für Kämpfe verändern.

Informalität als Kategorie für die Rechtsmobilisierungs- und Rechtszugangsforschung, Empirische Begründungsansätze am Beispiel kolumbianischer Tramitadores

Markus Cisielski, Universität Hildesheim

Die Rechtsmobilisierungs- und Rechtszugangsforschung beruhen einerseits auf dem Modell der Bewältigung von Hindernissen, wobei Barrieren in den Rechtssystemen selbst und zusätzlich auch außerhalb der Rechtssysteme in sozialen und ökonomischen Ungleichheiten untersucht werden. Andererseits basiert diese Forschung auf einer Herangehensweise, welche die Mobilisierung von Rechten als mögliche Umgehung von rechtlichen, sozialen und ökonomischen Partizipations- und Artikulationsblockaden im politischen System ansieht. Die kontextsensible Berücksichtigung zusätzlicher soziologischer Bedingungen ist problematisch, wobei insbesondere Informalität bisher nur unzureichend betrachtet wird. Daher präsentiert der Beitrag erste Ergebnisse aus einem laufenden rechtssoziologischen Forschungsprojekt, das sich empirisch mit der Untersuchung der kolumbianischen Tramitadores befasst. Diese sind bekannte informelle Akteure der Rechtsmobilisierung und werden nun auch im Rahmen der Rechtsmobilisierungs- und Rechtszugangsforschung untersucht. Auf dieser Grundlage bietet der Beitrag einen Ausblick auf den Revisionsbedarf ihrer Forschungsansätze, indem er die Rolle der Informalität empirisch begründet und mit dieser bislang vernachlässigten Analysekategorie die Bedeutung der jeweiligen sozialen Kontexte der Rechtsmobilisierung deutlicher hervorhebt.