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Die Geschichte des Forschungszentrums

Seit dem 11.11.2008 ist das Zentrum auf Grundlage der an diesem Tag in Kraft getretenen Satzung auch offiziell als interdisziplinäre Institution der Philipps-Universität Marburg anerkannt. Das Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse besteht an der Philipps-Universität Marburg bereits seit Juli 2003, nachdem es zuvor ab 2000 am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt/M. angesiedelt war.

Der Nürnberger Prozess gegen die als Hauptkriegsverbrecher angeklagten Spitzen des NS-Regimes vor dem Internationalen Militärtribunal (IMT) und die so genannten Nürnberger Nachfolgeprozesse vor dem US-amerikanischen  Militärgerichtshof in Nürnberg haben das Bild der Kriegsverbrecherprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Aber auch das Internationale Militärtribunal in Japan (International Military Tribunal for the Far East - IMTFE), das zur Ahndung der Kriegsverbrechen des japanischen Militärs eingerichtet wurde, bewegte die völkerstrafrechtliche Diskussion der ersten Nachkriegsjahre nachhaltig. Die Gräueltaten beider Aggressoren des Zweiten Weltkriegs - ob auf deutscher Seite die Verfoldung von Menschen jüdischen Glaubens, die Völkermorde im Osten oder die Geisel- und Partisanenermordungen in vielen okkupierten Ländern Europas oder die Massaker japanischer Armee- und Marinesoldaten in China, Burma, den pazifischen Inseln oder auf den Philippinen - sollten und mussten Sühne finden. Rechtsgrundlage bildeten das Statut des IMT bzw. die Satzung für den IMTFE.

Wenngleich diese Prozesskomplexe von zentraler Bedeutung für die Anwendung des Völkerstrafrechts bei der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs waren und die Wahrnehmung der justiziellen Bewältigung in der Weltöffentlichkeit prägten, stellten sie nur den kleineren Teil aller Verfahren weltweit dar, die Kriegsverbrechen zum Gegenstand hatten. Über viele Prozesse jenseits der Verfahren vor den Internationalen Militärtribunalen Nürnberg und Tokyo - unabhängig davon, ob sie sich gegen deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion richteten, von niederländischen Militärtribunalen in Holländisch Ostindien (heute Indonesien) gegen japanische Militärangehörige oder vor Militärgerichten in Frankreich durchgeführt wurden - liegen nur wenige Informationen vor.

Juristische zeitgeschichtliche Arbeiten über Kriegsverbrecherprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrieren sich überwiegend auf die quantitativ geringen Verfahren vor den beiden genannten internationalen Militärtribunalen. Sie geben lediglich einen stark komprimierten Überblick über die wesentlichen Entwicklungslinien der Völkerstrafgerichtsbarkeit des vergangenen Jahrhunderts. Daneben sind in den vergangenen 20 Jahren eine ganze Reihe von Arbeiten entstanden, die sich z. B. mit einem bestimmten Verfahren oder mit Verfahrenskomplexen beschäftigt haben. Ein umfassendes und systematisches Aufspüren von Kriegsverbrecherverfahren, ihre Archivierung und (rechts)wissenschaftliche Auswertung fehlt jedoch bisher weitgehend.