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ICWC Trial-Monitoring Programme veranstaltet spannende Podiumsdiskussion zum Thema "Völkerstrafverfahren in Deutschland" | Marburg 8. Mai 2018
Am 8. Mai 2018 fand die Debatte im gut besuchten Hörsaal 100 der juristischen Fakultät statt. Als Gäste begrüßten wir Thomas Sagebiel (Vorsitzender Richter am OLG Frankfurt), Dr. Christoph Koller (Richter am OLG Frankfurt), Christian Ritscher (Bundesanwalt beim BGH) und Natalie von Wistinghausen (Rechtsanwältin). Professorin Stefanie Bock leitete und moderierte die lebhafte Debatte.
Die Diskutantinnen und Diskutanten sprachen über das Thema "Völkerstrafverfahren in Deutschland - Ist das deutsche Recht den Herausforderungen gewachsen?" am Beispiel des Prozesses gegen den ruandischen Staatsbürger Onesphore Rwabukombe, der sich von 2011 bis 2015 vor dem OLG Frankfurt sowie dem BGH wegen des Vorwurfs des Völkermordes verantworten musste und letztendlich zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Jeder der Gäste war an diesem Verfahren auf unterschiedliche Weise beteiligt: So saßen Herr Sagebiel und Dr. Koller damals auf der Richterbank, Christian Ritscher vertrat die Anklage und Frau von Wistinghausen war die Verteidigerin Herrn Rwabukombes.
Aus entsprechend unterschiedlicher Perspektive bewerteten sie den Prozess. Nachdem Richter Thomas Sagebiel den Anwesenden zunächst einen historischen Überblick über den ruandischen Völkermord der Hutu an den Tutsi im Jahr 1994 gegeben hatte, berichtete er vor allem von den Schwierigkeiten des Gerichtes, Zeuginnen und Zeugen zu laden und zu vernehmen. Die Überlebenden der Massaker, derer Onesphore Rwabukombe angeklagt war, lebten nach wie vor in Ruanda, andere potenzielle Zeuginnen und Zeugen saßen dort wegen ihrer eigenen genozidalen Taten selbst im Gefängnis und die ruandische Rechtshilfe verlief schleppend. Zudem konnte die Mehrheit der Zeuginnen und Zeugen erst während des Hauptverfahrens ermittelt werden.
Dies stellte denn auch einen der Hauptkritikpunkte der Rechtsanwältin Natalie von Wistinghausen dar: Sie beklagte die mangelnde Vorbereitungszeit, auf die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen einzugehen, wenn diese nicht schon im Zuge der Ermittlungen vernommen worden seien. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Hauptverteidigungsstrategie darin bestanden habe, die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen und Zeugen in Frage zu stellen, was in einigen Fällen auch gelang, habe diese Praxis eine Einschränkung der Möglichkeiten der Verteidigung dargestellt.
Frau von Wistinghausen kritisierte zudem vehement die Ausführungen des Bundesanwalts Ritscher, der in seinem Eingangsstatement beschrieb, dass der Fall Rwabukombe für die deutsche Justiz ein "Pilotprojekt" dargestellt habe, da die Verfolgung internationaler Straftaten zwar mit der Einführung des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) 2002 in Deutschland an Bedeutung gewonnen habe, aber nach wie vor selten sei.
Richter Koller beschrieb die nötige, aber inhaltlich wie emotional schwierige Einarbeitung in den Fall Rwabukombe. Zudem betonte er die Bedeutung technischer Unterstützung gerade in Völkerstrafverfahren, wie zum Beispiel die Erstellung eines 3D-Modells der Tatorte, anhand derer unter anderem Aussagen von Zeuginnen und Zeugen überprüft werden können, ohne persönlich vor Ort zu sein.
Letztendlich kamen die Diskutantinnen und Diskutanten jedoch zu dem übereinstimmenden Fazit, dass die deutsche Justiz mit ihrer Strafprozessordnung durchaus für Völkerstrafverfahren gewappnet sei. Sie gingen - mit einem Blick in die Zukunft - auch davon aus, dass zukünftig beispielsweise durchaus auch die Fälle hochrangiger Beteiligter des syrischen Bürgerkrieges vor deutschen Gerichten gemäß des VStGB verhandelt werden könnten.
Im Verlauf der Veranstaltung hatten auch die Studierenden sowie andere Zuschauerinnen und Zuschauer ausführliche Gelegenheit, Fragen an die Gäste zu stellen und alle Anwesenden profitierten von einer diskussionsfreudigen Atmosphäre fernab des Gerichtssaals.